Thema Gesellschaft / Zeitgeist
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2007-09-10 Vortrag:
Pressefreiheit und Mediengesellschaft:

Die vierte Gewalt zwischen Aufklärung und Massenverblödung

Unkorrigiertes Rohmanuskript (teils ausformuliert, teils in Stichworten) eines Vortrages, der erstmals am 9.9.2007 bei den Marienberger Seminaren gehalten wurde. Das gesprochene Wort unterschied sich an vielen Punkten erheblich vom Manuskript.
 
Höret! Höret! Höret! Die hochgeschätzte Hausherrin gibt kund und zu wissen, dass diese Veranstaltung nach 80 Minuten für eine15- minütige Pause unterbrochen wird. Dass ferner um 13.30 Uhr das Mittagessen aufgetischt wird und deshalb bis dahin  alle Diskussionen beendet sein müssen. Höret! Höret! Höret!

Guten Morgen, meine sehr verehrten Damen und Herrn,
und herzlich Willkommen zum diesem Seminar mit dem Thema „Pressefreiheit und Mediengesellschaft – die vierte Gewalt zwischen Aufklärung und Massenverblödung“.

I. Vorformen des Pressewesens
Die Ankündigung von eben über den Zeitplan am heutigen Vormittag hat uns gewissermaßen in die Frühzeit medialen Geschehens katapultiert.

Der Ausrufer, Trommler
Ausgesandt von einem Auftraggeber (Herrschaft, Gemeinde, Kirche), um der Öffentlichkeit eine Nachricht zukommen zu lassen. (Befehle, Verordnungen, Hinweise auf bevorstehende Ereignisse, wichtige Todesnachrichten oder Gesellschaftsereignisse).

Zwei weitere Beispiele aus der Frühgeschichte des medialen Geschehens:

Fahrende Sänger/Erzähler

An'nem schönen blauen Sonntag
Liegt ein toter Mann am Strand
Und ein Mensch geht um die Ecke
Den man Mackie Messer nennt.
 
Und Schmul Meier bleibt verschwunden
Und so mancher reiche Mann
Und sein Geld hat Mackie Messer
Dem man nichts beweisen kann.
 
Jenny Towler ward gefunden
Mit'nem Messer in der Brust
Und am Kai geht Mackie Messer
Der von allem nichts gewusst.

Sie alle kennen diese Melodie und die Strophen aus Bert Brechts „Moritat von Mackie Messer“ aus der Dreigroschenoper. Brecht greift damit eine uralte Form des Nachrichtenwesens aus der Zeit vor Erfindung der Druckkunst auf: Die Verbreitung von Neuigkeiten und Nachrichten über außerordentliche Ereignisse anderwärts durch fahrende Erzähler, Sänger, Puppentheater oder Schauspieler. (plus heimischer Erzähler als Lokalchronist).

Auf den ersten Blick verbreiteten die damaligen fahrenden Spielleute nicht Nachrichten in unserem Sinne. Was sie in dieser oder jener Form (Beispiele) mitteilten, war der Wirkung aufs (zahlende) Publikum wegen
gezielt ausgewählt (wichtig, interessant, beispielhaft)
überhöht, übertrieben, spannend gemacht
subjektiv eingefärbt, also tendenziell.

Genau besehen, machten die Fahrensleut aber auch nichts anderes als viele Presseorgane heutzutage: Sie zogen aus den möglichen Nachrichten diejenigen hervor, die das (zahlende) Publikum wahrscheinlich am meisten interessiert und brachten sie in eine Darstellungsform, die es am ehesten und tiefsten bewegt, packt oder auch erschreckt.

Fahrende Erzähler, Sänger, Schauspieler haben über endlose Jahrhunderte gemacht, was wir gemeinhin als Erfindung erst der modernen Boulevardpresse, dann des Privatfernsehens missdeuten: Infotainment = die Verschmelzung von Information und Entertainment.

Der Pamphletist

Das nach Ausrufer und fahrenden Spielleuten dritte Beispiel aus der medialen Frühzeit ist der Akt, mit dem Martin Luther am 31. Oktober 1517 seine 95 Thesen in die Öffentlichkeit gebracht haben soll. Luther hatte  Missstände seiner Zeit recherchiert und analysiert (Ablassdogmen und –praxis vor allem), darüber verfasste er einen Artikel in Form von 95 Thesen, den er per Anschlag am Tor der Schlosskirche zu Wittenberg und durch gleichzeitiges Verteilen als öffentliche Streitschrift (=Pamphlet) in Flugblattform publizierte.

Folgerungen:
Sehen wir einmal über die unsereinen etwas befremdlich anmutenden Formen dieser drei historischen Medial-Phänomene hinweg, so finden wir dort bereits alle wesentlichen Ingredienzien auch des modernen Pressewesens beisammen:

Da wäre die typische Kommunkations- oder Vermittlungsstruktur:
Ereignis/Sachverhalt/Thema – vermittelndes Medium – Öffentlichkeit.

Beim Ausrufer: 
Thema/Sachverhalt ist die Zeitlinie des Seminars; vermittelndes Medium bin in unserem Beispiel ich, meine Stimme, sind meine Worte. Öffentlichkeit, also Adressat, sind Sie.

Beim Moritatensänger:
Thema ist irgendein Ereignis unlängst oder vor längerer Zeit an anderem Ort, vermittelndes Medium sind Erzähler, Sänger, Schauspieler und ihre Kunst, Öffentlichkeit ist das auf dem Marktplatz versammelte Publikum.

Bei Luther
tritt nun an die Stelle der Stimme, des Gesang oder des Schauspiels erstmals die Schrift, noch dazu in vervielfältigter Form, als vermittelndes Medium auf. Luther hat, wenn man so will, mit den 95 Thesen eine der ersten Zeitungen Europas herausgegeben.

