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2008-02-12 Essay:
Schärfere Strafen nützen kaum etwas

Ein Beitrag zur Versachlichung
der Diskussion um Jugendgewalt

 
ape. Jugendgewalt, zumal von Jugendlichen aus Migrationsfamilien, wurde im Vorfeld der Hessen-Wahl zum großen Thema. Doch war es bis zum  Urnengang fast unmöglich, das Problem angemessen zu besprechen: Zu sehr lastete auf allen Einlassungen der Verdacht wahltaktischen Kalküls. Der Pulverdampf des Wahlkampfes hat sich nun verzogen, die Jugendgewalt bleibt. Vielleicht finden jetzt Gedanken zur Sache offenere Ohren.

Wir alle möchten sicher leben wie in Abrahams Schoß. Möchten weder von Skinheads noch von „Ausländern“  angepöbelt oder gar verprügelt werden. Ich hasse es, in Situationen zu geraten, die Entscheidungen zwischen zivilcouragierter Einmischung oder beschämendem Wegsehen erzwingen. Wie schön wäre es, könnte solcherart Gefährdung des zivilen Friedens mit einem Federstrich, sprich: einem Gesetz, aus der Welt geschafft werden. Nur funktioniert das so leider nicht. Es hat noch nie so funktioniert.

Die Geschichte kennt keine Gesellschaft ohne Gewalt und Kriminalität. Selbst die ältesten  Zeitzeugnisse berichten zuhauf von Wegelagerern, Beutelschneidern, Mordbuben, Schlägern oder marodierenden Banden. Und das, obwohl deren Tun damals mit den allerärgsten Strafen bedroht wurde. Doch die konnten, beispielsweise, unseren Landsmann Johannes Bückler, genannt Schinderhannes, nicht davon abhalten, Hunsrück und Nahe-Raum unsicher zu machen. Johannes war 17, 18 Jahre alt, als er mit bandenmäßiger Räuberei begann. Mit 14 hatte er das erste Mal geklaut.

Das Ungestüm der Jugend

Mit gerade 20 kam der Bückler 1803 in Mainz an den Galgen. Auch er einer, der im Ungestüm und in der Selbstgewissheit seiner jugendlichen Kraft überzeugt war, dass man ihn nie erwischen würde, dass keiner ihm was anhaben könne. Ein Fall aus längst vergangener Zeit – der doch vorführt, was seither unzählige kriminologische Studien bestätigt haben und Juristen, Polizisten, Sozialarbeiter aus der Praxis wissen: Die Abschreckungswirkung von Strafandrohungen und Strafen ist eher gering.

Christoph Frank, Vorsitzender des Deutschen Richterbundes, fasst diese Erkenntnis so zusammen: „Die Formel: ,härtere Strafen gleich höhere Abschreckung gleich weniger Straftaten' ist schlicht falsch.“  Die Verhältnisse in den USA bestätigen das. Dort werden Jugendtäter härter bestraft als in Deutschland, drohte jugendlichen Gewalttätern bis März 2005 im Extrem gar die Todesstrafe. Der Erfolg dieser rigiden Gangart ist mäßig, Rückfallquote und Jugendkriminalitätsrate liegen deutlich über dem hiesigen Niveau. Mehr als 600 deutsche Juristen und Kriminologen gaben unlängst in einer  Erklärung ihrer Überzeugung Ausdruck, dass eine Verschärfung des Jugendstrafrechts in Deutschland sogar zu mehr Kriminalität führen würde.

Exorbitante Rückfallquote nach Gefängnis

Wir wollen sicher leben wie in Abrahams Schoß – müssen aber zur Kenntnis nehmen, dass härtere Strafen dahin keinen Schritt weiter bringen. Überhaupt wird in der Öffentlichkeit die Schärfe des bereits vorhandenen jugendstrafrechtlichen Instrumentariums in Deutschland verkannt: In schweren Fällen können die Gerichte straffällige Jugendliche für zehn Jahre hinter Gitter schicken. Aber die deutschen Richter tun das ungern, wissend, dass es wenig bis nichts nützt, dass gerade Gefängnis der erzieherischen Zielsetzung unseres Jugendstrafrechts kaum dienlich ist. Denn: Die Rückfallquote der so Bestraften ist exorbitant hoch, liegt bei gut 70 Prozent. Und: „Je jünger Menschen hinter Gitter kommen, umso höher ist ihre Rückfallquote“, weiß Christian Pfeiffer, Direktor des Kriminologischen Forschungsinstitutes Niedersachen.

