Thema Politik
Thema Gesellschaft
homezur Startseite eMail an Autor • eMail to author • contact auteureMail an den Autor Seitenübersicht • sitemap • Plan du siteÜbersicht sitemap Seite drucken • site print • imprimer siteArtikel drucken


2008-03-05 Analyse: 
Alle spielen mit den Schmuddelkindern

CDU turtelt mit den Grünen, SPD ist in ihrer historischen Normalität angekommen

ape. Das deutsche (Wahl-)Volk hat in  jüngster Zeit die Karten neu gemischt, indem es dem Land ein Fünf-Parteien-System bescherte. Die Altparteien behandeln den Neuzugang, die Linke, wie eine vorübergehende Betriebsstörung der Demokratie. Das haben wir schon mal erlebt: In den 1980ern, als die Grünen das parlamentarische Parkett betraten.


„Das ist keine Partei, nur eine Protestbewegung. Sammelbecken für Chaoten, Kommunisten, Spinner. Mit diesen Feinden der freiheitlichen Ordnung kann es niemals eine Zusammenarbeit geben. Gewalttätige Randalierer in den Parlamenten – undenkbar. Nicht politikfähig. Nicht koalitionsfähig. Nicht regierungsfähig. …“

Dies ist eine Auswahl von Reaktionen deutscher Politiker und Medien auf den Einzug einer neuen Partei in unsere Parlamente. Was hier so tagesaktuell klingt, auf den Vormarsch der Linkspartei zuletzt in Hessen, Niedersachsen und Hamburg gemünzt zu sein scheint, stammt indes aus den 1980er-Jahren. Die kategorischen Aussagen bezogen sich auf die Grünen, deren Einzug 1983 in den Bundestag (mit 5,6 Prozent) nachgerade hysterische Abwehrreflexe der dortigen drei Stammplatzinhaber CDU/CSU, FDP und SPD hervorrief.

Absurde Anfeindungen

Von heute aus gesehen, kommt es einem absurd vor. Aber für die Union waren damals die Grünen schlichtweg ein linksradikaler Teufel, für die Sozialdemokratie eine Art Belzebub, dem der hessische Genosse Holger Börner anfangs noch mit der Dachlatte das Fell gerben wollte. Beide bauten darauf, dass parlaments-relevante Stimmanteile für die Grünen eine vorübergehende Erscheinung seien. Die SPD setzte dabei auch auf das Diktum Willy Brandts, wonach die vernünftigen Elemente dieser Protestbewegung letztlich bei der Sozialdemokratie Heimstatt nehmen könnten. Bekanntlich wurde daraus nichts.

Vorerst aber waren die Grünen die Schmuddelkinder des politischen Deutschland – und wurde die SPD von der CDU bald angegiftet als Steigbügelhalter für den Steine werfenden Linkschaoten Joschka Fischer. Dies erinnernd, müsste man sich angesichts der gegenwärtigen schwarz-grünen Planspiele in der CDU-Zentrale eigentlich verwundert die Augen reiben. Noch vor wenigen Jahren hätte das jetzige Werben der Hamburger Unionisten um die Grünen das konservative Lager nicht minder durchgeschüttelt wie die aktuelle Öffnung gegenüber der Linkspartei nun die SPD.

Ein Zusammengehen mit den Grünen hatten einst CDU und SPD gleichermaßen ausgeschlossen. Die Sozialdemokraten beugten sich zuerst den Realitäten eines stabilisierten Vier-Parteien-Systems, die Union folgte erst viel später – ist nun aber ebenfalls voll in der jüngeren Parteienrealität angekommen. Sag in der Politik niemals nie; das Land muss schließlich regiert werden, auch wenn der Wählerwille die Verhältnisse noch so schwierig gestaltet.

Die Sturheit der Altparteien

Kurt Beck und die Seinen hätten ohne ihr vordem gebetsmühlenartiges „Nie“ zur Linkspartei nicht die Glaubwürdigkeits-Probleme, die sie jetzt haben. Ein realistischer Blick auf die Ergebnisse der Bundestagswahl 2005 sagte jedem, der sehen wollte: Erstens, es gibt eine rechnerische Mehrheit links des konservativen Lagers; zweitens, die Republik muss sich für unabsehbare Dauer auf fünf Parteien einstellen. Das Ergebnis zur Erinnerung: SPD (34,2 Prozent), Grüne (8,1) und PDS (8,7) brachten es zusammen auf 51 Prozent Stimmanteil. Damit hätte für beide großen Parteien klar sein müssen, dass sie über kurz oder lang völlig andersartige Koalitionen ins Auge fassen müssen, wollen sie nicht permanent in Großen Koalitionen aneinander gekettet sein.

Statt von sich aus offensiv denkbare Optionen auch zu durchdenken, klammerten sich die einen an das „Nie“ gegenüber den alten grünen Schmuddelkindern, die andern an dasjenige gegenüber den neuen linken Schmuddelkindern. Festgefahrene Fronten – die erst das anhaltend unerbittlich diversifizierende Wählerverhalten bei den jüngsten drei Landtagswahlen zum Tanzen brachte.

Linke Selbstverständlichkeit in Westeuropa

Und was tut dieses Wählerverhalten? Einerseits besetzt es jene Problem- und Interessensfelder, die es bei den Etablierten nicht gut aufgehoben sieht, mit neuen Parteien. Die Grünen haben die Umweltprobleme nicht erfunden, sondern sind deren Ergebnis. Ebenso verhält es sich mit Linkspartei und neuer Sozialer Frage. Andererseits stellten die Wähler mit dem Vier-, erst recht mit dem Fünf-Parteien-System nach Jahrzehnten bundesrepublikanischen Ausnahmezustandes auch hierzulande europäische Normalität her.

Dass es links von der Sozialdemokratie teils sehr starke Parteien gibt, ist gerade in den EU-Kernländern seit Generationen schiere Selbstverständlichkeit. Die deutsche Sozialdemokratie hingegen hatte sich seit dem KPD-Verbot 1956 daran gewöhnt, dass links von ihr außer Splittern nichts existiert. Für sie kehrt nun gewissermaßen  historische Normalität wieder: Starke Konkurrenz von links, mit der sich schon SPD-Altvordere wie August Bebel und Friedrich Ebert allweil herumzuschlagen hatten.

Man darf die Schmuddelkinder (politisch) bekämpfen. Wenn das Wahlvolk sie jedoch zum festen Bestandteil unserer Demokratie erklärt, können die Alt-Parteien den Umgang mit ihnen kaum auf ewig verweigern.                                                   Andreas Pecht

(Erstabdruck am 5. September 2008)  

Analyse, Alle spielen mit den Schmuddelkindern: CDU mit den Grünen, SPD mit Linken
 
Diesen Artikel weiterempfehlen was ist Ihnen dieser Artikel
und www.pecht.info wert?
 
eMail an Autor • eMail to author • contact auteureMail an den Autor
eMail an webmaster • eMail to webmaster • contact webmastereMail an webmaster Seitenanfang • go top • aller en-hautan den Anfang Seite drucken • site print • imprimer siteArtikel drucken