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2008-03-31 Theaterkritik:
 
Wenn die Liebe fremdgeht

Nach Frankfurt und Wiesbaden
„Wahlverwandtschaften“ nun in Mainz

 
ape. Mainz. Setzen sich zwei Frauen und zwei Männer  ins Theater, lesen Programmheft und harren der Dinge. Zwar hocken sie auf der Bühne, aber die ist auch bloß ein Treppenpodest (Bühne: Tobias Schunck) wie dasjenige im Zuscherraum. Die vier, stellt sich nachher heraus, das sind die Hauptfiguren aus Goethes Roman „Die Wahlverwandtschaften“: Eduard und Gattin Charlotte, Freund Otto und Nichte Ottilie.
 
Aus dem Roman hat der blutjunge, doch überregional schon hochgelobte Hannes Rudolph ein Stück  gezogen und jetzt im TiC-Werkraum des Staatstheaters Mainz inszeniert. Die berühmte Lektüre über die Unberechenbarkeit der Liebe war unlängst schon in der Nachbarschaft auf szenische Tauglichkeit abgeklopft worden. Was zuerst am Schauspiel Frankfurt ziemlich misslang, weil überwiegend Romantext verlesen wurde. Besser fuhr danach  das Staatstheater Wiesbaden mit  einer sich von knuffiger Komödie zu sinniger Tragödie verdichtenden Interpretation.

Jetzt also ein neuer Versuch in Mainz – der sich einfügt in eine kleine Goethe-Welle am dortigen Theater. Wie überhaupt an deutschen Theatern im Moment recht eifrig Goethe gespielt wird. Warum? Vielleicht, weil der „Faust“ just 200. Jahre alt geworden? Allerdings hat kaum ein Haus diesen Theatergiganten auf dem Plan. Am Vorabend gab es in Mainz etwa die „Werther“-Oper von Massenet. Zuvor schon spielte man dort „Clavigo“, der diese Woche auch in Bonn auf die Bühne kommt.

Zurück zum Quartett  im TiC. Das hat derweil in die Rollen gefunden und sein Sitzpodest auch als Spielfläche vereinnahmt. Man plaudert über so manches, insbesondere über Gartengestaltung – mal droben auf der letzten Stufe, mal auf der untersten oder irgendwo zwischen drin stehend, sitzend, kauernd. Oben gibt es einen schmalen Eingang, in dem sich entlang der Handlung erst Zweie niederlassen, dann ein Dritter sich dazwischenquetscht, später sogar ein Vierter.

Das sind unmissverständliche Bildmetaphern. Die werden durch andere, eher versteckte Deutungen und Andeutungen erweitert. Standorte der Personen im Raum sind zu beachten. denn dort entwickelt sich, was die aus dem Roman isolierten Dialoge nicht sogleich transportieren: Geschlechtliche Anziehungskärfte überkreuz und gegen alle, konventionelle, Sittlichkeit. Der Gatte liebt die Nichte, die Gattin den Freund, was bekanntermaßen und zu Goethes Bedauern schlecht ausgeht.

Zu erleben ist ein auf den Romankern reduziertes Konversationsstück. Dessen Protagonisten deuten Charaktere an, verweigern dann aber doch naturalistische Identifikation. Verena Bukal skizziert eine damenhafte, strenge Charlotte, Thomas Kornack einen Eduard zwischen naiver Betulichkeit und manischer Liebesbewegtheit. Der Otto von Zlatko Maltar erstickt schier an seinen hinter geziemendem Auftreten tobenden Euphorien; Katharina Knap gibt Ottilie als verschlossenes, in dieser Welt nicht recht heimisches Wesen.

Alle jedoch stehen sie im Brecht'schen Verweisgestus sehr schön stets auch neben sich, zeigend: Wir spielen uns fremde Rollen in einem alten Roman. Und je näher das Stück dem tragischen Ende der literarischen Vorlage kommt, umso fremder  werden den Mimen ihre Figuren, umso breiter macht sich auf der Bühne erzählender Romantext. Frankfurt ist an dieser Tendenz gescheitert. Wiesbaden hat sie vermieden. Mainz findet ein passables Gleichgewicht.
                                                                                         Andreas Pecht  
(Erstabdruck 1. April 2008)

Staatstheater Mainz, Kritik, Die Wahlverwandtschaften, Regie: Hannes Rudolph
 
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