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2007-06-17 Konzert-Feature:
Unterwegs im Klassik-Sommer
von Rheinland-Pfalz

Kontraste: Erst der ernste Auftakt von RheinVokal in Koblenz, dann ein vergnügter Abend in Bremm bei den Moselfestwochen

 
ape. Koblenz/Bremm. Dereinst ging der Klassikbetrieb um diese Zeit in den Urlaub. Heute beginnt im Juni für ihn die zweite Hauptsaison: die Sommerfestivals. RheinVokal startete soeben, die Moselfestwochen laufen schon ein paar Tage, die Mittelrhein Musik Momente stoßen Ende des Monats hinzu. Diese drei bereiten im nördlichen Rheinland-Pfalz dem Musikfreund  die schöne Qual der Wahl. Ich entschied mich an diesem Wochenende für den ernsten RheinVokal-Auftakt in Koblenz und ein vergnügliches Moselfestwochen-Konzert in Bremm.
 
 „Aber, lieber Beethoven, was haben Sie denn da wieder gemacht!“ Fürst Esterhazy zeigte sich nach der Uraufführung der C-Dur-Messe 1807 ungehalten. Das Werk war nicht, was er sich zum Namenstag seiner Gattin vorgestellt hatte. Nach wenigen Takten schon kann man sich beim Gedanken an die damalige Wirkung ein Schmunzeln nicht verkneifen. Was das SWR-Sinfonieorchester Baden-Baden/Freiburg und das SWR-Vokalensemble dem Publikum in der Koblenzer Kastorkirche und den live zugeschalteten SWR2-Hörern vorführen, ist Beethovensches Spiel mit  Extremen.

Das Werk gibt kein Pardon: Vom feinsten Pianissimo springt es ansatzlos zum machtvollen Fortissimo. Dramatische Höhepunkte jagen einander, für Gebet bleibt kaum Raum. Beethovens C-Dur-Messe wirkt  nicht wie eine Messe; das sind atemlose 40 Minuten von großsinfonischem Charakter. In den veritablen Bombast mischt sich  Lebensfreude und Gelassenheit wie man sie von der zeitnah entstandenen 6. Sinfonie kennt. Die Messe ist Sakralmusik, sicher. Aber überall blinzelt der dem Büßergewand entwachsene Weltgeist durchs Getöne.

In stoischer Strenge dirigiert der ab 20. Juli 80-jährige  Michael Gielen die Ambivalenzen des nur selten zu hörenden Werkes aus. Daran und am  Vortrag ist nichts auszusetzen: Hinter einem formidablen Orchester trumpfen einer der besten Chöre Deutschlands nebst  Solisten souverän auf.

Beethoven ist nach der Pause, vorher dürfen (oder müssen) die Zuhörer sich mit avantgardistischen
Sakralklängen von Strawinsky auseinandersetzen.  Keine Spur von sommerlich leichter Gefälligkeit dabei. Aber um die geht es diesem Festival zwischen Bingen und Rolandseck auch  nicht. RheinVokal sei ein Radiofestival mit höchsten Kunstansprüchen, erklärt zu Beginn Peter Boudgoust. Der neue SWR-Intendant ist mit bald der gesamten Führungsriege des Senders angereist. Wohl auch, um zu demonstrieren, dass sein Haus RheinVokal auch über dessen jetzt drittes Jahr hinaus fortzuführen gedenkt.

Kontrastprogramm tags darauf in Bremm. Die dortige Klosterruine Stuben soll am Abend mit einem vergnüglichen Open-air-Konzert des „Rennquintetts“ als eine neue Spielstätte für die Moselfestwochen eingenommen werden.  Unsicherheitsfaktor: das Wetter. Um 18 Uhr verkündet der Telefonservice des Festivals noch: „Wir spielen in Stuben.“ Bei der Anfahrt umwabern rabenschwarze Wolken die Reichsburg über Cochem. Ein paar Kilometer weiter rauschen Sintfluten vom Himmel. Damit ist die so hübsch in einem engen Moselbogen der legendären Steillage Calmont gegenüber gelegene Klosterruine für dieses Jahr aus dem Rennen. Schade.

Die im Vergleich zu Koblenz nur halb so große, aber bemerkenswert überregional zusammengesetzte Zuhörerschar nimmt in der örtlichen Kirche Ausweichquartier. Dort mag es weniger idyllisch sein, dafür ist es trocken und die Akustik zweifelsohne besser als im Freien – ewiger Konflikt der Sommer-Klassik, dem sich RheinVokal als Radiofestival entzieht: Man bleibt der Klangqualität wegen mit den 19 Konzerten drinnen.

Das Konzept der Moselfestwochen ist teilweise ein anderes, Open-Airs gehören hier – wie bei den Mittelrhein Musik Momenten auch – dazu.  In Bremm hat nun Petrus Regie geführt. Die fünf Blechbläser passen ihr Programm der neuen Innen-Lokalität an. Für die Kirche wird der klassische Anteil etwas höher: Bachs Toccata d-moll, Buxtehudes Toccata und Fuge, Griegs Holberg-Suite erklingen. Die Stücke sind zwar für Bläser umarrangiert, fordern aber dennoch halsbrecherische Virtuosität.

Die wird geliefert und alsbald auch eingesetzt für eine Art versierter Musikkurzweil: Launig präsentierte Filmmusiken von Charly Chaplin; die Weise vom „Alten Peter“ als kleine Musikgeschichte durch Stile von Bach, Mozart, Wagner, Strauß und Avantgarde getrieben; ein Walzer von Schostakowitsch mit Schneewalzer, Hawai-Bier und Icecream durchsetzt. Das Publikum jubelt, lässt sich hernach auf dem Dorfplatz von örtlichen Winzern ordentlich einschänkten und freut sich am Feuerwerk. Mit diesem unterstreicht die Ruine Stuben ihren fortdauernden Anspruch als neue Festival-Spielstätte fürs kommende Jahr.                                                                                                                          Andreas Pecht

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Weitere Infos zu den drei Klassik-Festivals
2007 im nördlichen Rheinland-Pfalz:

www.rheinvokal.de

www.moselfestwochen.de

www.musikmomente.de
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