Strafbewehrung ist notwendig, um allen Mitgliedern der Gesellschaft zu verdeutlichen, was hierzulande als Recht und Unrecht verstanden wird, was geht und was nicht. Ohne rechtliche Maßstäbe gäbe es keine allgemeinverbindliche Orientierung und schlussendlich auch kein verträgliches Zusammenleben in Freiheit. Indes: Daraus ist nicht ableitbar, dass Strafe auch automatisch einen bessernden Einfluss auf betroffene oder einen abschreckenden Effekt auf potenzielle Delinquenten hat.

Gewalt erzeugt nur Gewalt

Für die angeblich heilsame Wirkung körperlicher Züchtigung, auf die mancher noch immer schwört, ist das Gegenteil bewiesen: Gewalttätige Jugendliche kommen überwiegend aus Familien, in denen Prügel zur Normalität gehört – egal ob urdeutsch oder eingewandert. Kinder lernen nun mal  am nachhaltigsten von Vorbildern, guten wie schlechten.

Wie man es auch dreht: Entgegen altehrwürdigem Volksglauben haben sich schärfere Gesetze und härtere Strafen als ziemlich unwirksame Mittel erwiesen, Jugendgewalt und -kriminalität einzudämmen. Es gibt ihn einfach nicht, den Federstrich, den neuen Paragraphen, mit dem flugs mehr ziviler Friede hergestellt werden könnte. Weshalb der Ruf nach schärferen staatlichen Sanktionen überwiegend Ausdruck von Rat- und Hilflosigkeit ist. Bisweilen wird auch einfach gekniffen vor dem ungleich mühseligeren und teureren Weg der Problembekämpfung per Erziehung, Integration, Prävention, Bildung – Eröffnung von Lebensperspektiven.

Stochern in Dunkelziffern

Teile der öffentlichen und der veröffentlichten Meinung legen den Schluss nahe: Jugendkriminalität habe in Deutschland erheblich zugenommen, und die Mehrheit der Täter seien jugendliche Ausländer. Zu fragen ist: Stimmt diese Meinung mit den objektiven Tatsachen überein oder sitzen wir einer Hysterie auf? Die offizielle Kriminalstatistik weist aus: Die in Deutschland registrierte Gewaltkriminalität stieg zwischen 1997 und 2006 insgesamt um 15,6 Prozent; 43,4 Prozent dieser Taten werden von Jugendlichen unter 21 Jahren begangen; davon sind mehr als drei Viertel männlichen Geschlechts; gut jeder Fünfte hat keinen deutschen Pass.

Die Statistik erfasst jedoch nur die angezeigten Tätlichkeiten. Alles Übrige liegt in unerforschtem Dunkel. Weshalb es in einer Fachstudie für die Innenministerkonferenz heißt: „Es sind derzeit keine gesicherten Aussagen möglich, ob die Jugendgewaltkriminalität in den letzten Jahren einen deutlichen Anstieg zeigt.“ Wie ist denn nun die tatsächliche Lage? Niemand weiß es. Die kriminologische Forschung zumindest geht davon aus, dass die steigende Zahl der Gewalttaten in der offiziellen Statistik vor allem daher rührt, dass die Bereitschaft zugenommen hat, solche Taten überhaupt zur Anzeige zu bringen.

