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2008-05-16 Feature:
Mit Tanz und klassischer Musik für  Beruf und Leben stärken

Ein außergewöhnliches Qualifizierungsprojekt für
arbeitslose Jugendliche und Azubis am Mittelrhein

 
ape. Jede Woche ein Tanztraining und nachher Aufführung eines eigenen Tanzstückes zusammen mit großem Orchester. Diesen ungewöhnlichen Weg gehen in Koblenz Jugendliche im Rahmen einer nicht alltäglichen beruflichen Qualifizierungsmaßnahme. "(e)motion" nennt sich das Gemeinschaftsprojekt von ARGE, Handwerkskammer, Staatsorchester Rheinische Philharmonie und Tanzschule Steps.
 
Tanzen als Bestandteil von Berufsvorbereitungskursen für arbeitslose Jugendliche und Schulabgänger? Tanzen als zusätzliches Qualifizierungsangebot auch für Auszubildende im Handwerk? Weil einigen Eltern seltsam vorkam, was die 16- bis 19-jährigen Sprösslinge daheim von ihrer aktuellen Ausbildungsphase erzählten, gingen sie der Sache am Ort des Geschehens auf den Grund.  Im Trainingssaal der Koblenzer Tanzschule Steps fanden sie dann tatsächlich Sohn oder Tochter gemeinsam mit etlichen Altersgenossen bei schweißtreibender Beschäftigung: Zu Hiphop-Musik vom Band mühten die sich fleißig um Beherrschung diverser Tanzschritte und –figuren.

Trainingsleiter Othello Johns – selbst professioneller Tänzer, Choreograf und Tanzpädagoge – konnte die skeptischen Eltern beruhigen: Jawohl, diese Tanzübungen jede Woche sind Teil einer von der ARGE Mayen-Koblenz und der Handwerkskammer Koblenz (HWK) getragenen, regulären beruflichen Qualifizierungsmaßnahme. Und die geht so: Eingebettet in den Unterricht in Werkstätten und Schulungszentren der HWK oder auch in die betriebliche Ausbildung erarbeiten die Teilnehmer an diesem „(e)motion“ genannten Projekt ein eigenes Tanzstück. Das wird am Ende zusammen mit dem Staatsorchester Rheinische Philharmonie vor großem Publikum aufgeführt. Als Vorreiter solch außergewöhnlicher Bildungsinitiativen gilt die seit 2002 existierende Jugendprojektreihe „Rhythm is it“ der Berliner Philharmoniker unter Sir Simon Rattle.  Die Koblenzer Maßnahme ist zwar etwas anders strukturiert als das Berliner Vorbild, mündet aber in ein ähnliches Ergebnis ein.  Das soll im September Premiere haben.

Bei Hiphop wird es bis dahin nicht bleiben; die den jungen Leuten vertraute Musik dient bloß als Hilfsmittel zur Aneignung erster tanztechnischer Grundlagen. Das eigentliche Ziel ist eine Tanzperformance zu einem Großwerk der klassischen Musik, der „Symphonie fantastique“ von Hector Berlioz. Die Jugendlichen übernehmen dabei nicht nur den Tanz-Part, sondern stellen unter Anleitung von Werkstatt- und Büroausbildern, Sozial- und Tanzpädagogen das Projekt in all seinen Aspekten selbst auf die Beine. Sie kümmern sich – und das ist dann direktes  berufspraktisches Lernen - ebenso um Bühnenbau, Masken- und Kostümbildnerei, Organisation, Werbung und Bewirtung für die abschließenden öffentlichen Auftritte mit Orchester.

Frage an Rolf Koch, Geschäftsführer der ARGE Mayen-Koblenz, in dessen Haus „(e)motion“ erdacht wurde: Wie kommt man auf so eine Idee? „Wir haben überlegt, mit welchen neuartigen Qualifizierungsangeboten wir junge Menschen ansprechen können, darunter auch solche, die mit herkömmlichen Methoden nicht mehr erreichbar sind.“
Die Wahl fiel auf ein Projekt, das gewöhnliche Qualifizierungsfelder mit der Entfaltung kreativer Potenziale in Musik und Tanz verknüpft. Dafür steht auch das englische Wortspiel „(e)motion“: Der Begriff motion für Bewegung und emotion für Gefühl.