Schauen wir uns an, was wie über diese bis heute gültige Kommunikationsstruktur vermittelt wurde, so stoßen wir erneut auf durchaus vertraute Elemente:
Der Ausrufer kündet vor allem von kommenden Ereignissen. Der praktische Nutzwert seiner Nachrichten für die Öffentlichkeit ist ziemlich groß, denn er teilt mit, wann in welcher Höhe Steuern fällig werden, die Müllabfuhr kommt oder ein Fest gefeiert wird. Im modernen Pressewesen nennt man das Leser- oder Zuschauerservice. (Beispiele: Veranstaltungskalender, Notfalldienst, Kartentelefone, Produkt- und Ereignisvorstellung…; teils gibt es dafür eigen Rubriken, Seiten, ja ganz eigene Zeitungen oder Sendeformate).

Beim Moritatensänger fällt der unmittelbare Nutzwert der Nachrichten hingegen eher gering aus. Seine Mitteilungen befriedigen in erster Linie Sensationsgier und Unterhaltungslust oder aber das Bedürfnis nach Erbauung respektive nach Erweiterung des geistigen Horizontes. Diese ganze breite Palette von Publikumsinteressen finden Sie heute in nahezu jedem Pressemedium intensiv bedient, mal besser, mal schlechter. Auch die Flaggschiffe des deutschen Qualitätsjournalismus (FAZ, Zeit, SZ) können und wollen auf ihre Unterhaltungssparten nicht mehr verzichten. Und umgekehrt tut auch die Bild-Zeitung so, als hätten dort Politik und Philosophie, Naturwissenschaft und die Künste eine publizistische Heimat.

Schließlich Luther: Er enthüllt die profane Beutelschneiderei hinter dem in fromme Worte gekleideten System der Kirchenmächtigen, nimmt den Zeitgeist unter die Lupe, verdeutlicht den Kulturverfall und die gegen biblischen „Verfassungsgeist“ verstoßenden Praktiken, hinterfragt kritisch den Mainstream und tritt dem Establishment auf die Füße. Luther ist Rechercheur, Enthüllungsjournalist und Leitartikler in einer Person. Zugleich ist er wohl der erste, der so etwas wie eine Medienmarktstrategie entwickelte: Mit seiner Bibelübersetzung hat er das Zeitalter Massen-wirksamer Medien eingeläutet – mit dem wir heute unsere Lust und unsere Last haben.

Was die mediale Frühzeit allerdings kaum kannte, ist jenes Element, das in der Gegenwart – zumindest der demokratischen Staaten – als Primäraufgabe der Presse angesehen wird: Möglichst sachliche, objektive Informationsverbreitung über das, was daheim und in aller Wellt geschehen ist oder geschieht.

Die Vorstellung, die Gesellschaft bedürfe des gut informierten Bürgers und eine Bevölkerung habe das Recht, sich über alles mögliche zu informieren, diese Vorstellung ist noch vergleichweise jung.
Sie ist eine Erfindung des bürgerlichen Zeitalters.  
Feudalherren wären niemals auf die Idee gekommen, ihre Untertanen müssten über politische Vorgänge in ihrem Beritt oder drumherum Bescheid wissen. Eine Geisteswelt, die Regierungsmacht und Herrschaft als göttliche Gnadengabe versteht, Staat und Gemeinwesen als persönliches Eigentum des Herrschers, einer solchen Geisteswelt muss die Idee von Untertanen, die über ihre alltäglichen Erfordernisse hinaus allgemein informiert sind, völlig unbegreiflich sein. Selbst wenn die Feudalherren Informiertheit der Untertanen nicht für gefährlich hielten, so müsste sie ihnen dennoch unnütz und überflüssig vorkommen.
    
 II. Das Pressewesen in der Historie

Aber die Herrschaften unterschätzten die Neugierde ihres Volkes, sein urwüchsiges Informationsbedürfnis;  sie unterschätzten ebenfalls den Mitteilungswillen ihrer kritischen Intellektuellen. Seit Johannes Gutenberg 1445 den Druck mit beweglichen Lettern erfunden hatte, kursierten in Europa jedes Jahr tausende von Flugblättern und Flugschriften. Die Mehrzahl setzte sich kritisch mit Verhältnissen und Ereignissen auseinander, viele nahmen Fürsten, Beamte und Kirchenvertreter respektlos auf die Schippe. Die frühe Geschichte der Presse ist nicht nur, aber doch zum erheblichen Teil eine Geschichte der Opposition.

Zugleich ist es eine Geschichte auch medialer Unterhaltung:
= illustrierte Flugblätter mit Darstellungen seltsamer Tiere, Monstrositäten, Karikaturen, höfischer oder fremdländischer Moden, Frivolitäten und Pornografie.
(Zeitbedingungen ansprechen: Ländliche Abgeschiedenheit, Analphabetismus, Bildungsferne…)

Vom Flugblatt zur periodisch erscheinenden Zeitung war es ein ziemlicher Schritt. Nicht zuletzt deshalb, weil die Zeitung mit ihren festen Strukturen (Inhaber, Redaktion, Druckerei, Vertriebsstellen) gegenüber obrigkeitlichem Zugriff wesentlich empfindlicher war. Weshalb die frühe Geschichte der Presse auch eine Geschichte der staatlichen Zensur und des ständigen Ringens um mehr Pressefreiheit war.

Wobei Zeitunglesen bis weit ins 19. Jahrhundert ein faktisches Kulturprivileg der gebildeten Stände war.

