Kritiken Ausstellungen
Thema Geschichte / Wissenschaft
homezur Startseite eMail an Autor • eMail to author • contact auteureMail an den Autor Seitenübersicht • sitemap • Plan du siteÜbersicht sitemap Seite drucken • site print • imprimer siteArtikel drucken

2008-06-25b Kulturgeschichte:
Noch immer fasziniert das Mittelalter

Drei Museen am Mittelrhein bereiten Zeitalter
der Ritter aus unterschiedlichen Blickwinkeln auf

 
ape. Mittelrhein. Es ist zwei Jahre her, dass der Direktor des Koblenzer Mittelrhein-Museums bei einer „Begegnung“ mit dem Autor seine Idee von der kulturhistorischen Aufbereitung des Mittelalters am Mittelrhein ausbreitete. Mario Kramp brachte damals die Vorstellung von einem konzertierten Ausstellungsprojekt mehrerer hiesiger Museen ins Gespräch: Die Rede war von einer Triade aus seinem eigenen Haus, dem Museum am Strom in Bingen und dem Landesmuseum auf der Festung Ehrenbreitstein.  Erste Fühlungnahmen 2006 zwischen Kramp, seinem Bingener Kollegen und dem rheinland-pfälzischen Altertümer-Chef Thomas Metz setzten einen im Hintergrund zwar nicht ganz spannungsfreien, aber doch produktiven   Prozess in Gang. Dieser zeitigt jetzt hochinteressante Ergebnisse: Parallel zeigen besagte drei Museen von nun an bis in den Spätherbst drei sich ergänzende Ausstellungen zum Thema Mittelalter am Mittelrhein.
 
Spannend macht alle drei Präsentationen auch und gerade für die heimische Bevölkerung ein Umstand, den Mario Kramp seinerzeit so beschrieb: „Der Mittelrhein mit seinen Burgen, Schlössern, Sagen gilt zwar als archetypische Mittelalterlandschaft, dieses Bild ist jedoch vom Blickwinkel der Romantik geprägt. Über das tatsächliche Mittelalter am Mittelrhein wissen wir im Hinblick auf die Kunstgeschichte noch furchtbar wenig." Eine ganz ähnliche Einschätzung vertritt Angela Kaiser-Lahme, die als Kuratorin Beiträge diverser Gliederungen der Generaldirektion Kulturelles Erbe (GDKE) des Landes zur jetzigen Ausstellung „Mythos Ritter“ im Landesmuseum verarbeitet hat. Daraus ergibt sich: Heutige Populär-Vorstellungen über das Leben zwischen mittelrheinischen Burg- und Stadtmauern vom 10. bis ins 16. Jahrhundert sind in Wahrheit sehr stark vom idealisierenden Mittelalterbild des 19. Jahrhunderts geprägt.

Romantik überwuchert Originale

Dies gilt sogar im Hinblick auf die steinernen Geschichtszeugen, die als Burgen und Schlösser den Charakter des Welterbes Oberes Mittelrheintal wesentlich mitbestimmen. Viele der Gemäuer waren bloß noch Ruinen bis sie vornehmlich unter preußischer Ägide wiederaufgebaut oder neu erbaut wurden – und danach teilweise doch erheblich anders aussahen als im Mittelalter. Gewissermaßen überwuchert romantischer Stil die Originale. Weshalb es, wie Kaiser-Lahme erklärt, auch vergleichsweise wenige Original-Fundstücke gibt, aus denen die Lebenskultur auf den Ritterburgen und in den dortigen Haushalten beweiskräftig abzuleiten ist.

Das Wenige wurde nun aus der ganzen Region im Landesmuseum zusammengetragen. Und siehe da: Die Zusammenschau von Waffen, Kleidung, Tisch- und Küchengerät, Grabschmuck und diversen Dokumenten erlaubt selbst Historikern und Archäologen manch interessanten neuen Rückschluss auf die Ritterkultur am Mittelrhein. Diesem Blick in die realen Lebensverhältnisse der Burgherren damals stellt die Ausstellung auf der Festung Ehrenbreitstein den „Mythos Ritter“ gegenüber. Ein Mythos, der uns in Kinderspielzeug, Comics, Historien-Schmökern, Spielfilmen von Ivenhoe über Robin Hood bis Excalibur oder Videospielen mancherlei weismachen will, das mit ritterlicher Wirklichkeit oft herzlich wenig zu tun hat.