Ein solches Projekt braucht kompetente Partner, die die ARGE in der Handwerkskammer, der Rheinischen Philharmonie und der Tanzschule Steps gefunden hat. „Als uns die Idee vorgestellt wurde, habe ich sofort gesagt: Das machen wir“, erklärt Karl-Jürgen Wilbert, Hauptgeschäftsführer der HWK. Er hält Musik generell für „einen Welt- und Lebensverbesserer, Tröster und Motivator.“ Und er ist überzeugt davon, „dass diese Ansprache per kultureller Aktivität den Leistungswillen der Jugendlichen motiviert, dass die Arbeit am konkreten Projekt Selbstdisziplin, Teamfähigkeit, Toleranz, Aufgeschlossenheit und manch andere Humanfähigkeit wesentlich voranbringt.“ Womit Wilbert zugleich die wichtigen indirekten Lerneffekte für die Teilnehmer beschreibt, auf die diese Maßnahme nicht zuletzt abzielt.

Die Beobachtung einer Trainingseinheit führt plastisch vor Augen, was das meint. In Sachen Ensembletanz sind alle Teilnehmer Anfänger.  Rhythmisches Wippen auf den Fußballen, Hüftschwung, Seitwärtsstep, Drehung, Ausfallschritt, Rolle…  Bei einigen sieht das schon recht flüssig und elegant aus, bei anderen geht der Drehung unterwegs noch die Luft aus oder erinnert manche Bewegung eher an den Fußballplatz. „Das kann ich nie!“, ist einer der Sätze, die Tanzpädagoge Othello Johns hier besonders häufig hört. Dann wird aufgemuntert, einzeln oder in Kleingruppen wieder und wieder probiert. Wenn es schließlich doch klappt, klatscht die ganze Mannschaft Beifall – und ein Junge oder ein Mädchen mehr haben erfahren, was in ihnen steckt.

Frauke Bernds, Orchesterdirektorin der Rheinischen Philharmonie, erklärt, warum als Musik  die „Symphonie fantastique“ ausgewählt wurde: „Die vielfältigen assoziativen Möglichkeiten, die das Werk bietet, erschienen uns für dieses Vorhaben geeigneter als ein fest gefügtes Handlungsballett.“ Das sieht Othello Johns ebenso: Bei Berlioz gebe es Elemente von Liebe und Zorn, Traurigkeit und Freude, Einsamkeit und Gemeinsamkeit, Angst und Hoffnung. „Gefühle, mit denen diese jungen Menschen auf unterschiedliche Art etwas anfangen können. Und entsprechend werden sie nachher, je nach individuell ereichtem tänzerischen Vermögen, auch unterschiedliche Beiträge zur Gesamtperformance beisteuern.“

Der Weg dahin ist nicht einfach. Der Trainingsleiter spricht von einem komplizierten Prozess, der über die Wochen und Monate des Projektes abläuft. Nicht nur hinsichtlich der tanztechnischen Entwicklung der jungen Leute. Fast schwieriger noch ist der Lernprozess in Sachen Selbstbewusstsein, Stehvermögen und Zusammenwirken in der Gruppe. Nicht alle bleiben bei der Stange. Einige haben seit Beginn der Maßnahme im Januar schon hingeschmissen, einige werden wohl noch folgen. Aber das Gros von rund 30 Jugendlichen beißt sich engagiert durch die nicht unbeträchtlichen Anforderungen.

„(e)motion“ soll Spaß machen. Aber eben nicht nur. Wie sagt Othello Johns, wenn es beim einen oder anderen Teilnehmer mal an der rechten Lust zu eigenständigem Einsatz mangelt: „Wir sind auf keiner Vergnügungstour. Das ist hier ist euer Ding, und ihr könnt es schaffen. Aber ihr müsst dafür von euch aus hart arbeiten, sonst wird das nichts.“ Weil sie in einigen Wochen doch Vorzeigbares zur gemeinsamen Probenphase mit dem großen Orchester mitbringen wollen, nehmen die Jugendlichen wieder Aufstellung. Der Chief zählt schnippend an, „six, seven, eight“ – und bald läuft der Schweiß erneut in Strömen.  
                                                                                        Andreas Pecht

Infos/Kontakt:
Tel. 0261/398 324,  www.hwk-koblenz.de  
sowie
 
www.rheinische-philharmonie.de
(dort unter der Rubrik "SRP für Kids")

(Erstabdruck Mai/Juni 2008)

"(e)motion", Feature/Bericht, Qualifizierungsmaßnahme für Jugendliche, Tanzprojekt in Koblenz, ARGE/HWK/Rheinische Philharmonie
 
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