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2007-09-30 Theaterkritik  
„Emilia Galotti“ als moderne Gesellschaftskomödie

Niklaus Helbling gibt am Schauspiel Frankfurt
Lessings Trauerspiel eine ganz neue Färbung

 
ape. Frankfurt. Der Prinz ist  klein, dicklich und gewollt lachhaft. Aljoscha Stadelmann  steckt in einem schrecklich anzusehenden, weil pinkfarbenen Anzug. Mit rollenden Beinen posiert er tanzend bei Swing, Jazz, Techno. Er mimt in diversen, sich auf der Bühne drehenden coolen Design-Salons von Dirk Thiele den Salonlöwen. Den freilich keiner diesem nervösen, zu Weinerlichkeit neigenden Hämpfling von Herrscher abnimmt. Staats- und andere Geschäfte überlässt er dem Kammerherrn Marinelli. Dem verpasst Wilhelm Eilers jenes ekle Moderne-Format selbstherrlicher Managertype im fein-dunklen Dreiteiler,  für die es „geht nicht“ ums Verrecken nicht gibt.
 
Die Atmosphäre der Inzenierung im Frankfurter  Schauspielhaus gaukelt zeitgenössische Gesellschaftskomödie vor. Gegeben wird indes ein 1772 uraufgeführtes, im Original als  Trauerspiel ausgewiesenes Stück: „Emilia Galotti“ von Gotthold Ephraim Lessing. Funktioniert das? Bringt die Anmaßung von Regisseur Niklaus Helbling gegenüber dem Klassiker ein noch vertretbares Bühnenergebnis hervor? Ja, sogar ein ziemlich gutes.

Was vor allem daran liegt, dass dem alten Werk nicht einfach nur moderne Äußerlichkeiten übergestülpt wurden. So nämlich geschieht es vielerorts:  Johanna schlüpft ins kleine Schwarze, Romeo in die Jeans oder  Doktor Faust in den Business-Zweireiher, gespielt wird hernach aber doch wieder das theatralische Pathos vergangener Zeiten und Welten. Nicht so in Frankfurt: Dort konvenieren Spiel- und Sprechweise mit der Staffage des Zeitsprungs.

Die Rahmenhandlung ist, wie sie immer war. Der Mächtige hat ein Auge auf Bügertochter Emilia geworfen. Mittels Täuschung, Entführung, Ermordung von deren Bräutigam, lässt er sich die Unschuldige zuführen. Marinelli hat die Drecksarbeit organisiert, dem Prinzen bleibt die Verführung. Deren erhitzender Lockung kann sich Emilia nur durch den Tod entziehen.

Lessings Moralepistel münzt die Regie zu einem dekadenten Hautevolee-Spiel um. Einer heutigen Gesellschafts-Soap, deren tödlicher Ausgang eher ein Betriebsunfall ist denn tragische Konsequenz – herrührend von zwei Mitspielern, die sich nicht an die Regeln halten: Die jugendlich frische, stets etwas über der profanen Welt schwebende Emilia von Anne Müller und ihr naiv bodenständiger Vater. Sie sind  Fremde  in solcher Gesellschaft. Insofern spricht man treffender vielleicht doch, statt von einer Komödie, von einer Tragikkomödie.

Zu jener Gesellschaft gehört als eigentlich interessanteste Frau die Gräfin Orsina, des Prinzen vormalige Mätresse. Sascha Icks kommt mit der Ambivalenz dieser Figur nicht richtig parat. Sonst eine klarsichtig Begreifende im tragischen Spannungsfeld zwischen kluger Emanzipiertheit und dem Schmerz einer fallen gelassenen Liebesdienerin, gerät bei der Frankfurter Orsina das emanzipative Potenzial ins Hintertreffen. Mag sogar sein, das ist so gewollt – eingedenk des Phänomens, dass auch heute noch, oder wieder, einige Damen (Herren ebenso) die seltsame Gier bewegt, den Mächtigen dienstbar zu sein.
                                                                                        Andreas Pecht

(Erstabdruck am 01.10.2007)
 
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