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2007-11-18 Schauspielkritik: | |
Beim Ruf der Lust wankt selbst die Staatsräson Konstanze Lauterbach inszeniert in Wiesbaden Franz Grillparzers Trauerspiel „Die Jüdin von Toledo“ |
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ape. Wiesbaden. Tanzend,
springend, jauchzend zerstört sie mit bloßen
Füßen das elegante Kreismosaik aus purpurnem Streusand. Ein
Irrwisch von Frau, fast Göre noch, in ihrer Verspieltheit so
hemmungslos nonkonformistisch wie in ihrer Sinnlichkeit.
Unausweichliche Fallgrube für einen jungen König, der im
spanischen Hofreglement zu ersticken, in einer Pflichtehe zu
vertrocknen droht. Die den Monarchen bald „verbuhlt und
leicht“, aber auch „voll arger Tücken“ mit
Lüstlichkeiten an sich bindet, ist Rahel, „die Jüdin
von Toledo“. |
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Franz
Grillparzers gleichnamiges Trauerspiel kam jetzt am Staatstheater
Wiesbaden in einer Inszenierung von Konstanze Lauterbach zur Premiere.
Für die Absichten der Regie sind Alexandra Finder als Rahel und
Sebastian Münster als kastilischer Königs Alfonso eine
Idealbesetzung. Die junge Frau auch schauspielerisch eine Naturgewalt
an frischer Schönheit, keckem Charme, jugendlich-flippigem
Sexappeal. Der junge Mann ein Grenzgänger zwischen Brunfthirsch
und Träumer, Krieger und Poet, König und Bübchen. Der kleinen Jüdin, die da unerlaubt, aber trotzig im Königsgarten herumtollt, muss er verfallen. Denn sowieso lockt ewig das Weib – und diesem von Grillparzer Jahrzehnte vor Wedekind eingeführten Lulu-Typus widersteht erst recht keiner. Die Kleine weiß sehr gut, was Männer reizt. Und sie vergisst es nie, mag in ihr selbst die Liebesflamme auch noch so heiß lodern. Das Mädchen aus geächtetem Volk und der absolute Herrscher – das ist in Wiesbaden ein Gurren, Turteln, Spielen, Umschlingen zwischen weißem Klavier und barocken Stühlen (Bühne: Andreas Jander). Wodurch Rahel zur ersten unter den Frauen wird, was sie auch wollte; ihr Vater (Rainer Kühn) zum korrupten Günstling, was sich ergibt. Über die Liebelei achtet der König seiner Feinde an den Grenzen und im eigenen Palast nicht mehr. Während sie mit Kopf, Herz und Leib diesen Weg geht, denkt er nur noch mit Letzterem. Gesellschaftliche Pflicht versus individuelle Neigung: Grillparzers lebenslang beackertes Spannungsgefüge gerät in diesem 1872 uraufgeführten Stück vollends aus den Fugen. Über den dafür ursächlichen Mechanismus hat Bert Brecht ein halbes Jahrhundert später die Ballade von der sexuellen Hörigkeit geschrieben. Konstanze Lauterbach macht ihn mit einem körperbetonten Andeutungsspiel sichtbar – das übrigens keiner nackten Tatsachen bedarf, um hinreichend Sinnlichkeit zu versprühen. Die Geschichte geht übel aus. Ganz wie es die ernste, ja dürstere Verena Günther in der Rolle von Rahels Schwester Esther zu Beginn bedeutet. Hof und tugendhafte Königin (Susanne Bard) morden des Königs unmögliche Geliebte: Mit Schneeschaufeln begraben sie das Mädchen unter jenem Purpursand, den es Anfangs im Übermut so durcheinander wirbelte wie nachher die Ordnung im Staate. Ist die Maid tot, kehrt der König zurück zu seinen Pflichten im Schoß seiner Klasse. Verflogen bald die hinter donnernden Alublechen gegen die Mörder hervorgestoßenen Racheschwüre – seine Welt hat ihn wieder, er die Macht nebst knochensteifer Gattin. Wer aber trägt nun Schuld am stattgehabten Kladeradatsch? Niemand, ist sich Lauterbach mit Grillparzers Ansinnen einig. Hinter dem hohen Stückton aus ehrwürdigen Jamben und Trochäen gilt: Wo Liebe und Lust zuschlagen, entfleucht für den Moment das Leben dem Korsett der Konventionen. Was zu beweisen war und in Wiesbaden ansehnlich bewiesen wird. Andreas Pecht (Erstabdruck am 19. November 2007) |
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