Ende des 16. Jahrhunderts erscheinen die ersten Periodika: Halbjahres oder Monatszeitschriften. Wie die „Rohrschacher Monatsschrift“ am Bodensee von 1597, die als Chronik kommentarlos einfach auflistete, was zurückliegend „an fürnehmbsten Geschichten  und Handlungen geschehen“. 1605 erscheint in Straßburg wöchentlich die vom Weltverband der Zeitungen als erste wirkliche Zeitung anerkannte „Relation aller fürnemmen und gedenckwürdigen Historien“. 1650 erblickt mit den „Einkommenden Zeitungen“ in Leipzig die erste Tageszeitung das Licht der Welt. Die Auflage soll bei 200 Exemplaren gelegen haben.

Kleiner Exkurs: Der Begriff „Zeitung“
  
„Einkommende Zeitungen“, in heutige Sprache übersetzt würde das heißen: Aktuelle Nachrichten. Denn im ursprünglichen Sprachgebrauch meint Zeitung nicht das papierene Druckobjekt, sondern jedwede Nachricht. Die entsprechende Redewendung hieß, etwa bei Schiller mehrfach zu finden: Er gibt uns Zeitung über…  Der Begriff stammt übrigens aus dem Rheinland, tauchte schon im 14.  Jahrhundert in Köln als „Zidung“ auf und meinte in schriftlicher Form übermittelte Kunde oder Nachricht.

Im 18. Jahrhundert nahm die Zahl der periodisch erscheinen Printtitel explosionsartig zu. Von mehr als 300 im deutschsprachigen Raum ist die Rede, das möglicherweise größte Blatt war der „Hamburgische Unpartheyische Correspondent“ mit einer für damalige Verhältnisse gigantischen Auflage von 30 000 Exemplaren. Zusammen  mit dieser Entwicklung erfuhr auch das Wort Zeitung seinen Bedeutungswandel hin zum heutigen Sinn: Ein Druckobjekt, das sich durch möglichst hohe Aktualität, regelmäßiges Erscheinen, allgemeine Zugänglichkeit und inhaltliche Vielfalt auszeichnet.

Drucktechnik und Massenpresse:

1812 wurde die Schnellpresse erfunden, die den bis dahin an die Handpresse gebundenen Druckvorgang um den Faktor 100 beschleunigte. 1845 kam dann die erste  Rotationsdruckmaschine auf den Markt; nun konnten riesige Druckauflagen in kürzester Zeit hergestellt werden. 1884 wurde die erste Linotyp-Setzmaschine produziert, ein mechanisches Wunderwerk, das das zeitraubende Herumhantieren mit einzelnen Buchstaben durch einen Vorgang ersetzte, der fast an das Arbeiten mit einer etwas wuchtig geratenen Schreibmaschine erinnert. Setzmaschinen auf Basis der Linotyp-Technik waren in deutschen Zeitungshäusern noch in den 1980ern im Einsatz.

Rotationsdruck und Linotyp-Satz waren die technische Voraussetzung dafür, dass bis zum Anfang 19. Jahrhunderts eine Zeitungslandschaft und Zeitungskultur entstand, die man sich heute überhaupt nicht mehr vorstellen kann. In den großen Städten konkurrierten oft Dutzende von Blättern miteinander, die bis zu vier Ausgaben täglich herausbrachten: Morgenzeitung, Mittagsblatt, Abendzeitung und Nachtausgabe. Der Begriff des „rasenden Reporters“ entstand wohl zu jener Zeit. Legendär ist der Wettstreit der mit heißer Nadel gestrickten Theaterkritiken nach Berliner Premieren: da hetzten die Herren Kollegen nach dem letzten Vorhang in die Redaktionen, hauten ihre Urteile in die Tasten oder direkt dem Setzer an der Linotyp in die Ohren, auf dass das in den Cafes und Bars beisammen hockende Premierenpublikum schon  in der druckfrischen Nachtausgabe die Kritiken über das eben Erlebte lesen konnte.

Das Deutschland der Weimarer Republik hatte die wohl vielfältigste und lebendigste Presselandschaft weltweit. Diese war nicht auf die Großstädte beschränkt, sondern erstreckte sich bis tief in die Provinz. Von der einstigen Vielfalt auch regionaler und lokaler Blätter zeugen bis heute erhaltene Zeitungstitel. Beispielsweise in der Rhein-Zeitungs-Familie „Oeffentlicher Anzeiger“, Bendorfer Zeitung, Kirner Zeitung etc., die inzwischen längst lokale Kopfblätter der Rhein-Zeitung sind, aber vielfach früher einmal selbständige Lokal-Zeitungen waren.

Eine blühende Zeitungslandschaft zur Weimarer Zeit also. Dann kamen der Rundfunk, die Nazis, der Krieg. Die Redaktionen wurden unter NS-Kuratel gestellt, die Zeitungen gleichgeschaltet. Presse im Nationalsozialismus ist ein ganz eigenes Thema, das ich heute hier aber nicht weiter entfalten will. Obwohl ein äußerst spannendes Kapitel jüngerer deutscher Geschichte, soll der knappen Zeit wegen auch der Wiederaufbau des Pressewesens nach dem Krieg unter der Ägide der Siegermächte nicht näher behandelt werden. Nur eine kleine Anmerkung:

Man kann in der Schlussphase des 2. Weltkrieges verfolgen, wie gleichzeitig zum Vormarsch der alliierten Truppen die deutschen Zeitungen von der Bildfläche verschwanden. Denn das Verbot der Zeitungen (und des Rundfunkbetriebes) war nach Einstellung der Kampfhandlungen am Ort jeweils eine der ersten Maßnahmen der alliierten Kommandanturen. (Stichworte: Zerschlagung des Propagandaapparates, Krieg um die Köpfe, ideologische Entnazifizierung).