Wenn der Herr Ritter vom Gaul fällt

Dummes Zeug etwa ist die Vorstellung, der Herr Ritter sei den lieben langen Tag in Kettenhemd und Eisenrüstung herumgeritten. Das bloße Gewicht solcher Ausstattung hätte ihn nach reichlich drei oder vier Stunden entkräftet vom Pferd fallen lassen. Und dabei hätte er sich wegen des steifen Panzers womöglich das Genick gebrochen – wie es unzähligen Turnierstreitern erging, die nicht von Lanze, Schwert oder Morgenstern hingestreckt wurden, sondern schnöde beim Sturz vom Gaul umkamen. Ziemlich schräg auch das Bild vom edelmütigen Recken, der selbstlos den Schwachen beisteht, sofern er nicht gerade mit poetischem Minnesang um die Liebste freit. Alltäglicher waren Selbstjustiz qua Schwert, Plünderung der Nachbarschaft, Ausquetschen von Reisenden, Erpressung mittels Entführung und andere rüde Praktiken. Die schon im 19. Jahrhundert beliebte Unterscheidung zwischen schwarzem und weißem Ritter, zwischen Raubritter und Edelmann, hat mit der Realität des Mittelalters wenig gemein.

Befasst sich die Schau „Mythos Ritter“ im Landesmuseum vor allem mit dem vermeintlichen und dem echten Herrschaftsleben auf den mittelrheinischen Burgen, so die Ausstellung im Bingener Museum am Strom mit „Stadtleben im Mittelalter: Bingen und das Mittelrheintal – Von den Anfängen bis 1600.“  Und noch einmal ganz anders der Schwerpunkt im Koblenzer Mittelrhein-Museum, wo unter dem Titel „Unser Mittelalter“ 500 Exponate aus 1000 Jahren gezeigt werden. Das sind vor allem Werke sakraler Kunst, aber auch kunstvolles Mobiliar, Münzen, Architekturfragmente und andere Schätze aus der mittelalterlichen Lebenskultur am Zusammenfluss von Rhein und Mosel.

Zeugnisse noch laufender Forschungen

Die Präsentation des Mittelrhein-Museums nennt sich im Untertitel „Eine Depot-Werkschau“. Und tatsächlich wird hier Zug um Zug ausgebreitet, was Speicher und Keller des Hauses am Florinsmarkt an Mittelalter-Zeugnisse hergeben. Darunter manches Exponat, das seit Jahrzehnten nicht mehr oder gar noch nie öffentlich zu sehen war. Mario Kramp und Mannschaft nutzen die mittelrheinische Mittelalterkampagne für eine Bestandsaufnahe, quasi für eine große Heerschau im Hinblick auf die spätere Umsiedlung des Museums zum irgendwann neu gestalteten Koblenzer Zentralplatz. Heerschau meint in diesem Fall auch: Forschung am ausgestellten Objekt, Erkenntnisgewinn aus der unmittelbaren Konfrontation der aus den Depots ans Licht beförderten Exponate.

Und das ist nun auch das Besondere an allen drei Ausstellungen: Sie präsentieren nicht einfach interessant und gefällig aufbereitet, was zumindest der gebildete Zeitgenosse ohnehin schon weiß. Vielmehr sind sie selbst Ausdruck und Instrument aktuell noch laufender sozialgeschichtlicher, bau- und kunsthistorischer sowie archäologischer Forschungen in der hiesigen Region. Weshalb auch den umfänglichen Begleitprogrammen der drei Museen mit zahlreichen Vorträgen, Sonderführungen, Exkursionen und Spezialevents besondere Bedeutung zukommt. Die Moderne schwimmt auf einer Welle der Mittelalter-Begeisterung. Die Ausstellungs-Triade am Mittelrhein bietet dem Publikum nun die Möglichkeit, diese Begeisterung zu hinterfragen. Sie gibt Hilfen an die Hand, zwischen geschichtlicher Realität und bloß modisch-pittoresker Fantasterei zu unterscheiden.  

Infos:

www.landesmuseumkoblenz.de     

www.mittelrhein-museum.de

www.bingen.de 

(Erstabdruck 26. Woche im Juni 2008)

Feature, Mittelalter am Mittelrhein, drei sich ergänzende Ausstellungen in drei Museen
 
Diesen Artikel weiterempfehlen was ist Ihnen dieser Artikel
und www.pecht.info wert?
 
eMail an Autor • eMail to author • contact auteureMail an den Autor
eMail an webmaster • eMail to webmaster • contact webmastereMail an webmaster Seitenanfang • go top • aller en-hautan den Anfang Seite drucken • site print • imprimer siteArtikel drucken