Kritiken Theater
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2008-01-13 Opernkritik:  
Mahagonny ist Deutschland

Matthias Fontheim inszeniert die Brecht/Weill-Oper als
"Aufstieg und Fall" von 1945 bis heute
 
ape. Mainz. Die Inszenierungs-Idee von Matthias Fontheim hat das Zeug, aus der Oper „Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny“, uraufgeführt 1930, ein gegenwärtiges Politikum zu machen. Leokadja Begbick, unternehmerisch rühriges Zentrum eines Gauner-Trios, piekst einen schwarz-rot-goldenen Wimpel in den Boden. So bedeutet dieser Gründungsakt der Wüstenstadt auf der großen Bühne des Mainzer Staatstheaters: Mahagonny ist Deutschland – und die Produktion will folglich von „Aufstieg und Fall“ dieses Landes  zwischen 1945 und heute erzählen.
 
Fall? Ausgerechnet jetzt, da allenthalben der Aufschwung besungen wird? Mit seiner Idee verfolgt der Regie führende Intendant die legitime Absicht, das Theater warnend, mahnend, entlarvend Sand ins gut geschmierte Jubelgetriebe des allgemeinen Ökonomismus schmeißen zu lassen.
Denn was Komponist Kurt Weill und Librettist Bert Brecht vor bald 80 Jahren als durchaus auch unterhaltsames Bühnenereignis in die Welt setzten, ist eine giftig-gallige Parabel auf die Diktatur der Marktgesetze und das darunter „schlimmste aller Verbrechen: kein Geld zu haben“.

Die Einheitsbühne von Ausstatterin Susanne Maier-Staufen beherrscht ein gewaltiges, horizontales Oval, darin ein riesiges, Glühlampen-bewehrtes Rund: Weltenauge, Zeittor? Im Rund jedenfalls, in der Pupille quasi, spiegeln sich als Videosequenzen bundesrepublikanische Zeitläufe. Parallel zum Fortschreiten des gespielten Operngeschehens im Vordergrund sehen wir hinten Filmsequenzen: Ende des Zweiten Weltkrieges, Trümmerlandschaft, Wiederaufbau, Nürnberger Prozesse, Wiederbewaffnung, Hippies und 68er-Proteste, Wettrüsten, Wiedervereinigung, dann Hedonismus, Sexismus und elektromediale Allmacht wie Verlogenheit jetzt.

Das Nebeneinander der beiden Ebenen – Film und Bühnenaktion – ergibt eine zwingende und überaus diskutable inhaltlich-politische Interpretation des Gesamtgeschehens. Unter Opern-kulinarischen Gesichtspunkten fällt das Urteil indes schwerer. Der vom Schauspiel kommende Fontheim müht sich sichtlich etwa am Umgang mit den Chören. Zur bedrohlichen Masse geballt oder zur Chorusline formiert: Im Einzelfall, gerade unter den Revueaspekten des Werkes, durchaus sinnvoll,  erschöpft sich der szenisch geordnete Choreinsatz doch schier in diesen beiden Anordnungen.

Auch das „Unvernünftige der Kunstgattung Oper“ (Brecht) fällt dem Schauspielmann nicht leicht. Weshalb er lieber gleich großzügig ihren Manieriertheiten nachgibt, statt die in „Mahagonny“ mögliche Schwebe zwischen Oper und Schauspiel auszuloten. So versucht die Mainzer Einrichtung dem ewigen Problem dieses Werkes zu entrinnen: Einerseits sind die Gesangspartien zu schwierig, als dass man sie – wie in der „Dreigroschenoper“ – mit Schauspielern besetzen könnte; andererseits bewegen sich die meisten Gesangspartien auf dem rauen Plaster zwischen Schön- und Sprechgesang. „Mahagonny“ enthält nun mal Songs, keine Arien.

Das Orchester unter Catherine Rückwardt hält auf einnehmend durchhörbare Art die Weill’sche Zwitterstellung zwischen philharmonischer Fülle und dem Schnarren einer Straßenkombo. Diese Grenzanforderungen erfüllt auch Edith Fuhr als Begbick mit sprödem, fast knarzendem Mezzo-Einsatz. Abbie Fuhrmansky bereichert für die Rolle der Hure Jenny die Wärme ihres Soprans mit treffend ordinärem Einschlag. Derweil singt der für den erkrankten Jürgen Rust eingesprungene Kor Jan Dusseljee seinen wegen Geldmangels von korrupten Richtern  zum Tode verurteilten Jim fast zu schön.

Schwierig wird es insgesamt beim Sprechen und Schauspielen: Das sind dann Deklamationen mit Sangesstimme in szenischer Künstlichkeit. Geschmackssache. Dennoch: ein interessanter Abend, und kurzweilig ebenfalls. Dafür gab es bei der Premiere reichlich Beifall. Eine Frage allerdings nimmt der Betrachter mit: Was bleibt vom Politikum mit aktueller Relevanz, denkt man sich die filmische Ebene weg? Wenig.                              Andreas Pecht

(Erstabdruck am 14. Januar 2008)  

Staatstheater Mainz, Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny, Regie Matthias Fontheim
 
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