Ähnlich wichtig nahmen die Siegermächte nachher auch den Aufbau eines neuen Pressewesens, das in den ersten Monaten selbst in den Westsektoren durchaus unter Zensurbedingungen arbeitete. Dennoch: Gerade die Amerikaner betrieben mit Nachdruck und sehr offensive die Wiederherstellung einer demokratischen Presse in deutscher Hand. Dass es dabei nicht immer hasenrein zuging, dass auch vormalige, in Schuld verstrickte Medienmächte bei der Lizenzvergabe wieder zum Zuge kamen und dass eben noch eifrig den Nazis nach dem Mund schreibende Journalisten wieder publizieren durften, ist in der deutschen Journalismusgeschichte ein ebenso unerfreuliches Kapitel wie in der Justizgeschichte, wie in der deutschen Nachkriegsgesellschaft überhaupt. 

Ein interessanter Aspekt sei noch kurz erwähnt:
Die mit dem Presseaufbau in Deutschland befassten Offiziere der US-Armee hatten ihre liebe Not mit einer Eigenart deutscher Journalismus-Tradition. Die Amerikaner  verstanden damals unter Journalismus, auch und gerade unter politischem Journalismus vor allem „News, News, News“, also Nachrichtenjournalismus. Wozu durchaus auch investigativer Journalismus gehörte, also das Ausgraben und Verbreiten von Skandalfakten. Was ihnen nicht geheuer war, war die Vorliebe des hiesigen Journalismus für Meinungsformate, für geistig-moralischen Diskurs und entsprechende Belehrung. Die hierzulande schon seit der Frühzeit der Presse übliche Fülle von Leitartikeln, Kommentaren, Kritiken, meinungslastige Kolumnen, Analysen, Essays und Predigten betrachteten sie mit irritiertem Misstrauen.


III. Die Pressefreiheit  

Befassen wir uns nun mit der Presse in der Bundesrepublik Deutschland, von der wir alle erwarten, erhoffen, fordern, dass sie zumindest
frei und unabhängig sei,
der Information und Meinungsbildung der Bürger diene,
Kontrollfunktion gegenüber Staat und Politik ausübe

und derart als wichtiges Element der Demokratie zum Funktionieren derselben beitrage.
 Grundgesetz Artikel 5, Absatz 1:
"Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt."

Mit diesen drei knappen Sätzen definiert unsere Verfassung die Pressefreiheit als quasi natürlichen Ausfluss des unveräußerlichen Menschenrechtes auf Meinungsfreiheit. Die Verfassungsväter haben damit zugleich einen verbindlichen Punkt hinter ein endloses Ringen um Pressefreiheit gerade in deutschen Landen gesetzt.

Exkurs Geschichte der Pressefreiheit:

1695 kam das englische Parlament Forderungen der Humanisten John Locke und John Milton nach, und verlängerte das Zensurstatut einfach nicht mehr. Damit war die Zensur aufgehoben, ohne dass der Begriff Pressefreiheit verwendet werden musste. 1776 erhob im Rahmen der amerikanischen Unabhängigkeitsbewegung der Staat Virginia als erster weltweit die Pressefreiheit in den Rang eines Menschenrechts. 1789 wurde dies bei der Verabschiedung der amerikanischen Bill of Rights nachvollzogen. Am 26. August 1789 verabschiedete die französische Nationalversammlung ihre Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte, womit erstmals in der alten Welt die Pressefreiheit Grundrechtsrang erhielt.

Bei uns dauerte das viele, viel Jahre länger. Die Deutsche Bundesakte von 1815 garantierte die Pressefreiheit, die Karlbader Beschlüsse führten 1819 aber die Zensur wieder ein. Das badische Preßgesetz von 1831 untersagte jegliche Zensur von Druckschriften, ein Jahr später wurde das Gesetz wieder aufgehoben. Nebenan in der Pfalz hatte die Bevölkerung seit 1797 als Teil der französischen Republik auch die Pressefreiheit genossen. Damit war es 1816 vorbei, als der Landstrich nach dem Wiener Kongress unter königlich bayerische Hoheit gestellt wurde. Als im 1830er-Jahr in der Pfalz die Knebel noch strammer gezogen wurden aus Angst, die französische Julirevolution könnte aufs Bayernprotektorat übergreifen, gründeten der Journalist Jakob Siebenpfeiffer und der Publizist August Wirth den „Deutschen Preß- und Vaterlandsverein“, der 1832 das Hambacher Fest initiierte als politische Kundgebung für Meinungsfreiheit, Pressefreiheit, Volkssouveränität und Nationale Einheit in einem europäischen Bund freier, selbstbestimmter Völker.
Die in der Frankfurter Paulskirche erarbeitete Verfassung sah Pressefreiheit vor, trat aber bekanntlich nie in Kraft. Die Verfassung des Deutschen Reiches von 1871erwähnt keine Pressefreiheit, aber immerhin auch keine Zensur. Das Reichspressegesetz von 1874 konstituiert erstmals eine gewisse Pressefreiheit fürs ganze Reich. Die Sozialistengesetze von 1878 schafften sie wieder ab.

Gültigkeit Grundgesetzartikel BRD:

Zurück in die Gegenwart der Bundesrepublik. Wir waren beim GG-Artikel 5 über Meinungs- und Pressefreiheit.  Ausdrücklich sei unterstrichen: Das Grundgesetz unterscheidet nicht zwischen wertvollen und minderwertigen Presseorganen. Die Pressefreiheit sowie die damit verbundenen Privilegien und Pflichten gelten für die FAZ ebenso wie für die Bild-Zeitung, für den Spiegel ebenso wie für Echo der Frau, fürs ZDF ebenso wie für RTL2, für eine Publikation mit Millionenpublikum ebenso wie für ein Dorfblättchen mit 100er-Auflage.

