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2008-02-27 Hintergrund:
Die Angst der Kunst vor 9/11

Aus Anlass des Mainzer Symposiums
"9/11 als kulturelle Zäsur"

 
ape. „Es wird nichts mehr so sein wie zuvor“, hieß es nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 in New York. Mehr als sieben Jahre später, stellten Kulturwissenschaftler bei einer Tagung in Mainz rückblickend fest: Die Künste haben seither dies Thema ganz anders verarbeitet als die Politik.
 
9/11 - ein Datumskürzel ist Symbol geworden. Es steht für die Einschläge der gekaperten Flugzeuge ins  World Trade Center, denen traumatisierende Wirkung auf Amerika, ja die gesamte westliche Welt zugeschrieben wird. 9/11 markiere „den Beginn einer neuen Zeitrechnung“. Mit solchen Superlativen reagierten Beobachter 2001 auf den in Endlosschleifen über alle TV-Sender laufenden Schrecken. Dass jener Angriff islamistischer Terroristen eine politische Zäsur darstellt, steht außer Frage. Seither dominiert der „Krieg gegen den Terror“ das Weltgeschehen bis herunter zu „Sicherheits-Bestrebungen“ gegenüber dem Internetverkehr in deutschen Wohnzimmern.

War aber 9/11 auch eine kulturelle Zäsur? Dies fragten sich  jetzt Kulturwissenschaftler aus fünf europäischen Ländern bei einer Tagung an der Universität Mainz. Zu Beginn stellten sie ein Phänomen fest: Zahllose Künstler gaben 2001 zwar Stellungnahmen der Betroffenheit, der Trauer, der Solidarität mit den Opfern ab. Aber gerade bei den Vertretern der Hochkultur dauerte es sehr lange, bis 9/11 Eingang in ihr Kunstschaffen fand. Der große amerikanische Roman zum 11. September ließ auf sich warten. Bis heute übersteigt die Anzahl der Sachbücher über die New Yorker Anschläge diejenige der fiktionalen Literatur um ein Vielfaches.

Erster 9/11Roman kam aus Frankreich

Und der erste große Roman zum Thema stammte dann auch nicht von einem Amerikaner, sondern vom Franzosen Frédéric Beigbeder. Sein „Windows on the World“ erschien 2003 und erzählt von einem Vater mit zwei Söhnen, die sich am 11. September in einem Luxusrestaurant der Türme aufhalten. Deren persönliches Schicksal stellt der Franzose in den gewaltigen Rahmen einer gewaltsamen Zeitenwende: 9/11 als Aufgalopp der apokalyptischen Reiter und als historischer Einschnitt, bei dem „Amerika den Zweifel entdeckt hat und in das Zeitalter Descartes eingetreten ist“.

US-Schriftsteller von Rang begannen erst viel später sich künstlerisch mit 9/11 zu befassen. 2006 versetzt sich John Updike mit „Terrorist“ in die Gedanken eines solchen, 2007 machen Don DeLillo in „Falling Man“ und Jay McInerney  in „Das gute Leben“ die Anschläge zu einer Wegmarke für ihr Romanpersonal. In allen Fällen geht es jedoch um private Verwicklungen, auf die die Katastrophe nur indirekt ausstrahlt. Anders Paul Auster und Richard Ford: Ihre Romane „Brooklyn Revue“ (2005) und „Die Lage des Landes“ (2007) enden kurz vor dem 11. September, erwähnen ihn mit keinem Wort – und unterstreichen gerade so das Gewicht der Ereignisse.

Interessante Feststellung in Mainz: Kaum ein bedeutender US-Autor folgt dem patriotischen Furor, der Amerika infolge der Anschläge erfasste, und den sich die Bush-Regierung für den Irak-Krieg oder Freiheits-Beschränkungen im eigenen Land zunutze machte. Philip Roth thematisiert diese Widerständigkeit erstmals in seinem eben erschienen Roman „Exit Ghost“ als doppelte Angst vor allem liberaler Amerikaner: Einerseits Angst, derartige Anschläge könnten sich wiederholen;  andererseits fast noch mehr Angst vor einer Diktatur der amerikanischen Neokonservativen.

