Kolumne »Guten Tag allerseits«
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Sie finden hier die gesammelten Intro-Texte aus der Startseite von www.pecht.info im Monat November 2007 (beginnend beim ältesten Text, abwärts zu den jüngeren fortschreitend)
2007-11-03:
Guten Tag allerseits,
der Aufreger dieser Tage ist das Hantieren der US-Regierung mit der Möglichkeit für und der medialen Einstimmung der Öffentlichkeit auf einen großen Krieg gegen den Iran. Da jetzt auch Frau Clinton diese Möglichkeit nicht mehr ausschließt, muss man das Säbelrasseln ernst nehmen. Es beschleicht einen zusehends das Gefühl, als wolle das junge 21. Jahrhundert mit aller Macht zurückkehren zu den Gepflogenheiten des 19. und frühen 20. Jahrhunderts.

Dem dürsteren Gedanken sei ein lichter entgegen gestellt, gestern gefunden bei der Lektüre von Bodo Kirchhoffs neuem Roman "Eros und Asche". Darin heißt es über die Ehe:

"Die Liebeserklärung in einer Ehe ist die uferlos oder lebenslang kommentierte Art und Weise dieser Beziehung, die außer den Beteiligten niemand versteht. Immer wieder unser Ausholen und Erklären, wer der andere für einen sei - mit einer einmaligen Liebeserklärung ist es in der Ehe nicht getan. Die Erklärung, weshalb man zusammen ist und zusammen bleibt, ist die dauernde Begleitmusik dieses Seiltänzerischen Zustands, sie verleiht ihm künstliche Stabilität mit einer ständigen Liebesrede, mal leiser, mal lauter, mal zärtlicher, mal ruppiger, ein verbaler Coitus ohne Ende, ohne Höhepunkt; der Höhepunkt, das ist die Dauer. Und nichts schreckt den Ehegegner oder Eheflüchtling mehr ab als die Dauer. Er glaubt, die Masse der gemeinsamen Zeit müsse ihm den Atem rauben, ihm fehlt jedes Empfinden für den Raum, den diese Masse öffnet." 

Man  muss diesen Gedanken nicht teilen, um seine Schönheit zu erkennen.
  


2007-11-05:
Guten Tag allerseits,
 ein Marathon von 22 Wahlen steht Deutschland für die kommenden zwei Jahre ins Haus. Erster Höhepunkt sind die hessischen Landtagswahlen in rund drei Monaten. Der dortige CDU-Ministerpräsident Koch hat jetzt den Wahlkampf eröffnet; wie es seine Art ist: mit rumpelndem Getöse. Er steckt SPD, Grüne und Linkspartei unterschiedslos in einen Sack, den er als "Linksfront"-Menetekel an den höchsten Nagel hängt, auf dass die Bürger recht erschrecken vorm sprichwörtlichen Kommunismus-Gespenst, das wieder umgehe.

Derweil der Chef mit reichlich schwarzer Farbe vor den Roten warnt, ergeht sich sein Umweltminister in einer Rhetorik, die röter kaum sein könnte.  Die Energiekonzerne will er zerschlagen, weil sie ein Oligopol bilden. Das wollte er letztes Jahr schon, aber jetzt sei das Maß entgültig voll. "Jetzt" meint  einen Untersuchungsbericht des Bundeskartellamtes, der den Schluss nahe legt, die vier großen deutschen Stromkonzerne hätten zum Zwecke der Preistreiberei ein geheimes Preiskartell gebildet.

Die Aufregung in dieser Frage hat etwas Rührendes, weil getan wird,  als sei Unternehmenskonzentration und Streben nach Marktbeherrschung ein ganz unerhörter Verstoß gegen die Prinzipien der freien Marktwirtschaft. Was realiter allerdings Unfug ist und vom naiven Idealismus genährt, ehrlicher, solider Wettbewerb zum Nutzen aller sei das Wesen der Marktwirtschaft. Tatsächlich birgt dieses Wesen von Anfang die Tendenz zur Monopolisierung - mitsamt den aktuell erlebbaren rüden Vorstufen.

