Kritiken Theater
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2007-05-17 Ballettkritik: 
Über Epochengrenzen hinweg

Programm XXIV des ballettmainz: Uraufführungen von Martin Schläpfer ("Obelisco")
und Eric Oberdorff ("Little Vioces in My Head"); dazu Wiederaufnahme des
Antikriegsklassikers "Der grüne Tisch" von Kurt Jooss

 
ape. Mainz.   Erste Premiere beim ballettmainz nach Martin Schläpfers Bekanntmachung, dass er in zwei Jahren als Tanzchef am Staatstheater aufhören wird. Der Abend ließ für Wehmut allerdings keinen Raum: Programm XXIV zeigt eine Kompagnie in ungebrochener Schaffenskraft, schlägt kraftvoll eine Brücke zwischen politisch engagierter Tanzkunst des frühen 20. Jahrhunderts und innovativen Spielarten heutigen Balletts.


Zum Beginn die Uraufführung von „Obelisco“, der neuen Choreografie von Schläpfer. Eine Folge von sieben Nummern zu sieben ganz verschiedenen Musiken aus diversen Zeitaltern. Der Titel verweist auf steinerne Denkmale, die in der Gegenwart an Vergangenheiten  erinnern und darob bisweilen auch Potenziale der Zukunft aufscheinen lassen. Gegenwart ist der Ausgangspunkt auf der Bühne: Zu einer Trance-Pop-Komposition von Rickie Lee Jones’  bauen sich lässig wippend und hüpfend Paare, Gruppen auf. Die verdichten sich zu maschinenhaften Kollektiven, um nachher wieder in verwirrte oder ermüdete Vereinzelung zu zerfallen.

Extrem verlangsamt die Folge-Nummer zu avantgardistischen Schwebeklängen von Salvatore Sciarrino: Zwei Paare, deren jeweilige Hebungen, Umschlingungen schier zu denkmalartigem Stillstand gerinnen. Die Sache ist ernst gemeint, Schläpfer mengt in „Obelisco“ aber auch eine gute Portion Ironie. Das beginnt bei den Füßen, die mal nackend, mal in Spitzenschuhen, schließlich in Highheals Körperausdruck auf je eigene Weise beeinflussen. Die Choreografie greift über Epochen- und Stilgrenzen hinaus. Was war, was ist, was vielleicht kommt, das spiegelt sich in Musik, in Tanz und in der eigensinnigen Beziehung der Tänzer zu beidem.

Marlúcia do Amaral gibt ein gewaltiges Solo ganz auf Spitze: Fließen, Schweben; Grazie, Schönheit;  ebenso ewige Balletttortur, wie die Tänzerin verbildlicht, wenn sie sich sogar gekrümmt, hockend, kriechend, nicht erlaubt, auf die flache Sohle zurückzufinden. Kirsty Ross entfaltet zu einer rasenden Cembalo-Sonata von Scarlatti  barfüßigen Wirbelwind. Und während Bogdan Nicula über das Schubert-Lied „Du bist die Ruh“ in einem melancholischen Solo klassische Eleganz und turnerischer Kraft zum Sehnsuchtstanz verwebt, staksen Yuko Kato und Jörg Weinöhl auf 20-Zentimeter-Absätzen ein Parodie auf Heubergers Operettenhit „Im chambre séparée“.

Die zweite Uraufführung des Abends stammt von Eric Oberdorff. „Little Voices in My Head“ ist eine Multimedia-Arbeit über jene Stimmen im Kopf, die uns alle ebenso leiten wie ständig drangsalieren. Aus dem Off tönt eine Klangmontage, die Anthony Rouchier aus vielstimmigem Sprechtext, einem elegischen Musikmotiv von Edward Grieg und Geräuschen zusammengesetzt hat. Im Bühnenhintergrund eine Projektionsfläche auf der Filmsequenzen mal eine im Gras schlafende, dann in einem engen Flur verzweifelt tobende Frau zeigen.

Der Tanz selbst besteht aus einem endlosen Strömen unzähliger gleichzeitiger Einzelaktionen: Von ihren Stimmen so oder so Getriebene, die meist mit sich selbst beschäftigt sind, nur gelegentlich in Interaktion miteinander treten. Oberdorffs Choreografie grübelt über heutiges Leben, berührt aber sinnlich-ästhetisch nur während weniger Momente das Gemüt des Zusehers. Seine Arbeit spricht vor allem den Intellekt an. Der künstlerische Zugriff auf das Thema ist interessant, allerdings begriffen, lange bevor dieses Tanzen ohne rechtes Zentrum und Ziel endet.

Programm XXIV schließt mit dem Ballettklassiker „Der grüne Tisch“ von Kurt Jooss aus dem Jahr 1932. Im Mai 2004 erstmals vom ballettmainz realisiert, war die Wiederaufnahmen dieses großartigen Antikriegs-Werkes der Compagnie eine Herzensangelegenheit – weil die Zeiten sind wie sie sind.
                                                                                         Andreas Pecht

 
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