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2007-10-14 Ballettkritik  
Die Grenzen des Machismo

Anthony Taylor choreografierte dem Ballett Koblenz
Henzes "Maratona" und Tangos von Piazzolla

 
ape. Koblenz. Tanz ist  eine gefährliche Kunst. Das legt der Blick auf Ballettklassiker  wie „Giselle“, „La Sylphide“ oder „Le sacre du printemps“ nahe. Wer sich den Lockungen der rhythmisch-gefühligen Bewegungslust zu sehr hingibt, überlebt das womöglich nicht. Auch beim neuen Ballettabend von Anthony Taylor am Theater Koblenz ist ein Toter zu beklagen: In Hans Werner Henzes Einakter „Maratona“ von 1957 gewinnt der jugendliche Held Gianni einen Dauertanz-Wettstreit, der Siegerlorbeer bekränzt indes nur noch seine Leiche.
 
Zu lachen gibt es wenig,  zu schauen und zu hören umso mehr. Das gilt auch für „Tango!“, die vom Publikum enthusiastisch beklatschte andere Hälfte der Produktion. Ist bei Henze der Kampf im Tanzpalast um ein bisschen Geld und Ehre Thema, so geht es zu Ástor Piazzollas Musik um das libidinöse Ringen der Geschlechter. Taylor lässt auf leerer, schwarzer Bühne hintereinander drei Paare Aspekte dessen ertanzen, was den Geist des Tangos ausmacht.

Leticia Labaronne zeigt Ross McDermott die Grenzen des Machismo. Mag er mannesstolz im Paartanz führen, die wahre Führung liegt doch bei ihr: Eben umschlingt sie ihn mit hochgezogenem Bein, gleich stößt sie ihn von sich, zeigt ihm schnippisch die kalte Schulter. Mag der Mann wollen, was er will, den Gang der Dinge entscheidet die Frau. So verhält es sich auch bei  Yolanda Bretones Borra, die Michael Jeske allerdings nicht auflaufen lässt, sondern mit einem Furioso ausgefallener, Tango und zeitgenössisches Ballett kombinierender Figuren verführt.

Fast verloren geht die Bindung an die Strenge des Tangos beim Solo von Yao-Yi Hsu: Rund, weich, leicht tanzt er Romantik-Sehnsüchte nach Zweisamkeit. Ob das Glück mit Hinzutreten von Alisha Coon kommt, wissen wir nicht – das Paar bleibt technisch, reicht an die intensive Ausstrahlung der Vorgänger kaum heran.

Taylors Choreografie zeugt von Gespür für die Musik Piazzollas, auch für dessen Brechungen der Tango-Tradition. Mutig sind genre-fremde Figuren und Bewegungen eingewoben, ohne freilich den Gestus heißer Erotik hinter unterkühlter Fassade aufzugeben. Dem entspricht das Wirken der vier Musiker im gehobenen Graben. Man vermisst zwar den Klang des Bandoneons, wird aber von Klavier, Cello, Geige und Gitarre mit einer Musik entschädigt, die Tango atmet, ohne auf pittoresker Tango-Nostalgie herumzureiten.

Überhaupt: Die Musik ist an diesem Abend ein Erlebnis. Bei „Maratona“ sehen wir die Rheinische Philharmonie geteilt – Streicher im Graben, Blech und Schlagwerk als Tanzcombo hoch über der Hinterbühne. Karsten Huschke hält beide Gruppen prima zusammen, liefert der Compagnie eine mit Herz und Präzision gespielte Grundierung aus der so interessanten Henze-Musik: Klassische Moderne mal dramatisch auftrumpfend, mal sich in Swing und Jazz ergehend.

Tänzerisch erreicht das Handlungsballett „Maratona“ allerdings nicht die Dichte von „Tango!“. Es beginnt mit einem Prolog, der die Akteure des Tanz-Wettbewerbs vor Erschöpfung taumeln zeigt. Mit aufbrausendem Swing-Einsatz geht der Blick dann zurück auf den Anfang des Marathons im Tanzpalast, erzählt eine Geschichte von Stress, Konkurrenz, Ausnutzung, Eifersucht und hingebungsvoller Liebe. Taylors Choreografie hätte man etwas mehr Stringenz,  kompaktere Formationen, in summa: mehr Tanzen, weniger theatralisches Posing gewünscht.

Was die Abendbilanz jedoch nicht verhagelt, denn auch  „Maratona“ hat  seine Glanzseiten. Die liefern vor allem Campbell Watt und Yolanda Bretones Borra als zentrales Paar. Er ausdrucksstark und selbst manierierten Bewegungen Natürlichkeit gebend. Sie eine Tänzerin, der so etwas wie kraftvolle Grazie nicht fremd ist, und die  auch ungewohnte Figuren mit kunstvoller Selbstverständlichkeit tanzt.                                       Andreas Pecht

(Erstabdruck 15. Oktober 07)
 
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