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2008-04-29a Vorbericht:
Junge Kunst Arabiens entdecken

34 Künstler aus dem Emirat Sharjah stellen im Ludwigmuseum Koblenz aus (4.5. - 15.6.2008)

 
ape. Zeitgenössische Kunst – gibt es die überhaupt in einer Weltgegend, die so sehr von Islam und Traditionalismus geprägt ist wie Arabien? „Aber ja, wenn auch in anderer Ausprägung, als wir sie gewohnt sind“, meint Beate Reifenscheid im Gespräch. Die Direktorin des Koblenzer Ludwigmuseums hat zwecks Vorbereitung der aktuellen Ausstellung ihres Hauses – „Emirates Contemporary“ – jüngst die Vereinigten Arabischen Emirate besucht. In Sharjah, einem der sieben Teilstaaten der Vereinigung, begegnete sie dieser Kunst und ihren Machern.

Was ist so Besonderes am Wüstenland Sharjah, dem gerade mal 700 000 Einwohner zählenden Nachbarn von Dubai, dass ein Moderne-Museum in Deutschland dessen Kunst eine eigene Ausstellung widmet? „Das Emirat darf im arabischen Raum als Vorreiter zeitgenössischer Kunstentwicklungen gelten“, erklärt Reifenscheid. Treibende Kraft sei dabei der Emir von Sharjah seit seinem Regierungsantritt 1972. Scheich Dr. Sultan Bin Mohammed Al Qassimi, promovierter Geograf und Historiker, hat nicht nur selbst ein weites Herz für die Künste. Er verfolgt zugleich in seinem Land eine Politik systematischer Förderung von Kunst, Kultur und Bildung.

„Der Museumsbau boomt. Fast zu jedem Thema gibt es ein eigenes Museum. Und der Eintritt ist grundsätzlich frei“, beschreibt Reifenscheid die Situation vor Ort. „Sharjah richtet jährlich eine international beschickte Kunstbiennale aus; die gleichnamige Hauptstadt verfügt über ein eigenes Museum für zeitgenössische arabische Kunst, mit dem wir für unsere jetzige Ausstellung eng zusammenarbeiten.“ Nachhaltig unterstütze der Staat dort Künstler und auch Künstlerinnen. 34 Vertreter der jüngeren Sharjah-Künstlergeneration sind mit Exponaten an der Koblenzer Ausstellung beteiligt.

Und was ist da zu sehen? Die Museumsdirektorin umreißt ein breites Spektrum, das indes drei Schwerpunkte ausweist: Kalligrafie, Fotografie und Installationskunst. Kalligrafie – also die Kunst des schönen Schreibens auch als kontemplatives, ja religiöses Tun – ist eine der traditionsreichsten Kulturpraktiken in der islamischen Welt. Als Schriftreligion, in der obendrein, je nach Auslegung, bildnerische Darstellungen entweder verboten sind oder nur  eingeschränkt geduldet, kommt im Islam dem auch äußerlich ästhetisch anspruchsvollen Schreiben von Koran-Worten besonderer Wert zu.

Die Koblenzer Ausstellung versammelt traditionelle und jüngere Formen arabischer Kalligrafie. Beide gegenübergestellt, wird auch dem westlichen Betrachter sofort erkennbar, dass in dieser Kunst gegenwärtig Traditionspflege und Veränderung gleichermaßen stark vertreten sind. Die althergebrachte Beschränkung auf die –  von uns vornehmlich als  geschwungene Ornamentik empfundenen – arabischen Schriftzeichen wird von einigen Künstlern vorsichtig aufgebrochen. Florale Rahmen und farbige Hintergründe werden gesetzt, die Schrift nimmt bisweilen abstrakte Formen an. „Diese Entwicklung ist zurzeit ein heißes Diskussionsthema in der arabischen Kunstszene“ sagt Reifenscheid. Und die alle zwei Jahre ebenfalls in Sharjah stattfindende „Biennale für arabische Kalligrafie“ sei Zentrum des Diskurses.

Die anhaltende Bedeutung der Schrift wird auch an vielen in Koblenz ausgestellten Arbeiten einer Gruppe sehr junger Fotokünstler aus dem Emirat deutlich. Wie die vertretenen  Installationskünstler ebenfalls, so „greifen die Fotografen vornehmlich auf das zurück, was sie in ihrer unmittelbaren Umgebung vorfinden“, erläutert die Leiterin des Ludwigmuseums. Das ist: Eine Welt im Spannungsgefüge zwischen Beduinen-Archaik und explodierender Moderne aus Glas, Beton, Asphalt, Automobilität… Ein Beispiel aus der Motiv-Vielfalt: Verstopfte  Autobahnen in der Wüste – und über das Motivbild als zweite Ebene die traditionellen Schriftzeichen gelegt.

Können hiesige Betrachter diese Kunst aus dem anderen Kulturkreis überhaupt verstehen, sie decodieren? „In manchen Fällen erschließt sich die Symbolik“, meint Reifenscheid, „in anderen sind wir reduziert auf unseren Eindruck von der ästhetischen Stimmigkeit der Komposition. Da geht es uns wie einem in Arabien aufgewachsenen Muslim beim Besuch der Sixtinischen Kapelle: Er kann das Schöne der Malereien aufnehmen, aber ohne Kenntnis der Ikonografie ihren tieferen Sinn nur schwer erfassen. Wir sollten nicht so tun, als bräuchte es jeweils bloß ein bisschen Toleranz und Weltoffenheit, und schon sei es kinderleicht, alle Aspekte anderer Kulturen zu begreifen.“

Das gilt beidseitig. „Es fehlen der arabischen Kunst einfach viele Jahrhunderte Erfahrung im Umgang mit Pinsel, Leinwand und Ölfarbe, auf die die europäische Kunst baut“, begründet die Koblenzer Museumsdirektoren die geringe Präsenz von Gemälden in der Ausstellung „Emirates Contemporary“. Für die Künstler aus Sharjah ist das ebenso Neuland wie deren Arbeit fürs hiesige Publikum. Was den Dialog zur Entdeckungsreise macht. 
                                                                         Andreas Pecht

Infos: www.ludwigmuseum.org

(Erstabdruck 18. Woche, April 2008)

Ludwigmuseum Koblenz, Vorbericht zur Ausstellung "Emirates Contemporary". 
 
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