Kritiken Theater
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2007-11-09 Ballettkritik  
Schläpfer befreit den Tanz auf Spitze

Zwei sehr unterschiedliche Uraufführungen bei Programm XXV des ballettmainz: Innovativer Aufbruch und gefälliger Rückgriff  
 
ape. Mainz. Was ist Tanz zur Ballettkunst erhoben? Darin der absoluten Musik gleichend, ist er unmittelbarer Ausdruck von Gefühl und aus sich selbst heraus lebende, reine Ästhetik. Insofern kann Ballett auch ohne erzählende Momente auskommen, sich selbst als Stoff und Thema genügen. Welche Gipfel des Schönen solche Genügsamkeit hervorzubringen vermag, demonstriert die jüngste Choreografie von Martin Schläpfer mit dem ballettmainz.
 
„3“ lautet der schlichte Titel von Martin Schläpfers neuer Arbeit, uraufgeführt jetzt im Rahmen des Ballettprogramms XXV am Staatstheater Mainz. „3“, weil Passagen mit drei Tänzern  Kernelement sind. „3“ wohl auch, weil der Choreograf  hier zum dritten Mal mit dem Musiker Paul Pavey kooperiert. Dessen Beitrag – eine Melange aus Bandeinspielung und solistischer Live-Performance mit Cello und Stimme – grundiert die Choreografie, inspiriert und rhythmisiert zugleich jede ihrer 14 kleinen Tanzsequenzen.

Im dichten Teppich dieser frei zwischen Harmonik und Disharmonik schwebenden Klangmontage blitzt auch Vertrautes auf: Hier etwas Bach, da Färbungen aus asiatischem und arabischem Kulturkreis, dort Momente eines Tango. Musik wird zu Tanz,  Tanz ebenso zu Musik. Und das ist eines der Wunder dieses Abends. Schläpfer, oft gelobt für die Musikalität seiner Choreografien,  hat es hingekriegt, dass seine Tänzer nicht nur hervorragend nach Musik tanzen, sondern dass jeder  quasi auch tanzend musiziert. Wenn Bogdan Nicula einsam in kleinem Lichtkegel – auf schwarzer, endlos tiefer, ganz hinten ganz vage von Blumen und Blumengemälde begrenzten Bühne (Thomas Ziegler) – einer griechischen Sagengestalt gleich Schönheit des Körperausdrucks Muskel für Muskel, Geste für Geste auffaltet, kann man Bewegung „klingen sehen“.

Wenn drei Grazien Glizzandi des Cellos als Impuls aufnehmen, sich mit einem Drang aus dem Becken heraus von der Sohle auf die stehende Spitze zu schieben, ist das sichtbar gemachte Musik – der indes eine eigene, ertanzte Stimme hinzugefügt wird. Sohle versus Spitze: Was „3“ diesem auch balletthistorisch relevanten Kontrast abgewinnt, ist ein weiteres Wunder. Schläpfer hat seine Damen die verstärkten Ballerina-Schuhe wieder anziehen lassen und sie ausgeschickt, zu erproben, ob mit dem Spitzentanz heute noch was anzufangen sei.

Die Ergebnisse sind frappierend, insofern nun das gesamte Figuren- und Bewegungsrepertoire dieser Kompagnie sich quasi auf veränderter physikalischer Grundlage neu aufbaut. Zur bisherigen Formenwelt tritt eine parallele Spitzenwelt – was auf Sohle wild  wirkt, erscheint auf Spitze anmutig. Doch bei Parallelität bleibt es nicht: Die beiden Welten verschmelzen,  gebären eine neue dritte, die in Soli, Duos, Trios, Quartetten, am Ende in großer Formation eine betörende Palette bekannter und doch völlig neuartiger Figuren offeriert.

Wildheit und Grazie, stampfende Erdverbundheit und ätherisches Schweben fließen ineinander. Das ist die Befreiung der Spitze von der Künstlichkeit und die Erhebung der Sohle zur höchsten Kunst. In diesem Sinne verlieren auch die Kostüme (Catherine Voeffray) aus den Oberkörper umschnürenden Bändern ihren Charakter als Fessel. Sie mutieren zur die Sinnlichkeit der Tanzenden hervorhebenden Applikation.

Kongrastprogramm im zweiten Abendteil mit der Uraufführung von „Dance at the Crossroads“ des irischen Gastes Christropher Bruce.  Sie zeigt das ausgelassene Tanzen, Werben, Lieben junger Leute zu treibend-dröhnendem Iren-Pop als Erinnerung einer Alten an vergangene Zeiten.  Disco- und Folktanz aufgewertet zum temperamentvollen Wirbel balletöser Beschwingheit. In dieser gefälligen Arbeit liefern Callum Hastie und vor allem Yuko Kato als zentrales Paar eine bemerkenswerte Leistung ab.
                                                                                        Andreas Pecht
 
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