Kritiken Theater
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2008-04-07 Schauspielkritik:  
Menschlichkeit hinter dem Schutzwall rüder Coolness    

Matthias Fontheim inszeniert O'Neills "Ein Mond für
die Beladenen" in irritierendem Reality-Stil

 
ape. Mainz. „Welcher Scheinwerfer ist denn nun der Mond?“ So fragt im Allerwelts-Ton Julia Kreusch, als sei dies die erste Stellprobe für ihre Josie in Eugene O’Neills Stück „Ein Mond für die Beladenen“. Ihr Blick sucht die Deckenscheinwerfer ab: „Der oder der? Der linke isses“, fällt sie Lukas Piloty vorwitzig in die Darstellung seines Whisky-trunken an Lebensschmerz leidenden James Tyrone jr., genannt Jimmy.
 
Im Text steht nicht, was die junge Schauspielerin in Jeans und Shirt da einschiebt. Im Text gibt’s manches nicht von dem, was während der zwei Stunden am Kleinen Haus des Mainzer Staatstheaters wirkt, als sei es eben in heutigem Straßen-Jargon improvisiert. Überhaupt, wie die drei Hauptdarsteller spielen, das passt gleich gar nicht zu unseren Vorstellungen von diesem Stück aus den 1940ern.

Hallo Leute, die Premiere hat angefangen, möchte man rufen. Nun macht mal Ernst! Die Akteure stören sich an den Zusehern nicht weiter. Sie plappern, keifen, stänkern oder spaßen rüde wie ihnen der Schnabel gewachsen. Sie rauchen, saufen Flaschenbier, schlagen die Zeit tot wie die letzten Prolls. Das Licht im Saal geht auch nicht aus, und obendrein suchen die Schauspieler das Parkett heim: Kreusch etwa krabbelt durchs Publikum, fragt dich, ob du glaubst, dass sie noch einen Mann abbekommen könne.

Dass Ausstatterin Susanne Maier-Staufen die heruntergekommene Farm des Originals in eine desolate Tankstelle verwandelt, irritiert wenig. Das ist angepasstes Zeit- und Sozialkolorit. Dass die Inszenierung von  Matthias Fontheim eher auf Reality-Show macht, denn Theater spielt, das allerdings befremdet zunächst ziemlich. Josie gibt vor, Kreusch zu sein, und Josies Stückvater Phil ist Gregor Trakis. Die theatralische Unterscheidung zwischen Rolle und Mime scheint aufgelöst – als hätte das Unterschicht-Fernsehen die Bühne erobert, um dort Container-Gedönse zu verbreiten.

Diese Irritationen sind gewollt. Der improvisatorische Habitus ist sorgsam inszeniert: Das Befremden gegenüber den Prekariats-Darstellern mit ihrem frechen bis unverschämten Auftreten wird gezielt provoziert. Zu welchem Zweck? Damit nachher die Kluft zwischen Milieu-Schnoddrigkeit und dahinter sich verbergender menschlicher Tragik und Größe  umso deutlicher werde. Der Ansatz geht auf, Irritation verwandelt sich zusehends in Faszination.

Dem Proleten Phil sind drei Söhne weggelaufen. Der Jüngste (Lorenz Klee) verabschiedet sich von Schwester Josie mit einem lautstarken Abend-Prolog im Foyer. Der Vater bleibt mit seiner resoluten Tochter allein. Die zählt  28 Jahre, ist noch unverheiratet. Sie geriert sich als Flittchen, was jedoch bloß trotzig Stärke behauptende Fassade ist. Still liebt die Jungfrau den wohlhabenden, aber aus Gram auf den Tod versoffenen Jimmy. Mit dem will der Vater sie verkuppeln.

So O’Neills Story, die sich in Mainz zu einem bewegenden Höhepunkt verdichtet: Einem coole Selbstschutz-Masken wegreißenden großen Schauspiel-Duett Kreusch/Piloty. Das kehrt der  beiden wahres Inneres nach außen, treibt Mädchenträume und Mannesschmerz in schicksalhafter Vergeblichkeit von trunken-sehnsüchtiger Tändelei über sexistischen Gewaltausbruch zu zärtlichem Erbarmen – für eine Nacht im Mondenschein.                                                               Andreas Pecht

Infos: www.staatstheater-mainz.de

(Erstabdruck am 8. April 2008)

Staatstheater Mainz, Kritik, Ein Mond für die Beladenen, Regie: Matthias Fontheim
 
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