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2008-04-28 Schauspielkritik:  
"King Lear" in Koblenz: Starker Beginn, zerfasertes Ende, schwache Titelfigur

Annegret Ritzels Einrichtung der Shakespeare-Tragödie
hinterlässt zwiespältige Eindrücke
 
ape. Koblenz. King Lear“ ist das bedeutendste unter den bedeutenden Stücken William Shakespeares, gewaltige Herausforderung für jedes Theater. Annegret Ritzel ist zum Ende ihrer vorletzten Saison am Theater Koblenz das Wagnis eingegangen. Sie hat den „Lear“ mit 19 Schauspielern und zwei Dutzend Statisten als Epochen-übergreifendes Drama eingerichtet. Es gab kräftigen Applaus für die dreieinhalbstündige Premiere, die der Beobachter als Wechselbad aus Fasziniertheit und Kopfschütteln erlebte.
 
Siegfried E. Mayers Kulisse ist so einfach wie bestechend. Alles Barocke des Bühnenportals mit verwaschen-goldener Verkleidung getilgt, der Durchgang dadurch verengt, der Raum dahinter jedoch fast ungestaltet in ganzer Tiefe und Breite geöffnet: Eine ortlose, zeitlose Welt, darin Menschlein ihre ewige Tragödie namens Leben spielen. Die opulente Kostümerie von Gera Graf unterstreicht dies auf seltsame Weise: Sie versammelt Moden vieler Jahrhunderte.

Was Shakespeare zu sagen hat, gilt alle Zeit. Diese Botschaft zieht sich quer durch die Inszenierung. Lears Ritter sind Jugendliche aus der aktuellen Gothic-Szene; andere Streiter marschieren in GSG9-Montur auf, derweil die gräflichen Sprösslinge Edmund (Roman Schmelzer) und Edgar (Markus Angenvorth) mit ollen Säbeln aufeinander einschlagen. Schön ausgedachtes Beiwerk - weder wichtig noch störend, solange Shakespeare spricht und wir ihn hören.

Und worüber spricht er? Über den Generationenkonflikt. Als habe er das Stück nicht 1604, sondern angesichts unserer Demografiediskussion geschrieben. König Lear geht freiwillig aufs Altenteil, vermacht das Reich jenen seiner drei Töchter, die ihm Honig ums Maul schmieren. Cordelia (Madeleine Niesche) spielt die billige Tour nicht mit und wird verstoßen. Der Alte glaubt bei den beiden anderen Wohnrecht, Versorgung und Achtung sicher. Doch Goneril und Regan nehmen zwar das Erbe gern, wollen mit dem Senior aber bald nichts mehr zu schaffen haben; woran der irre wird.

Abdankung Lears, Verteilung des Reiches, fortschreitende Demontage des Ex-Königs, Streit zwischen unausstehlichem Vater und kaltschnäuzigen Töchtern: Hier überzeugen Inszenierung und fast aller Spiel mit aufrichtigem Interesse am Thema und deshalb intensivem Sprechen; mit Shakespearscher Klarheit und Tiefe eben. Der Koblenzer „Lear“ hat seine gelungenen Momente im ersten Drittel des Abends.

Da gefällt die tückische Kälte von Andrea Wolf als Goneril, die weise Flapsigkeit von Dirk Diekmann als Narr, die zynische Frechheit von Klaus Lehmann als Kent. Späterhin glänzt allein noch Till Krabbe in anrührender Darstellung des geblendeten Gloucester - während das übrige Personal sich zusehends mit nur mehr bodenständigem Theaterhandwerk bescheidet. Die Abend zerfasert nach hinten, weil zwei legendäre Szenen einfach untergehen, wodurch die Inszenierung Rhythmus und Zusammenhalt verliert.

Die eine Szene: Lear trifft im Unwetter auf Edgar. Die beiden Verzweifelten haben sich über Welt und Mensch Wichtiges zu sagen – doch im Koblenzer Sturmgetöse versteht man kein Wort. Die andere Szene: Der vollends irre Lear taumelt weltverloren durch die Heide. So sollte es sein. Dem Lear von Gast Heinz Trixner jedoch ist nicht anzusehen, dass diese Minuten für viele Schauspieler der bedeutendste Moment ihres Theaterlebens sind.

So uninspiriert Trixner hier agiert, so vordergründig sonst. Ihn interessiert nicht, dass die Mitspieler diesmal das Schreien angemessen sparsam portionieren. Er quetscht den Kehlkopf zum Erbarmen, setzt allweil eintönig herrischen Fingerzeig hinzu oder stürzt schulmäßig den Kopf in die Hände. Dies macht einen  eindimensionalen Lear, der eine gewisse Größe bloß in jenen seltenen Momenten zeigt, da er kraftlos in sich zusammensackt: ein Opfer seiner selbst, seines Alters, seiner Kinder.                                                                                                                                                                                                                                     Andreas Pecht

Infos: www.theater-koblenz.de

(Erstabdruck am 29. April 2008)

Theater Koblenz, Kritik, Shakespeare, "King Lear", Regie: Annegret Ritzel
 
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