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2007-09-24a Festivalporträt:
Methusalem unter den Musikfesten:
30 Jahre Jazzfestival Neuwied


Charlie Mariano und Jasper van’t Hof, Topacts der ersten Stunde, spielen zum Jubiläum am 26./27.10. auf

 
ape. Neuwied. Was für die Einen das Lahnsteiner Bluesfestival, ist für die Anderen das Jazzfestival Neuwied: Unverrückbarer Markstein jeder Saison in der betreffenden Szene, wiederkehrendes Muss, liebgewordene Gewohnheit für die Freunde der jeweiligen Musikrichtung. Beide Festivals sind keine Massenevents, zählen aber als Qualitätsveranstaltungen zu den altehrwürdigen Institutionen im deutschen Konzertbetrieb. Tiefe Verwurzelung in den jeweiligen Musiktraditionen zeichnet sie ebenso aus wie feines Gespür für interessante Musikinnovationen. Neben den Musikstilen unterscheidet die Festivals ein kleiner biografischer Fakt: Das Jazzfestival Neuwied hat drei Runden mehr auf dem Buckel als das Lahnsteiner Bluesfestival. Mit der in diesem Jahr 30. Ausgabe ist das Neuwieder Zwei-Tage-Meeting der Methusalem unter den Musikfestivals – ein reifer Senior, aber springlebendig.
  
Wir treffen Werner Oberender. Er ist Lokomotive, Strippenzieher, Spiritus Rector des Festivals von Anbeginn. Er ist im nur 15-köpfigen Trägerverein auch der einzig Verbliebene jener Neuwieder Jugend-Clique, die 1977 aus dem schlichten Impuls heraus „wir wollen was machen“ das Jazzfest aus der Taufe hob. Sie waren damals gerade mal Anfang 20, erinnert sich Oberender. Im Rock sozialisiert, von Grenzgängern wie Chick Corea  oder Colosseum auf die Spur des Jazz gesetzt – und so eines Tages bei einem Jazzfestival im Sauerland gelandet. Dort beeindruckte der noch junge Jasper van’t Hof am Piano, weshalb Oberender ihn einfach mal fragte: „Hast du Lust in Neuwied aufzutreten, wir machen da ein Jazz-Festival.“ So ging’s zu damals in der internationalen Jazz-Szene – locker, direkt, von du zu du.
 
Vier Bands, ein Tag, open-air auf der Wiedinsel bei Niederbieber, ausgelassenes Happening: Das war das erste Neuwieder Jazzfestival im September 1978. Die Neuwieder Neulinge im Festivalgeschäft waren baff, als völlig unerwartet schließlich ein 500-köpfiges Publikum das Gelände füllte. Jasper van’t Hof kam tatsächlich, gab den solistischen Topact. Als 60-jähriger Star im Jazz-Metier kehrt der Niederländer jetzt am 26. Oktober  nach Neuwied zurück, um mit einem anderen Veteranen aus der Frühzeit des Festivals beim Jubiläum aufzuspielen: mit dem 83-jährigen Saxophonist Charlie Mariano. Der war Topact beim zweiten Jazzfestival 1979, das wieder rund 500 Zuhörer zu vier Auftritten an einem Tag anlockte.  
 
Schlechtes Wetter erzwang seinerzeit den Umzug in eine Heimbach-Weiser Sporthalle. Das Festival blieb von da an eine Hallen-Veranstaltung, wanderte 1993 ins Neuwieder Heimathaus, wo es bis heute residiert. Eine weitere Änderung gegenüber der Startphase kam 1980 mit der Ausweitung auf zwei Tage. Würde das Publikum ein solches Doppelmeeting annehmen? Es nahm – und strömte an beiden Tagen zuhauf herbei. Geändert hat sich seither die Zusammensetzung der Besucher: Der Anteil Auswärtiger ist heute deutlich höher als in den frühen Jahren des Festivals.