Kino-Fiktionen wurden Wirklichkeit

Hollywood hatte mit 9/11 ein ganz eigenes Problem: Für das Kino war, so zynisch das klingen mag, jenes reale Horrorszenario ein alter Hut. Die Bilder, die 2001 in Echtzeit über die Bildschirme weltweit flimmerten, sie gehörten seit eh und je zum Katastrophenfilm. Entführte Flugzeuge, Bombedrohungen durch Terroristen, brennende Wolkenkratzer, zerstörerische Angriffe des Bösen auf Amerika: Das alles hatte man schon x-mal gesehen - in „Airport“ (1969), „Flammendes Inferno“ (1974), „King Kong“ (1933/1976), „Einsame Entscheidung“ (1995), „Independence Day (1995), „Air Force One“ (1996)  „Projekt: Peacemaker (1997) ….

Leinwand und Mattscheibe hatten 9/11 längst vorweggenommen. Und: Als der US-Präsident am Tag nach den Anschlägen den „monumentalen Kampf zwischen Gut und Böse“ ausrief, erhob er die  einschlägige Dramaturgie des Mainstream-Kinos in den Rang einer politischen Handlungsmaxime. Filmische Fiktion war Realität geworden – die Hollywood nicht mehr überbieten kann. Weshalb die Traumfabrik nach kurzer Anstandspause einfach weiter machte wie zuvor. Ihre filmische Auseinandersetzung mit 9/11 seither fällt spärlich und eher banal aus: Michael Bay lässt in seinem Science Fiction „Transformers“ entartete Roboter in Hochhäuser krachen; Oliver Stone inszeniert mit „World Trade Center“ einfach ein Helden-Epos.

Wie Kino und TV, so hatte auch das Comic-Genre seine Probleme mit 9/11. Wo waren Superman, Spiderman oder Captain America, als man sie brauchte? Einige Serien schwiegen sich aus, andere schickten ihre Stars als verborgene Helfer nach Ground Zero. Überraschung in den Nummern kurz nach der realen Katastrophe: Auch die miesesten Serienbösewichte suchten plötzlich den Schulterschluss mit der Gesellschaft gegen die Terroristen.

Mobilmachung für den "Kampf der Kulturen"

Wo die Geister der Schwarz-weiß-Malerei toben, hält sich ernsthafte Kunst gewollt bis verschreckt fern. Allenfalls versucht man, Nachdenklichkeit ins Spiel zu bringen. Während George W. Bush zum Kampf „Gut gegen Böse“ rüstete, warnten in Deutschland Hans Magnus Enzensberger und Jürgen Habermas davor, nun der 1996 publizierten Vorstellung Samuel P. Huntingtons vom unversöhnlichen „Kampf der Kulturen“ zu folgen.

Diese Stimmen gehen bald unter in einer Entwicklung, die durch 9/11 spürbar beschleunigt wurde: Die Religion kehrt mit Macht in die Diskussion zurück – und das ist die eigentliche kulturelle Zäsur. Ihre Spuren sind im Kulturleben Deutschlands gut zu verfolgen. Dort kristallisieren sich zwei Hauptströmungen heraus, deren Widerstreit die Szene bis heute beherrscht. Die eine will der Renaissance des Islam mit einer Renaissance christlich-konservativer Werte begegnen. Die andere setzt weiter auf die Möglichkeit einer friedlich-multikulturellen Globalität.

Auf den Theaterbühnen häuften sich vorübergehend Rückgriffe auf 9/11: In Koblenz spielt „Fidelio“ in der U-Bahn unter dem World Trade Center, in Detmold regnet es beim Terroranschlag zerstreutes Papier in den „Lohengrin“. Und fast verzweifelt setzen die deutschen Bühnen seit 2002 immer wieder Lessings Vernunftstück gegen den Religionskrieg, „Nathan der Weise“, auf die Spielpläne. Die Künste mühen sich um differenzierte Sicht. Ein Beispiel für viele: das Programm des Schauspiels Dortmund am 11. September 2007. Auf den Monolog „3 Wochen nach dem Paradies“ von Israel Horovitz über einen verängstigten New Yorker folgt der Text „Fünf Jahre meines Lebens“. Darin berichtet Murat Kurnaz von seinem Martyrium auf Guantanamo.

Das Bild, das die Kulturwissenschaftler in Mainz skizziert haben, widersetzt sich dem Trend zur groben und großen Vereinfachung. Darin folgen die Akademiker dem Umgang der ernsthaften Künstler mit 9/11 – weil die Welt eben nicht nach den simplen Kategorien „wir und ihr“, „gut und böse“ funktioniert.      
                                                                        Andreas Pecht

(Erstabdruck am 1. März 2008)

Analyse,  anknüpfend an Mainzer Symposium "9/11 als kulturelle Zäsur"
 
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