Diese Sache ist eine Seite, das hessische Getöse eine andere: Vor den Roten warnen, aber sich rot gerieren, das erinnert an die Frühphase der bundesdeutschen CDU, als die Partei noch die Verstaatlichung gewisser Schlüsselindustrien für durchaus vorstellbat hielt. Soweit will die Hessen-Union sicher nicht gehen, weshalb ihr Wahlkampfauftakt auch bloß als Wahlkampf verstanden werden kann: laut und hohl.  Man wird sich an die Tonlage gewöhnen müssen über die kommenden zwei Jahre.
2007-11-08:
Guten Tag allerseits,
heute mal kein Gedanke ans politische Getriebe. Allenfalls ein Moment seligen Gedenkens an jenes Transparent, das heute (8.11.07) vor 40 Jahren gemalt, tags darauf der entsetzten akademischen Zunft zu Hamburg vorgehalten wurde, und als eigentliche Geburtsstunde des republikanischen Nachkriegsdeutschland verstanden werden kann: "Unter den Talaren Muff von 1000 Jahren".

Wer mag, kann die nachfolgenden Einlassungen von Bertrand Russel (1872 - 1970, Mathematiker und Philosoph) über die Ehe in Zusammenhang damit setzen. Gleichwohl sind sie ein paar Jahre älter und hier gedacht als Gegenrede zu Kirchhoffs Lobgesang auf die Ehe, zitiert im "Guten Tag allerseits" vom 3.11.07 (vgl. "Gesammelte Intros" nebenstehend).

Hören wir also Herrn Russel:
"Die Ehe unterscheidet sich von anderen Geschlechtsbeziehungen durch die Tatsache, dass sie eine gesetzliche Institution ist. In den meisten Gemeinschaften ist sie auch eine religiöse, wesentlich jedoch ist der rechtliche Gesichtspunkt. Diese Institution ist weiter nichts als die Legalisierung eines Vorgangs, der sich nicht nur bei primitiven Menschen, sondern auch bei Menschenaffen und verschiedenen anderen Tieren vollzieht. (...)

Eine Ehe hat die meiste Aussicht das zu sein, was man glücklich nennt, wenn keiner der beiden Partner damit rechnet, viel Glück darin zu finden. Ich glaube, dass zivilisierte Menschen ohne Komplexe, Männer sowohl wie Frauen, dem Instinkt nach im allgemeinen polygam veranlagt sind. (...)

Der modernen Ehe steht noch eine weitere Schwierigkeit im Wege, die besonders von denen empfunden wird, die sich des Wertes der Liebe am meisten bewusst sind. Liebe kann nur gedeihen, solange sie frei und spontan ist; sie wird aber von dem Gedanken ertötet, dass sie nur pflichtmäßig sei. (...) Die Ehe als eine Kombination von Liebe und gesetzlichen Banden setzt sich so zwischen zwei Stühle."

Soweit Russels eher ernüchternder Befund, der ihn indes nicht zum Ehe-Feind macht: "Ich aber sehe in leichter Scheidung nicht die Lösung für Ehekonflikte." Stattdessen die Empfehlung: "Wenn eine Ehe fruchtbar ist und beide Partner vernünftig und anständig sind, sollte man nach meiner Meinung erwarten, dass die Verbindung lebenslang besteht, aber nicht, dass sie andere geschlechtliche Beziehungen ausschließt."

Worüber nun zwischen Küchentisch und Schlafzimmer angeregt diskutiert werden darf.
2007-11-13:
Guten Tag allerseits,
es kommt vergleichsweise selten vor, dass die christlichen Kirchen von dieser Stelle aus Zuspruch erfahren. Im Falle ihrer Opposition gegen die fortschreitende Umwandlung des Sonntags in einen Tag des schnöden Mammons gebührt ihnen jedoch auch die Sympathie derer, die mit dem Sonntag als "Tag des Herrn" wenig am Hut haben.