Die Pressefreiheit schützt ferner den gesamten Produktions- und Distributionsprozess von Presseerzeugnissen.  Denn was hätte man schließlich davon, dürfte man zwar nach belieben Artikel schreiben, aber die Obrigkeit schließt die Druckerei oder Sendeanstalt, steckt die Grossisten oder Zeitungsverkäufer ins Loch, sperrt dem Sendeverteiler in Bad Marienberg den Strom ab? Es bliebe das Recht auf freie Meinungsäußerung, nur keiner würde von deiner Meinung erfahren. Solche perfiden Methoden zur indirekten faktischen Unterdrückung der Pressefreiheit, während sie als Verfassungsrecht zugleich hochgehalten wird, erleben wir derzeit etwa in Russland zuhauf.

Man könnte einwenden: Was manche Boulevardmedien mit der Pressefreiheit anstellen, sei Missbrauch, ja Pervertierung derselben. Da ist viel Wahres dran. Aber wie bei der grundgesetzlich garantierten Kunstfreiheit auch, stellt sich die Frage: Wer, bitte, soll entscheiden, was Kunst ist, was nicht, was schützenwerte journalistische Leistung und was dumpfbackener Unfug, was Meinungsäußerung und was böswillige Verleumdung? Volkes Stimme, die Stammtische, die Kirchen, am Ende gar der Staat? Man machte den Bock zum Gärtner - das wäre so oder so die Aushebelung der Pressefreiheit wie der Kunstfreiheit. Es ist schon schwierig genug, die aus Einzelgesetzen herrührenden, in speziellen Fälle wirksam werdenden  Einschränkungen der Presse- und Meinungsfreiheit angemessen zu bewerten. Denken Sie an die Spiegel-Affäre, wo Adenauer und Strauß den Vorwurf des Verrates von Staatsgeheimnissen als Vorwand gebrauchte, das unliebsame Nachrichtenmagazin zu verbieten (siehe auch heute zB „Cicerco“-Durchsuchungen).

Die „vierte Gewalt“:

„ Eine Zensur findet nicht statt“ legt die Verfassung fest und schuf damit den Raum dafür, dass die Presse sich zur sogenannten Vierten Gewalt neben Legislative, Judikative und Exekutive entwickeln konnte. Vierte Gewalt ist kein verfassungsrechtlicher Offizialbegriff, sondern ein informeller Terminus, der zum Ausdruck bringt, dass die Presse wesentlich zur öffentlichen Meinungsbildung beiträgt und die Staatsgewalt kontrolliert.  Oder das zumindest soll. In einem Urteil aus dem Jahr 1972 führt das Bundesverfassungsgericht aus, dass: „die freie geistige Auseinandersetzung ein Lebenselement der freiheitlichen demokratischen Ordnung in der Bundesrepublik und für diese Ordnung schlechthin konstituierend [ist]. Sie beruht entscheidend auf der Meinungs-, Presse- und Informationsfreiheit.“

Sie sehen, meine Damen und Herrn: Nach diesem Verständnis, das in den meisten westlichen Demokratien Allgemeingut ist, ist eine demokratische Gesellschaft ohne ein funktionierende freie Presse gar nicht vorstellbar. Die Ansprüche, die daraus an die Presse selbst erwachsen, sind enorm hoch. Kann sie sie erfüllen, erfüllt sie sie? Schauen wir uns die aktuelle deutsche Medienlandschaft etwas genauer, werfen wir auch ein paar Blicke hinter die Kulissen.

IV. Die aktuelle Medienlandschaft in der BRD

Printmedien:
Unterscheidung
nach Zeitungen und Zeitschriften;
nach Publikumstiteln und Fachtiteln;
nach Regionalpresse und überregionaler Presse;
nach Qualitätsblättern und Boulevardblättern.

Elektronische Medien:
Radio, Fernsehen, Internet.
Öffentlich-rechtlich;
Privat.

Das Prinzip öffentlich-rechtlich gibt es nur bei den Elektronischen, nicht im Printbereich. Fast alle Zeitungen und Zeitschriften sind zugleich  privatwirtschaftliche Warenangebote. D.h. sie müssen auch, bei Strafe des Untergangs, wirtschaftlich arbeiten, letztlich also Gewinn erwirtschaften.

Wie finanzieren sich Printmedien?
Verkaufserlös und Anzeigenerlös, wobei letzterer den größeren Einnahmenanteil ausmacht. Je höher die verkaufte Auflage, umso größer auch die Anzeigenreichweite, umso höher auch der Anzeigenpreis.
Profaner Effekt: Leser ärgern sich manchmal über so viele Anzeigen  in ihrer Zeitung, die Zeitungsmacher sind glücklich, weil es dann ihrem Unternehmen gut geht.
Erkläre: Diversifizierte und deshalb geringere Abhängigkeit.
Erkläre Zweischneidigkeit wirtschaftlichen Erfolges: Viele Anzeigen ärgern, ermöglichen aber zugleich, theoretisch, opulentere Redaktion und größeren/besseren Redaktionsteil.

Gefährdung der Pressevielfalt und -freiheit durch wirtschaftliche Zwänge:  

1. Anhängigkeit von Werbung
Der Redaktionsteil der Zeitung soll unabhängig sein. Je schwieriger aber die wirtschaftliche Lage des Zeitungsverlages, umso größer der Druck, auf potenzielle oder tatsächliche Anzeigenkunden Rücksicht zu nehmen.
Schwieriger, andauernder Balance-Akt der Zeitungshäuser zwischen jounralistischem Auftrag und wirtschaftlichen Erfordernissen.

