Kritiken Musik
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2007-09-02 Konzertkritik:
Als wären Beethovens fünf Klavierkonzerte ganz neu

Pianist Herbert Schuch und Rheinische Philharmonie setzen den Mittelrhein Musik Momenten mit Doppelabend einen Staunen machenden Schlusspunkt

 
ape. Mittelrhein.  Du besuchst von einer Saison zur nächsten Dutzende Klassikkonzerte, mal mehr, mal weniger interessant, bewegend, begeisternd. Dann kommt eines, bei dem sich nach einigen Takten schon das Gefühl einstellt: Hier passiert etwas ganz Außerordentliches. Etwas, das auch passionierte Konzertgänger nur alle paar Jahre mal erleben. Gänsehaut, Staunen, Überraschung, dass man den Ohren kaum mehr traut – solche Augenblicke  bescherte jetzt der zweiteilige Abschluss-Marathon der Mittelrhein Musik Momente in der Pilgerkirche  zu Vallendar mit Ludwig van Beethovens fünf Klavierkonzerten.
 

Du denkst, deren Potenzial sei längst ausgeschöpft, jede Interpretationsvariante sattsam bekannt. Bis  sich ein 28-Jähriger in der Kirche eines mittelrheinischen Seitentälchen an den Flügel setzt und mit der Rheinischen Philharmonie  diese Klassik-Oldies bei zwei Konzertabenden hintereinander weg spielt. Und er tut das mit so viel Frische und Entdeckerfreude, als seien die fünf Werke gestern erst komponiert worden.

Du hörst Herbert Schuch, und verstehst, wieso der große Klassikbetrieb seit zwei, drei Jahren über diesen deutschen Pianisten bulgarischer Herkunft Wundersames munkelt. Seine Fingerfertigkeit ist enorm. Die Art, wie er trennscharf seine Hände als je eigenständiges Werkzeug benutzt, ist hinreißend. Ob geschwind perlende Läufe, wuchtige Akkordkaskaden oder hingehauchte Einzeltöne: Der junge Mann hantiert mit dem Arsenal seiner Zunft in souveräner Virtuosität.

Du erfährst hier eindringlich, dass spieltechnisches Können zwar Voraussetzung für Musikkunst ist. Dass deren Entstehen aber davon abhängt,  was einer mit seiner Virtuosität anstellt. Eben da beginnt das Wunder Schuch. Als hätten sie keine 200-jährige Interpretationsgeschichte auf dem Buckel, geht der Pianist am ersten Abend die Klavierkonzerte zwei, drei und vier nach der Devise an: Das hier ist eine Sache zwischen Beethoven und mir. Gleich zum Auftakt des Doppelabends umreißt Schuch seine Art: Eigensinnig, fast frech, aber hochkultiviert sucht er das Abenteuer des Spielens mit Impulsen, Gängen, Affekten. In seinen Parts entfaltet er eine Binnendynamik, die auch den kleinsten Passagen eine je eigene  Spannung verleiht.

Verzögern, beschleunigen, aufbrausen, reduzieren, und immer wieder überraschend, ungewohnt akzentuieren – die innovative Lebendigkeit dieses Vortrags ist ein Erlebnis fürs Publikum, eine Herausforderung für Dirigent Georg Fritzsch und das Orchester. Beide sind am ersten Abend vor allem in der dienenden Funktion zu erleben. Dem Freigeist, der den Solisten auszeichnet, geben die Mitmusizierer die notwendige Freiheit. Und selbiger dankt mit quasi liebevoller Zuwendung. Die führt etwa im Adagio des B-Dur-Konzertes zu zärtlichstem Miteinander, im Mittelsatz des G-Dur-Konzertes zu einem komplexen Annäherungsprozess zwischen flehenden Klaviercantilenen und zuerst düsteren Streichergebärden.

Beethovens fünf Klavierkonzerte, entstanden zwischen 1793 und 1809, markieren die Umbruchphase vom Mozart-Zeitalter zur Großsinfonik. Der zweite Abend rekapituliert diese Wandlung noch einmal mit dem Sprung vom ersten zum fünften Klavierkonzert Beethovens.  Jetzt dirigiert Daniel Raiskin „sein“ Orchester. Er unterstützt den pianistischen Glanz, den der Pianist Beethoven hier als eigenständiges Element vorsah. Zugleich aber  untertsreicht er die Bedeutung des Orchesters vor allem für die poetischen Anlagen des Werkes.

Natürlich, der gesamte zweitägige Zyklus läuft auf den Giganten zu, der in Gestalt des fünften Klavierkonzertes in all seiner sinnlichen und geistigen Herrlichkeit am Ende des Weges wartet. Wo, wie in diesem Fall,  Beethoven sein humanistisches Weltempfinden in Musik  gegossen hat, verweigert das geschriebene Wort den Dienst. So viel nur: Solist und Orchester finden beim fünften Klavierkonzert kongenial zu einem gemeinsamen weiten, offenen Atem – der in der Schlichtheit innig erfühlter Augenblicke die Hoffnung auf den Triumph universeller Menschlichkeit erkennt. Danach erheben sich Hunderte von den Plätzen und erweisen den Musikern, vorneweg dem lächelnden Herbert Schuch, ihren tief bewegten Respekt.

So wurde dieses als Experiment begonnene Projekt  ein Glanzpunkt der bisherigen Rekordsaison (8500 Besucher) der  Mittelrhein Musik Momente. Zugleich geht es als außerordentliches Kunst-Ereignis in die Annalen der hiesigen Konzertgeschichte ein.
                                                                                        Andreas Pecht

 
 
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