8-stündiger Normalarbeitstag, 6-tägige Normalarbeitswoche, dazu etliche Feiertage und ein Quantum Jahresurlaub, Beschränkung der Nacht- und Schichtarbeit auf das absolut Notwendige, Beendigung des Normalarbeitslebens mit dem 65. Lebensjahr: Dies waren Ziele der Arbeiterbewegung, christlicher wie überhaupt am Wohl der Menschen orientierter Sozialpolitik schon im 19. Jahrhundert. Über das 20. Jahrhundert wurden sie gesellschaftlicher Standard; mit der 5-Tage-Woche und dem 7-Stunden-Tag wurde Anpassung an die Produktivitätsentwicklung angestrebt. In der Schlussphase des letzten Jahrhunderts begann dann jene fortschreitende Zersetzung der Standards, die im 21. Jahrhundert aus dem Hoffnungswort   "Reform" ein Schreckgespenst macht.

Es wird getan, als seien Ladenöffnungszeiten bis in die Nacht und verkaufsoffene Sonntage ein Service, eine Wohltat, ein Segen vor allem für die arbeitende Bevölkerung. Das trifft sogar zu - für ein Arbeitsvolk, dem der geregelte Feierabend gestohlen wird, für eine Gesellschaft, deren Zeitordnung keinen Unterschied mehr macht zwischen Arbeitszeit und Freizeit. Zugleich ist die Ausweitung der Ladenöffnung selbst Instrument, alle Zeit in Normalarbeitszeit zu verwandeln.  Der gesamte Dienstleistungsbereich zieht mit länger werdenden Öffnungszeiten nach. Und das Verlangen der dortigen Unternehmer inklusive des dort "unternehmenden" Staates nach Abschaffung der Abend-, Schicht- und Wochenendzuschläge auf den Lohn ist die logische Konsequenz dieses Weges.

Nach sechs schweren Arbeitstagen musste selbst der liebe Gott verschnaufen. Wenn es schon dem Allmächtigen so geht, dem noch der Luxus vegönnt war, eine Arbeit nach der andern erledigen zu können, wie sehr erst bedürfen dann wir von moderner Hatz und Multitasking drangsalierten Menschlein der regelmäßigen Erholung. Nachts sollst du schlafen, verlangt die Natur vom Menschen. Am siebten Tage soll die Arbeit ruhen, verlangen alle großen Religionen - zwar nicht ganz uneigennützig, aber der Sache nach eben doch vernünftig.

Den zeitgenössischen Ökonomismus kümmert das alles nicht. Er setzt sich über Natur, Religion und Vernunft hinweg, will selbst die letzte menschliche Niesche seinem Regiment unterwerfen.  Und wir Deppen greifen auch noch begierig zu, wenn uns die Abschaffung von Feierabend und Sonntag als Steigerung der Lebensqualität angepriesen wird.
2007-11-20:
Guten Tag allerseits,
der in den zurückliegenden Tagen hier stehende Begrüßungstext mit dem Thema "arbeitsfreie versus verkaufsoffene Sonntage" hat nun Eingang gefunden in eine größere Analyse (siehe nebenstehenden Link für 2007-11-20). "Rettet den Sonntag", wie die ZEIT titelte, wird uns als Thema noch eine Weile begleiten, immerhin geht  es um nicht weniger als die abendländische Zeitstruktur und deren drohende Opferung auf dem Altar der fortschreitenden Ökonomisierung aller Lebenssphären.

Jetzt durch eine Kampagne des Dignitate-Vereins wieder mal von den hinteren Plätzen der Agenda nach vorne gespült, die Frage "Sterbehilfe" in Deutschland. Und wieder funktionieren alle ablehnenden Reflexe prima. Wieder wird diskutiert, als ginge es vor allem darum, Sterbenskranke vor mordlüsternen Erbschleichern, Euthanasiefanatikern oder Krankenkassen-Sparkommissaren zu schützen. In Wahrheit geht es aber um das Selbstbestimmungsrecht des Individuums auch über die Art seines Sterbens.