Kleinreden hilft nicht

Was den Anteil der jugendlichen Gewalttäter ohne deutschen Pass angeht, so ist er mit einem Fünftel sehr hoch. Allerdings sank er seit 1997 kontinuierlich von 30 auf 21,9 Prozent. Das Problem deshalb klein zu reden, was während der vergangenen aufgeregten Wochen bisweilen geschah, ist ein ebensolcher Unsinn wie Deutschland als Opfer einer Sintflut von Ausländerkriminalität hinzustellen. Festzuhalten bleibt: Wir haben ein tatsächliches Problem mit Jugendgewalt – wie übrigens die meisten unserer europäischen Nachbarn auch, dort vielfach in noch größerem Ausmaß.

Dies Problem würde indes schon rein rechnerisch nicht verschwinden, verwiesen wir einfach jenes Fünftel der Täter des Landes, die keinen deutschen Pass haben. Die übrigen 80 Prozent gewalttätiger Jugendlicher blieben uns doch erhalten: Sie sind deutsche Staatsbürger.

München und Mügeln

Erinnert sei an zwei Vorfälle aus jüngerer Zeit: Renter-Drangsalierung in der Münchner U-Bahn durch Täter mit Migrationshintergrund und Inder-Hatz in Mügeln durch  Urdeutsche. Beiden Ereignissen ist der barbarische Charakter gemeinsam, dass Stärkere in rüder Brutalität über Schwächere herfallen. Das sollte zivilisierten Menschen in beiden Fällen Grund genug sein für Ekel und Empörung. Und in beiden Fällen kann  die Herkunft der Täter aus prekären Sozialverhältnissen nicht als Entschuldigung gelten. Gleichwohl würden uns weder Wegsperren noch Ausweisung  der Täter jene Schwierigkeiten vom Halse schaffen, die aus der  sozialen Lebenswirklichkeit Deutschlands stets aufs Neue erwachsen.

Ja, beide Tätergruppen sollen für ihre Taten verantwortlich gemacht werden. Und: Die entsprechenden Sanktionen müssen zeitnah greifen, wenn sie überhaupt noch irgendeinen erzieherischen Effekt haben sollen. Diesbezüglich liegt hierzulande vieles im Argen. Schlussendlich aber ist das  Strafrecht kein Mittel gegen Verrohung, Verwahrlosung,  schlechte Vor- und falsche Leitbilder, gegen Bildungsferne und Perspektivlosigkeit, gegen Ausgrenzung und soziale Gettoisierung. In dieser Symptomatik unterscheiden sich die Unterschichtmilieus von Urdeutschen und Migranten kaum. Bei Letzteren kommt als spezielle Schwierigkeit die verbreitete ethnische Gettoisierung hinzu.

Kein Kind ist von Natur aus böse. Ursächlich für gemeingefährliche Jugendgewalt sind hier wie dort soziale und sozialkulturelle Umstände, die Köpfe, Herzen, Lebensweise von früher Kindheit an prägen. Das entlastet keine der Taten. Sollen jedoch Gegenstrategien eine einigermaßen nachhaltige Wirkung im Sinne von mehr zivilem Frieden entfalten, müssen sie eben diese Umstände ins Visier nehmen. Anders geht es nicht.

Fördern und Fordern

Das verhält sich in Sachen Jugendgewalt wie mit dem Rechtsradikalismus. Man sieht das Problem und ruft erstmal nach einem schnellen Problemlöser; in diesem Fall: NPD-Verbot. Mit dem Verbotsakt würde der Rechtsradikalismus allerdings weder beseitigt noch eingedämmt. Man hätte zwar etwas getan, aber überhaupt nichts erreicht – außer  vielleicht Gewissensberuhigung.

Am Ende führt der einzig Erfolg versprechende Weg zur Eindämmung von Jugendgewalt und –kriminalität dann doch nur über den langen Atem von Fördern und Fordern, Helfen und Erziehen. Denn wie schwierig auch immer sie sind: Es handelt sich bei den Tätern letztlich in der Mehrzahl um Kinder unserer real existierenden Gesellschaft. Polizeiliche und juristische Entschlossenheit sind unverzichtbare Sicherungen, die Lösung des Problems sind sie aber nicht.                                        Andreas Pecht

(Erstabdruck am 13. und 14. Februar 2008)

Essay zur Diskussion um Jugendgewalt
 
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