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2007-11-07a Feature:
Das große Unbehagen an der Normalität

Rüdiger Safranski spricht über "Romantik. Eine deutsche Affäre"
und provoziert Gedanken zur Gegenwart

 
ape. Koblenz. Grauer Pullover, braunes Sakko, ernste Züge, zurückhaltendes Auftreten: Der da jetzt in der Koblenzer Buchhandlung Reuffel dem Publikum sein jüngstes Werk vorstellte, macht nicht viel Aufhebens um seine Person. Und doch hat Rüdiger Safranski mit „Romantik. Eine deutsche Affäre“ das womöglich wichtigste Buch des Jahres 2007 geschrieben: Eine Betrachtung vergangenen Geisteslebens – von schier schmerzlicher Aktualität.

Er spricht erst Minuten, schon geistert in den Köpfen des gedrängten Auditoriums die Losung: Das 21. Jahrhundert bedarf einer neuen Romantik! Nicht, dass Rüdiger Safranski dies so platt postulieren würde. Wie überhaupt rednerischer Furor seine Sache nicht ist. Aber was der Philosoph und Schriftsteller im ruhigen Gestus griechischer Schule ausführt, packt und stellt durch Erhellung Betroffenheit im besten Sinne her.

„Ohne Beimischungen von Romantik kann kein literarisches Werk was sein“, sagt er. Und: „Bei aller Globalisierung, die Enge im Kopf nimmt doch beträchtlich zu; dazu ist Romantik das Gegenprogramm.“ Überhaupt sei das Leben ohne Romantik ein Irrtum. Dann eine kurze Replik auf Einwände gegen sein Werk in diversen Kritiken: Die Musik der Romantik greift  dort Platz, wo das Wort im Gefühl für das Unsagbare seine Grenzen findet. Und „natürlich“ bestreite er nicht, dass die Romantik-Epoche ein europäisches Phänomen war – nichtsdestotrotz habe sie ihre aufrührende Spitze und Tiefe in Deutschland erreicht.

Zum Ende der Vorrede ein Bekenntnis: „Ich liebe diese Epoche; was in Italien die Renaissance ist, sind in Deutschland Idealismus und Romantik“ – grundstürzende Geistesrevolutionen. Hernach liest Safranski aus seinem jüngsten Buch „Romantik. Eine deutsche Affäre“. Nicht zufällig stellt er das zehnte Kapitel ins Zentrum. Dort ist vom „Unbehagen der Romantiker an der Normalität“ die Rede. Von der Aufklärung aus der Unmündigkeit des Religiösen vertrieben, fanden sich  Herder, Hölderlin, Novalis, Tieck und Co. geworfen in die allseits erklärbare und dem „immer machtvolleren Regime der ökonomischen Nützlichkeit“ verfallene Welt des 19. Jahrhunderts.

Zweckmäßig hat das Leben, hat sogar das Denken zu sein!  An dieser Maxime der frühindustriellen Zeit leiden die Romantiker, stellen der „Entzauberung der Welt“ die Suche „nach neuen Quellen des Geheimnisvollen“ entgegen. Sie finden sie im Romantischen, in der Erhöhung des Imaginären und Fantastischen, im Sehnen nach dem Triumph der Subjektivität, des Gefühls, des Herzens über den Materialismus.

Während wir in der Buchhandlung mit roten Ohren dem Vortrag des Gebildeten lauschen, entsteht ganz von alleine der Gedanke: Wie erst müssten die Romantiker sich entsetzen, erlebten sie die unendlich fortgeschrittenere Version jener „Entzauberung der Welt“ im 21. Jahrhundert. Kaum ein Lebensbereich, der heute nicht dem Nützlichkeitsprinzip unterworfen wäre – Künste, Wissenschaft, Bildung, Sport, ja selbst das Kinderkriegen eingeschlossen.

Indem Safranski über das Gestern philosophiert, macht er Zuhörer wie Leser empfindlich für die, vielfach maskierte, Monstrosität der Gegenwart. Dabei keineswegs verschweigend, dass das Romantische ein zweischneidiges Schwert wider „die Langeweile der Nützlichkeit“ ist. Denn auch Träumen von nationaler Größe, von Blut-und-Bodengemeinschaft oder Gottesstaat, von Weltherrschaft wie von Weltrevolution wohnen romantische Kräfte inne. Weshalb ihm Heinrich Heine und E.T.A. Hoffmann so sympathisch seien: Beide mit aufgeklärt-kritischem Verstande in der Wirklichkeit zuhause und zugleich in den lichten Sphären der Fantasie beheimatet. Ein Ideal, dem sich an diesem Abend nicht nur Rüdiger Safranski verbunden fühlt.                Andreas Pecht      


(Erstabdruck am 8. November 07)
 
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