2. Fortschreitender Konzentration in der Presselandschaft reduziert Presse- und auch Meinungsvielfalt. (Beispiel Aachen, Beispiel WAZ, Springer, Dumont, Bertelsmann).

Vor diesem Hintergrund kann/könnte/müsste das öffentlich-rechtliche, aus Gebühren finanzierte Rundfunksystem eine uneinnehmbare Bastion für unabhängigen Journalismus sein. Teils ist das auch so, und wäre es eine Katastrophe, würden ARD und ZDF aus der Medienlandschaft verschwinden.

3. Gefährdung der Pressefreiheit durch schlechte Journalistenbezahlung:
 
Aber: Wir hörten in letzter Zeit wiederholt auch von Schleichwerbung im Fernsehen, von Moderatoren und Journalisten, die sich haben verführen lassen, versteckt Produktplacement und Firmen-PR in ihren Sendungen zu betreiben. Wir sehen Journalisten in Werbetrailern oder Anzeigen. Meist handelt sich dabei um „Kollegen“, die das finanziell nicht wirklich nötig haben.

Es gibt aber auch ganz andere, die ihr Überleben nur sichern können, wenn sie neben ihrer journalistischen Tätigkeit noch andere „Arbeiten erledigen“.

Einkommensstruktur im deutschen Pressewesen:

- das Heer der „armen Schweine“ ganz unten: Freie Mitarbeiter bei Lokalzeitungen, lokalen Radio- oder TV-Sendern. (So einer kann am Ort richtig wichtig sein, und doch nur ein Taschengeld verdienen). Honorare, auf Stundenlohn umgerecht, bisweilen unter 3 Euro.
- Gruppe der Pauschalisten (Beispiele).
- Gruppe der angestellten Normalredakteure geteilt danach ob sie Tariflohn erhalten oder in einem Unternehmen arbeiten, das sich vom Tarif verabschiedet hat. (Beispiele)
 - Gruppe der Hoch- und Spitzenverdiener (Beispiele).
     
Wo die Bezahlung sehr schlecht, macht sich die Notwendigkeit breit, zuzuverdienen. Der Journalist nutzt seine Kontakte, um an Brotaufträge (PR, Werbung, Redenschreiben etc.) zu kommen. Wer vergibt solche Aufträge? Unternehmen, Verbände, Parteien, Ministerien, Kultur- und Bildungsinstitutionen. Im Regelfall gibt es das ehrliche Bemühen des Journalisten, das journalistische Kerngeschäft von diesen Zusatzarbeiten getrennt zu halten. Aber es gehört schon allerhand Erfahrung, Selbstbewusstsein und berufsethische Haltung dazu, etwa journalistisch zu einem Minister kritische Distanz zu halten, aus dessen Ministerium man wiederholt unverzichtbare Brotaufträge erhält.

Die Tendenz in der deutschen Medienlandschaft weist eindeutig in Richtung Verminderung des Stammpersonals, Vermehrung der niedrig bezahlten Jobs. (Stichwort: Auslagerung, Fremdvergabe, Storyeinkauf bei Billigagenturen).
 
Und klar ist: Personell ausgedünnte Redaktionen können auch nur noch ausgedünnte Recherchen betreiben. 

Vom Herdentrieb im Journalismus:
Sie alle kennen das Phänomen, dass an manchen Tagen die unterschiedlichsten Medien alle die gleichen Themen mit fast gleichem Tenor behandeln. Oft sind es nicht einmal Themen, die durch besondere Ereignisse gesetzt werden oder von besonderer Wichtigkeit wären. Sie tauchen wie aus dem nichts auf und füllen plötzlich alle Kanäle. Die Gleichheit  oder Einheitlichkeit reicht bisweilen bis in die Wortwahl der Texte hinein.

Signifikantes Beispiel: Die Online-Ausgaben von Zeitungen und Sendern bei der Erstvermeldung am frühen Vormittag.

Erklärung: Das Agentur-Prinzip 
Die wichtigsten Presseagenturen: dpa, afp, ap, reuters
Mechanismus: Was die Agenturen bringen, haben alle Medien. Es zu ignorieren kann eine riskante Angelegenheit sein. Und: Je ausgedünnter die Redaktionen, je dünner ihr Korrespondentennetz, umso gravierender die Agentur-Hörigkeit.

Erklärung: Das Agenda-Prinzip
Es gibt zu bestimmten Zeitpunkten bestimmte Themen, die im öffentlichen Bewusstsein verstärkt präsent sind. Das ÖB und die Journaille sind besonders sensibilisiert dafür.
Beispiele:

- Pisa-Studie: der große Furor war vorgestern, aber das Thema steht dennoch latent auf der Agenda; Kommt irgendeine neue Studie oder gibt es irgendwo irgendwelche signifikanten Vorkommnisse im Schulbereich, KOCHT Pisa wieder HOCH.
- Klimawandel dito.
- Kinderarmut: War vorübergehend von der Agenda verschwunden. Neue Zahlen und der alarmierende Ton diverser Institute brachte das Thema Ende August wieder in die Schlagzeilen. Inzwischen ist es wieder verschwunden.

Beispiele für Themensetzung durch Vorgabe der Leitmedien:

- Pflegenotstand:

In ihrer Ausgabe vom (ich glaube) 30.8. titelte die Bild-Zeitung „Pflege-Schande“. Die Bild-Redaktion hatte einen Tag vorab einen Untersuchungsbericht des Medizinischen Dienstes der Bundesvereinigung der Krankenkassen zugespielt bekommen, und richtig gerochen, dass das ein richtiger Aufreger sein kann. Der Bild-Titel sorgte für enormen Zulauf bei der Pressekonferenz am Mittag des 30.8., wo der Bericht regulär vorgestellt wurde. Am 31.8. stieg die gesamte Presselandschaft groß in das Thema ein. Ohne die Bild-Vorgabe hätte das Thema womöglich keinen so großen Wiederhall gefunden.

