Thema Politik
Thema Gesellschaft
homezur Startseite eMail an Autor • eMail to author • contact auteureMail an den Autor Seitenübersicht • sitemap • Plan du siteÜbersicht sitemap Seite drucken • site print • imprimer siteArtikel drucken


2007-09-18 Analyse: 
Die Freiheit für Sicherheit opfern?

Absichten von Schäuble und Jung auf dem Prüfstand


ape.
Der Innenminister  beschwört das Menetekel eines terroristischen Atombomben-Anschlages. Der Verteidigungsminister  will  von Terroristen gekaperte  Passagierflugzeuge abschießen lassen. Solch ultimative Szenarien verschärfen derzeit den Ton in der ohnehin schwierigen sicherheitspolitischen Diskussion Deutschlands. Einige Gedanken zu angeblichen oder tatsächlichen Zielkonflikten zwischen Sicherheitsbedürfnis und Freiheitsgrundsätzen.

Unterstellt sei, dass Wolfgang Schäuble und Franz Josef Jung bei ihren Vorschlägen zur Sicherheitspolitik das  Interesse aller Bürger im Auge haben, in größtmöglicher Sicherheit zu leben. Gute Absichten führen indes nicht automatisch  zu guten Ergebnissen. Die Ideen der beiden  müssen unter zweierlei Gesichtspunkten  geprüft werden. Erstens: Sind sie machbar und schaffen sie mehr Sicherheit? Zweitens: Wird dabei womöglich gefährdet, was eigentlich geschützt werden soll – Unversehrtheit und Freiheit der Bürger?

Der Verteidigungsminister will Passagierflugzeuge abschießen lassen, wenn sie von Terroristen gekapert worden sind und nun als Waffe viele Menschenleben am Boden bedrohen. Er will dies auch   tun, wenn beim Abschuss zahlreiche unschuldige Flugzeuginsassen zu Tode kämen. Problem Nummer eins, ganz praktisch: Wie lange braucht es, bis die Luftüberwachung eine Gefahr erkennt; bis Melde-, Entscheidungs- und Befehlsketten druchlaufen sind; bis die Jäger abgehoben und Schussweite erreicht haben?  30, 40, 60 Minuten, länger? Zu lange für die meisten Flugbewegungen überm kleinflächigen Deutschland.

Problem Nummer zwei bei Jungs Szenario und die eigentliche Krux: Sein Abschussbefehl würde unschuldige Menschen in der Luft töten, um – vielleicht – unschuldige Menschen am Boden zu retten. Das ethisch-moralische Dilemma ist offensichtlich – weshalb das Bundesverfassungsgericht 2006 das rot-grüne Luftsicherheitsgesetz kippte, das ein ähnliches Vorgehen vorsah.
Die Karlsruher Richter stellten fest: Es sei „schlechterdings unvorstellbar, auf der Grundlage einer gesetzlichen Ermächtigung unschuldige Menschen, die sich in einer derart hilflosen Lage befinden, vorsätzlich zu töten.“ Ein Abschuss lasse sich auch nicht „mit der staatlichen Schutzpflicht zugunsten derjenigen rechtfertigen, gegen deren Leben das als Tatwaffe missbrauchte Flugzeug eingesetzt werden soll.“

So weit das Verfassungsgericht unter Bezugnahme auf Artikel 1 des Grundgesetzes, in dem es heißt: „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu schützen und zu achten ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.“  Jungs  Planspiel bezieht sich also nicht auf einen Notfall, für den es keine gesetzliche Regelung gäbe. Das oberste deutsche Gericht hat eindeutig klargestellt, dass der staatlich sanktionierte Abschuss eines Terror-Flugzeuges mit Unschuldigen an Bord mit  der Verfassung nicht vereinbar ist.