Es sei jedem aus christlichen oder sonstig moralischen Motiven gegen Suizid und aktive Sterbehilfe eingestellten Zeitgenossen unbenommen, für sich selbst entsprechend zu verfahren. Woher aber, frage ich, nehmen diese Menschen das Recht, mich via staatlichem Gesetz zu zwingen, mein Sterben nach ihren Glaubensgrundsätzen zu gestalten? Wie ich die Hoheit über mein Leben für mich beanspruche, so auch die Hoheit über mein Sterben. Ihr Gott ist für mich nicht zuständig - und es ist ungeheurlich, dass ihm über die Hintertür weltlicher Gesetze eine Zwangsvormundschaft über mich zugesprochen wird.    
2007-11-22:
Guten Tag allerseits,
es erreichen mich zurzeit diverse Reaktionen auf den Artikel

2007-11-20 Analyse:
Die Gesellschaft braucht die Normalität

gemeinschaftlicher Feierabende und
arbeitsfreier Sonntage


Darunter einige, die an der Bibelkundigkeit des Autors zweifeln. Umstandslos gibt der zu, dass Bibelstudium nicht zu seinen Lieblingsbeschäftigungen zählt. Was allerdings nicht ausschließt, dass er mit dem heiligen Buch zumindest in Grundzügen vertraut ist. Den bibelfesten Einwändern antwortete und antworte ich mit folgenden Zeilen:

Sehr geehrte Damen und Herren,
es sind kurz nach Veröffentlichung meines o.g. Artikels etliche Zuschriften bei mir eingegangen. Einige davon bemängeln die von mir mit biblischen Bezügen benutzte Rhythmisierung der Woche:
7. Tag = Sonntag = Sabbat. Ich habe schon beim Schreiben des Artikels befürchtet, dass besonders bibelfeste Leser sich an der von mir bewusst in Kauf genommenen Unschärfe reiben würden.

Zu meiner Entlastung sei angeführt: Für die im Artikel erörterte Frage ist es völlig unerheblich, ob das "abendländische Kulturgut arbeitsfreier Sonntag"  eher von der Genesis, den mosaischen Sabbat-Geboten, dem  neutestamentlichen Auferstehungstag oder der Konstantinischen Wochenordnung abgeleitet wird. Denn alle Ursprünge haben eines gemeinsam: Einen allgemeinen, festen Feiertag/Ruhetag je Woche, der die  Woche erst als solche kenntlich macht, sie gliedert. Und eben darum ging es in meinem Artikel - der durch eine Auffächerung bibelkundlicher und
kirchenhistorischer Feinheiten gewiss nicht an Klarheit im Hinblick auf  das eigentliche Thema gewonnen hätte. Weshalb ich um Nachsicht für besagte Unschärfe bitte. Mit freundlichen Grüßen ...

                  
2007-11-29:
Guten Tag allerseits,
im journalistischen Gewerbe machen sich jetzt, Ende November, die Kollegen/innen ans Materialsammeln für die Jahresrückblicke. Und alle Jahre wieder erleben sie dabei das Phänomen, dass sich vor ein paar Monaten erst ereignet hatte, was sie dem Gefühl nach eigentlich schon Jahre zurück vermuteten.

Recherchierend für einen Artikel über den Boom in den Sparten Comedy und Kabarett, der 2007 nochmal kräftig zulegte, stieß ich jetzt auf "Neues aus der Anstalt". Das Satire-Flaggschiff des ZDF
(mit Priol und Schramm an den Geschützen merklich entschlossener  und schärfer schießend als die Nach-Hildebrandtsche Truppe beim ARD-"Scheibenwischer") lief wann vom Stapel? Am 23. Januar 2007. Hätten Sie nicht gedacht, oder?

So schnell geht das mit der Gewöhnung. So flott ist mittlerweile das eben noch Brandneue in den Bestand des Altvertrauten überführt.  Was die Freude über die "Anstalt" nicht schmälert, im Gegenteil. Respekt übrigens für das ZDF, dessen heutige Obere wohl doch gelegentlich über den eigenen Schatten springen können. Wäre es nach früherem Lerchenberg-Usus gegangen, die Spitzzungenradikalinskis Priol und Schramm hätten  sich spätestens nach der dritten Sendung einen anderen Kanal suchen müssen. Manchmal steckt im Wandel der Zeiten auch ein Quäntchen Positives.