- Die Republik rückt nach links
 = Zeitaufmacher vor 2 Wochen. Bekanntes Faktum seit Bundestagswahl 2005 mit ihrer Mehrheit links von der Mitte. Damals einigten sich jedoch die Leitmedien und Leitartikler auf die Lesart: Der Wähler will eine große Koalition. Und das, obwohl beide großen Parteien die eigentlichen Verlierer der Wahl waren.  

Einflussnahme durch Lobbyisten und Politik (Themendropping zB):

Die „Agenda“ ist ein geheimnisvolles Ding. Diese nirgends beschlossene, nirgends fixierte, aber quasi allmächtig durch den Äther geisternde Liste der in der Presselandschaft zurzeit wichtigen Themen zieht Politiker und alle Lobbyisten dieser Welt magisch an. Denn was die Presse auf der Agenda hat, ist Gegenstand der öffentlichen Meinung.

Die Meinungsforschung hat etwa hinsichtlich der Medienwirkung auf das Wählerverhalten Folgendes herausgefunden:

Von zentraler Bedeutung ist die Thematisierungsfunktion der Massenmedien. Will sagen: Die Menschen halten jene Themen für besonders wichtig und lösungsbedürftig, die von den Massenmedien häufig und in großer Aufmachung aufgegriffen werden. Profaner, aber wirksamer Umkehrschluss: Was nicht in der Zeitung steht, kann auch nicht wichtig sein.

Die Frage für Politiker und Lobbyisten lautet demnach: Wie bringe ich meine Themen – und mich - auf die Agenda der Medien?
Das zu erreichen, unterhalten Unternehmen, Verbände, Parteien, Ministerien etc. eigene Presseabteilungen, deren Budgets bisweilen dicker sind als der gesamte Redaktionshaushalt auch von größeren Zeitungen.

Strategien des Themendropping:
Pressemitteilungen und Pressekonferenzen
Handverlesene Hintergrundgespräche
Selbstproduzierte Beiträge mit journalistischem Anstrich (kostenlos zu haben, deshalb reizvoll für finanziell und personell ausgedünnte Redaktionen)
Eine Hand wäscht die andere (Verteilung von Exklusivinfos über ein vom Journalisten gewünschtes Thema, im Gegenzug irgendwann mal Publikation eines von der anderen Seite gewünschten Themas).
Bestechung (selten) 

Der fatale Reiz der Macht und das Streben, ihr nahe zu sein, kann sich auch mancher Journalist nicht entziehen. Wichtig ist, wer mit am Tisch der Großen sitzt. Was diese durch strategische Verteilung von Einladungen und Plätzen an ihrem Tisch auszunutzen versuchen.

Was durchaus nicht immer funktioniert, wie etwa Gerhard Schröder erfahren musste, der vom Liebling der Medien – Medienkanzler – zur schieren Unperson mutierte. Woran freilich nicht die Medien schuld waren, sondern Herr Schröder selbst. Der Mann meinte, die Presse wie eine Klaviatur bedienen und auf Wohlwollen stimmen zu können. Als er dann den Bogen politisch überspannte, staunte er nicht schlecht darüber, dass die Pressemeute ihm die Liebe entzog. Er unterlag dem Irrtum so vieler Politiker, die nicht begreifen können oder wollen, dass Journalismus zum Teil anderen Gesetzen folgt als Politik und Journalisten bisweilen die Welt ganz anders sehen als Politiker (oder Vereinsvorstände oder Wirtschaftsmanager) sie gern gesehen haben wollen.

„Hund beißt Mann“ ist nun mal keine Nachricht, „Mann beißt Hund“ hingegen eine Top-News. Ein tobender Kanzler ist interessanter als ein Strahlemann im Kaschmiranzug. Nach einem fleißig, unauffällig und wirksam seine Arbeit tuenden Ministerium kräht kein Hahn. Schlagzeilen gibt es erst, wenn was schief läuft. Konflikt und Negativismus sind zwei der wichtigsten Kriterien zumindest der politischen Journaille, um Themen auf die Agenda zu setzen.

 Man mag das für einseitig oder ungerecht halten, aber erstens ist es so und zweitens auch gar nicht so falsch. Denn: es ist der Job eines Ministers, Kanzlers, Managers, seine Arbeit möglichst gut zu tun. Eine Selbstverständlichkeit, die man mal Erwähnen kann, die aber unter journalistischen Gesichtspunkten größeren Aufhebens nicht wert ist. Eigentlich ist das ganz normal: Es verliert auch niemand ein Wort darüber, wenn der Busfahrer seine Linie 7 Tag um Tag pünktlich und sicher von Höhr-Grenzhausen nach Koblenz kutschiert. Das ist seine Aufgabe, dafür ist er da. Aufmerksamkeit kriegt der Mann erst dann, wenn er in den Graben fährt oder sonst wie die geordneten Regelabläufe aus dem Gleis springen.

Im Verhältnis Staat/Presse oder Wirtschaft/Presse oder Gesellschaft/Presse geht das ebenso, nur etwas schärfer. Und das ist auch gut und richtig so, insofern die Vierte Gewalt eben vorrangig eine Kontrollaufgabe hat, weniger Orden und Belobigungen für selbstverständliche Aufgabenerfüllung zu verteilen.   


V. Die Diktatur der Einschaltquote

Es gibt für die Öffentlichkeit ein probates Mittel Sendungen und Zeitungen abzustrafen oder gar ganz von der Bildfläche verschwinden zu lassen: Nicht einschalten, nicht kaufen.