Wenn Jung sich auf einen in keinem Gesetz verankerten „übergesetzlichen Notstand“ beruft, ist das ebenso fragwürdig wie die Bemühungen, mit einer Verfassungsänderung flugs legitimieren zu wollen, was jetzt noch verfassungswidrig ist. Ob gewollt oder nicht: Mit einer solchen Änderung des Grundgesetzes würde Hand an Artikel 1 gelegt und damit an die Säulen unseres Gemeinwesens. Alles nur Prinzipienreiterei und im tatsächlichen Notfall irrelevant? Mitnichten. Man muss sich bloß vorstellen, im abzuschießenden Flugzeug säßen  die eigenen Kinder.

Im Falle der von Schäuble betriebenen fortlaufenden Ausweitung  präventiver Ermittlungs- und Überwachungsmöglichkeiten liegt die Sache ähnlich schwierig. Sollte nicht, da den Terroristen jedes Mittel recht ist, uns auch jedes Mittel zur Terrorabwehr billig sein? Je schrecklicher die Bedrohungsszenarien aussehen, umso näherliegender scheint der Gedanke. Mag sein, dies ist der psycho-taktische Grund, weshalb Schäuble die seit vielen Jahren vorstellbare Bedrohung durch einen terroristischen Atomanschlag ohne konkrete Not jetzt wieder an die Wand malt.

Niemand ist dafür, dass die Sicherheitsbehörden auf lau machen. Sie sollen alles, was Recht ist, ausschöpfen. Das kann jedoch nicht so weit gehen, dass um des Schutzes willen das zu schützende Gut aufgegeben wird: die freiheitliche Zivilgesellschaft.  Weshalb es auch bedenklich ist,  wenn immer neue Praktiken zu Recht erklärt werden, die eben noch als Unrecht galten.

Wird heimliches Ausspionieren von Computerfestplatten durchgesetzt, fällt das bislang schützenswerte Gut der Privatsphäre der Beliebigkeit  anheim.  In der  Forderung nach Computer-Beobachtung sogar ohne richterlichen Beschluss steckt das nachgerade absurde Ansinnen, Ermittler sollen außerhalb der Rechtsstaatlichkeit  agieren dürfen. Hier wird die Grenze sichtbar, jenseits derer Freiheitsverlust zum Preis für Sicherheit wird.

Die Diskussion um Sicherheitspolitik ist so schwierig, weil die Akzeptanzschwellen gegenüber staatlicher Durchleuchtung bei verschiedenen Bürgern sehr verschieden sind. Was dem einen unerträgliche Beobachtung und Bevormundung ist, lässt andere völlig unberührt. Wer keinen Computer hat, den stören geheime Blicke auf Festplatten vielleicht wenig.   Manch einem wäre es wohl gar gleichgültig, sähe der Staat ihm durch den Fernseher bei der heimischen Abendbeschäftigung zu – wenn's nur der Sicherheit diente.

Mit gelebter Freiheit hätte das jedoch kaum mehr zu tun. Allenfalls damit, im selbstgewählten Bunker unter Aufsicht umhergehen zu dürfen. Eine Gefahr, die Deutschlands oberster Datenschützer, Peter Schaar,  in seinem jetzt  erscheinenden Buch „Das Ende der Privatsphäre“ als überaus real darstellt. „Unsere rechtsstaatlichen Errungenschaften gehen Schritt für Schritt verloren“ fasst er seine Erkenntnisse aus 20 Jahren  zusammen. Wenn wir aber die Freiheit vollends für vermeintliche Sicherheit drangeben, hätten die Terroristen ein wesentliches ihrer Ziele erreicht – ohne auch nur eine weitere Bombe bauen zu müssen.                      Andreas Pecht

(Erstabdruck am 19.09.2007)
 
Diesen Artikel weiterempfehlen was ist Ihnen dieser Artikel
und www.pecht.info wert?
 
eMail an Autor • eMail to author • contact auteureMail an den Autor
eMail an webmaster • eMail to webmaster • contact webmastereMail an webmaster Seitenanfang • go top • aller en-hautan den Anfang Seite drucken • site print • imprimer siteArtikel drucken