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2008-02-19 Schauspielkritik:  
Eine Eiswüste namens Deutschland

"Groß und klein" von Botho Strauss an den
Kammerspielen Godesberg. Regie: Ingo Berk

 
ape. Bonn. Plötzlich füllt auf der Bühne jede Menge uniformiertes Volk den weiß gekachelten Saal, der zuvor als triste Lobby eines Pauschalhotels in Marokko gedient hatte: Ein  leibhaftiges Bläsercorps zieht auf, der  „Bergklänge e.V“ aus Heisterbacherrott,  und schmettert ein verzweifelt-schmissiges „Glück auf“ durch die Godesberger Kammerspiele – derweil die Tambourmajorin im Traditionsröckchen ihre Blasenverkühlung im Schnaps ertränkt.

So geschieht es in der vierten der zehn Szenen des Botho-Strauss-Stückes „Groß und klein“.  Die spielt in Essen und wirft am Rande des Dschingderrassabums Blicke auf Leute aus dem unteren Drittel der Gesellschaft: den trunken gemachten Türken und seine deutsche Gattin; den jungen Bodybuilder-Proleten; Meggy, die mit erlöschendem Körper und Geist in einer anonymen Wohnanlage vergrabene Frau.

Die Ansiedlung des Stückes vorwiegend im sozialen Raum unterhalb der bürgerlichen Mitte  unterscheidet Ingo Berks Inszenierung für das Schauspiel Bonn von manch früherer Sicht. Aufeinander geschichtete Wohnkasterln benutzte schon Peter Stein bei der Uraufführung 1978 an der Berliner Schaubühne als Symbol-Orte der Isolation und Vereinsamung. Herrschte bei Stein noch Container-Gleichförmigkeit, so hat Damian Hitz nun ein Labyrinth aus Saal, Treppen, Balkonen und Wohnkabinen gebaut.

Die Lebensweisen sind im Äußeren unterschiedlicher geworden – die Versehrtheit der Menschen ist geblieben. Weshalb Lotte aus Remscheid, verlassen von ihrem Künstlerehemann aus Saarbrücken, weiter durch deutsche Milieus geistert, auf der vergeblichen Suche nach Anschluss und Zuwendung. Mit dieser Hauptrolle wird „Groß und klein“ zum Abend der Nicole Kersten. Im Faltenrock-Kostüm kommt sie als bodenständige, immer etwas in Altbackenheit verloren wirkende Figur daher.

Einerseits freundlich zu jedermann, bringt sie Momente von Wärme in abgestumpfte Ehen oder prekäre Schicksale. Andererseits ist diese Lotte keineswegs der selbstlose Engel, als der sie bisweilen gedeutet wurde. Kersten balanciert auf des Messers Schneide zwischen Zuwendung schenkend und selbige in penetranter Aufdringlichkeit einfordernd: Positive und negative Heldin in einem.

Die Inszenierung mischt bedrückende Sozialpoetik mit teils plakativ geratener Sozialcomedy. Die dreieinhalb Stunden haben Längen, einige Striche hätten eher genützt. Denn wie so oft bei Strauss gibt es keinen großen Spannungsbogen, sondern viele gleichberechtigte Szenen, die ein Gedankenzentrum umkreisen: Unsere Gesellschaft ist eine des Sinns und der Menschlichkeit entleerte Eiswüste.

Strauss lässt Lotte sein Gegenmittel andeuten: „Gott ist einfach, er verwandelt sich nicht und betrügt niemanden.“ Aber selbst der Sendbotin hilft das nicht aus der diesseitigen Einsamkeit: Kerngesund setzt sie sich am Ende ins Arzt-Wartezimmer, nur um ein bisschen Gesellschaft zu finden.                            Andreas Pecht

(Erstabdruck am 21. Februar 2008)

Bühnen Bonn, Kritik, "Groß und klein", Regie Ingo Berk
 
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