Nichts bringt Medienmacher mehr in Bedrängnis als schlechte Einschaltquoten oder sinkende Auflagen. Diese Macht des Publikums ist allerdings ein zweischneidiges Schwert, insofern sie zur medialen Diktatur der Mehrheit oder der großen Gruppemilieus führen kann und teils auch führt. Das Ergebnis ist am deutlichsten in der Verflachung der Radio- und Fernsehprogramme in der Breite sowie im Prime-Time Bereich zu sehen. Wie witzelt Kabarettist Urban Priol in seinem neuesten Programm treffend: „Habe mir neulich einen Flachbildschirm gekauft, jetzt passt der Apparat wieder zum Programm.“

Die Orientierung an der Einschaltquote trägt selten zur Anhebung der Medienqualität bei. Dennoch ist die systemtheoretische These nur bedingt zutreffend, dass diverse Zeitungen und Programme so dumm seien, weil ein dummes Volk eben  dumme Zeitungen lesen wolle. Es gilt auch für die Medien die alte marktkritische These: Nicht nur die Nachfrage bestimmt das Angebot, das Angebot schafft sich auch eine Nachfrage.

Das gilt im negativem Fall für die immer banaler werdenden Sendeformate im Bereich der Spiele-, Talk-, Abenteuer und Koch-Shows sowie für die Schwemme absolut minderwertiger Spielfilme, Serien und Novelas.

Nebenaspekt: 30 Sender müssen an 7 Tagen die Woche 24 Stunden Programm machen, da braucht es einfach eine ganze Menge preiswertes Füllmaterial.

Angebot schafft sich Nachfrage - das gilt auch positiv:
Nie war das TV-Angebot an Wissenschafts-, Natur-, Geschichts- und Kultursendungen so groß wie heute. Und nie seit Ende des Zwei-Programme-Fernsehens hatten derartige Sendungen so viele Zuschauer wie heute.

Manchmal überschätzen Medienmacher einfach auch die Anspruchslosigkeit des Publikums. zB haben alle Nachfolgeformate der ersten Big-Brother-Sendungen die Quotenerwartungen der Macher bei weitem nicht erfüllt. Dito für allermeisten Nachahmer von Lindenstraße und Gute Zeiten/schlechte Zeiten. Gleiches gilt für die pornografischen Nachtprogramme einiger Privatsender: nach anfänglichen Neugier-Spitzen fielen die Quoten drastisch und die Einschaltzeiten ins Bodenlose.

Dass das Publikum bisweilen sehr eigenwillige Vorstellungen von Fernsehkultur hat, verdeutlicht etwa der Fall „Tagesschau“. Sie war, ist und bleibt bis auf weiteres DIE Nachrichtensendung schlechthin, mit Definitionshohheit darüber, wann der Vorabend endet, wann der Abend und die Prime-Time beginnt. Die Versuche etwa von SAT1 vor einigen Jahren, um 20 Uhr mit den Hauptspielfilmen loszulegen, sind nach wenigen Tagen schmählich gescheitert. Wollten die ARD-Intendanten kollektiven Selbstmord begehen, müssten sie nur die Tagesschau verschieben. Diesen Bärendienst haben sie unlängst den Tagesthemen erwiesen, die Folgen bei den Zuschauerzahlen sind wenig erfreulich.

Solche Vorlieben für verlässliche Standards gibt es auch im Printbereich. Seit Jahr und Tag ergeben die Erhebungen der regionalen Tageszeitungen, dass für ihre Leser die Regional- und Lokalberichterstattung primärer Kaufgrund ist. Dennoch hat sich keine Zeitung getraut, den überregionalen Politikteil signifikant zu reduzieren oder ganz wegzusparen. Denn die Erhebungen zeigen ebenso, dass die Bindefähigkeit der Zeitung gravierend abnehmen würde, hätte der Leser das Gefühl, nur noch ein reines Lokalblättchen in Händen zu halten. Das selbst bei solchen Lesern, die den Politikteil ihrer Regionalzeitung kaum je eines Blickes würdigen. Ähnlich verhält es sich mit dem Feuilleton in der Zeitung: Obwohl die Leserquote – je nach Blatt – nur zwischen 4 und 13 Prozent liegt, glaubt die Mehrheit der Leser, dass ein Kulturteil zu „ihrer“ Zeitung gehören muss.

Eine vorletzte Bemerkung:
Dass unterhaltende Elemente in der Medienlandschaft so breiten Raum einnehmen, ist für sich genommen noch kein Indiz dafür, dass die Publizistik sich in der Neuzeit vermehrt der Massenverblödung verschrieben habe. Unterhaltung war immer eines ihrer wesentlichen Elemente – siehe Moritatensänger und Monster-Flugblätter. Man wird sorgfältig beobachten müssen, in welche Untiefen sich die Unterhaltungspublizistik noch stürzt und inwieweit es ihr gelingt, ihre ernsten oder anspruchsvollen Geschwister vollends aus dem Wahrnehmungshorizont der Allgemeinheit zu verdrängen und in weit entfernte Nieschen der Nachtprogramme und Spartensender abzuschieben. 

Letzte und abschließende Bemerkung:

Informationsbeschaffung ist bei den meisten Themen nicht mehr das Hauptproblem in der heutigen Mediengesellschaft. Dank Internet hat jedermann die Möglichkeit Infos in Hülle und Fülle beizutreiben. Dadurch verschiebt sich auch das Aufgabenspektrum des Qualitätsjournalisten. Viel mehr als früher muss er in der vorliegenden Infofülle die Spreu vom Weizen trennen; viel mehr als früher ist er als Analytiker und Bewerter gefragt. Und zwar als unabhängiger, der sich von wohlfeil hergerichteter PR kein X für ein U vormachen lässt.
 
 
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