Drei Jahrzehnte sind eine lange Zeit. Die Liste der in Neuwied aufgetretenen Jazz-Ensembles und –Solisten ist entsprechend umfangreich und liest sich wie ein Who-is-who der Jazzgeschichte. Dauner, Doldinger, Mangelsdorff, Kühn, Weber, Stockhausen etc., die erste Riege der deutschen Jazzer war reichlich vertreten. Al Di Meola, Bill Evans, Ginger Baker, Jan Garbarek, Lester Bowie, Maceo Parker, Azia Mustafa Zadeh, Rabih Abou-Khalil et tutti quanti: Was Rang und Namen in der Jazzwelt hat, spielte auch mal in Neuwied. Sei es als Unbekannter am Anfang der Karriere, wie etwa Pat Metheny, der 1980 in der Deichstadt eines seiner ersten Deutschlandkonzerte überhaupt gab. Sei es als ganz Großer, wie der vor wenigen Wochen verstorbene Joe Zawinul, der sich in der Provinz über jenen ehrlichen Jazzgeist freute, an dem es heutigem Metropolen-Getriebe bisweilen mangelt. Und immer wieder in Neuwied auf dem Programm: Jazz aus Skandinavien. „Dafür haben wir eine Vorliebe, weil von dort regelmäßig aufregende  Entwicklungen kommen“, schwärmt Oberender. Die Nordländer sind im Jubiläumsjahr durch das Lars Danielsson Trio und den schwedischen Posaunisten Nils Landgren mit seiner Funk Unit vertreten.
 
Jazz ist eine experimentierfreudige Musik, ein ihr gewidmetes Festival muss es ebenfalls sein. Das in Neuwied ist so, auch „wenn es heute viel riskanter geworden ist, mit unbekannten neuen Tönen vors Publikum zu gehen“, weiß Oberender. Früher sei das ganz selbstverständlich gewesen. Als er beispielsweise 1980 in Zürich das „Jazzzwio“ von Pirschner und Pepl hörte, engagierte er die beiden Unbekannten mit ihrem unbekannten Sound aus Vibraphon und Gitarre ohne langes Überlegen nach Neuwied. Dort rieb sich das Publikum erst Augen und Ohren ob der nie gehörten Klänge, und geriet dann völlig aus dem Häuschen. „Heute wägt man erstmal Chancen und Risiken ab“ – und macht das Experiment dann trotzdem. Recht so! Die Kombination Trompete, Bass und Schlagzeug von NuBox mit den Plattentellerkünsten von DJ Kawamura dürfte beim Festival 2007 zu den spannenden Neueindrücken gehören. Ebenso die kreative Mixture aus Blues, Jazz, Country, Klezmer, Reggae… der New Yorker Truppe Hazmat Modine.
 
Wie das Bluesfestival Lahnstein ist das Jazzfestival Neuwied stets auch eine Art Familientreffen. Es gibt Besucher von hier oder aus der Ferne, die kommen seit 25 und mehr Jahren regelmäßig. Teils sind sie alte Bekannte geworden, die sich einmal im Jahr begegnen, beim Festival. Die Neuwieder haben seit dem ersten Jahr eine Interessentenkartei, die dazu dient, „Stammkunden“ zu informieren. Denn die sind eine sichere Bank für das Festival, auch finanziell. Kalkuliert wird streng; das Budget ist zwar solide fünfstellig, aber alles andere als üppig. Von Anfang an trug die Kommune Neuwied ein Schärflein zu dieser das Kulturleben der Stadt bereichernden Bürgerinitiative bei. Später kam das Land mit Projektfördermitteln hinzu, stieg die Sparkasse Neuwied als Hauptsponsor ein. „Rund ein Drittel der Finanzen kommt über solche Zuwendungen herein, zwei Drittel muss das Festival selbst einspielen“, rechnet Oberender vor.
 
30 Jahre - eine so große Zeitspanne geht bei keiner derartigen Unternehmung ohne Durchhänger ab. Wann hatte das Jazzfestival Neuwied seine Krise? Oberender mag von Krise nicht sprechen, räumt aber ein, dass in den 90ern die Luft mal dünne wurde. Schwankende  Besucherzahlen, angespannte Finanzen, in einem Jahr reduzierte man das Festival sogar wieder auf nur einen Tag. „Einen Augenblick lang reizte mich die Möglichkeit, das Kapitel Jazzfestival mit einem schönen runden 25. Jahrgang abzuschließen. Man wird auch älter.“ Daraus wurde, zum Glück für das Jazz-Leben hierzulande, nichts. Heute sind wir schon wieder fünf Jahre weiter - und ist die Jazz-Gemeinde auch wieder fünf Jahre älter. Das Publikum altert mit dem Festival, da geht es den Jazzern wie den Bluesern oder den klassischen Kammermusikern auch: Jugendlichen Nachwuchs gibt es auf der Bühne deutlich mehr als davor. Für Oberender kein Grund zum Verzweifeln, denn auch ein 50plus-Publikum ist Publikum, und gute Musik bleibt gute Musik. Alles Übrige wird sich finden – im 30. Jahr, vielleicht auch noch in den Jahren danach: beim Jazzfestival Neuwied.
                                                                                         Andreas Pecht
 
Infos: www.jazzfestival-neuwied.de  

(Erstabdruck Ende September 2007)    
 
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