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2007-05-16 Erinnerungen:
Ungern gekommen, gerne geblieben

Liebeserklärung eines vor 30 Jahren Zugezogenen
 an seine Wahlheimat  Rheinland-Pfalz 
 
ape. Rheinland-Pfalz war noch 30 Jahre jung, als es den Autor   hierher verschlug: Ein Sonderzug der Bundeswehr brachte ihn als Rekruten 1977 von Heidelberg nach Koblenz. Damals dachte der 21-jährige Panzergrenadier an ein kurzes, allein dem Wehrdienst geschuldetes Zwischenspiel. Doch 15 Monate später ließ er sich am Mittelrhein nieder, und nach 30 Jahren ist er noch immer da.

Rheinland-Pfalz? Was soll das sein? Und wo, um Himmels Willen, liegt dieses Koblenz, dass der Rekrutensammler von Heidelberg bis dahin vier Stunden über die Gleise schleichen muss? Die Pfalz, na gut, die kennt ein Neckartal-Geborener als Nachbarregion jenseits des Rheins: Eine Art mit Weinreben und Kastanienbäumen bewachsene Pufferzone zwischen Baden und Frankreich. Aber Rheinland-Pfalz? Das sagte dem jungen Kerl anno 1977 genauso wenig wie die Ortsbezeichnung Deutsches Eck.

Drei Jahrzehnte später ist jene Unkenntnis nicht mehr nachvollziehbar. Das Deutsche Eck erscheint mir heute kaum weniger berühmt als Brandenburger Tor, Münchner Hofbräuhaus und Heidelberger Schloss. Ein für Einheimische typischer Trugschluss. Womit bewiesen wäre, dass ein Zugezogener während 30 Jahren Einheimischer werden kann.

Dabei sind, wie bei der Liebe auch, die frühen Momente des Kennenlernens von entscheidender Bedeutung. So gesehen standen die Zeichen nicht gut für Rheinland-Pfalz, mich als Neubürger zu gewinnen. Bei entnervendem Drill in der Koblenzer Gneisenau-Kaserne und auf dem "Schmittchens Spielwiese" gerufenen Truppenübungsplätzchen konnte einem kaum warm ums Herz werden. Wäre da nicht jenes Mädchen und ihre kundige Einführung in die mittelrheinische Lebensart gewesen...

Gleich beim ersten Ausflug in die Umgebung gab es einen Überraschungseffekt: Der Spruch vom Land der Reben und Rüben ist eine unzutreffende Mär. Mir öffnete sich ein Land vor allem der Wälder. Westerwald und Taunus, Hunsrück und Eifel, dicht bewaldet und dünn besiedelt - wunderbar. Tief eingeschnitten dazwischen die Flusstäler, teils schattig verwuchert, teils vom Grund bis weit in die Höhe von Reben bestanden - schön.

Sonderlich kamen dem Fremdling freilich einige Gebräuche der Ureinwohner vor. Bei ihm daheim setzte man sich im Wirtshaus an einen Tisch und blieb den Abend lang am Platze hocken. In den Lokalitäten zwischen Rhein und Mosel indes fand er die Tische meist leer, die Leut' stattdessen dicht gedrängt um den Tresen. Beim ersten Besuch eines Weinfestes musste er feststellen: Im Festzelt sitzt man nicht zu Tisch, wie es südlich des Mains Usus, sondern man flaniert von einem Weinstand und einem Trinkgenossen zum nächsten.

Der Vorteil dieses Brauches offenbarte sich rasch: Er minimiert die Gefahr, den ganzen Abend an einem unangenehmen Zeitgenossen hängen zu bleiben; er erhöht die Zahl der Gesprächspartner wie Bekanntschaften. Dass so der Fest- und Kneipen-Kommunkation zugleich tiefschürfende Schwere abgeht, ist bisweilen ein durchaus nicht unangenehmer Nebeneffekt.

Wirtshäuser sind wichtig. Vor allem für den, dessen Bett in einer Kaserne steht. Viele der seinerzeit im Koblenzer Stadtbild allweil unübersehbaren Soldaten verkehrten im "Schiffchen" und im "Armen Josef". Letzteren gibt es nicht mehr, leider. Denn dort servierte einst die "Müllerin" genannte Wirtin eines der wenigen Glanzstücke mittelrheinischer Kulinarik: einen fabelhaften Spießbraten. Gestorben sind wohl die beiden Brüder, die in Rhens bis ins Greisenalter eine beliebte Schänke betrieben. Dort speiste ich bei der ersten Einkehr 1977 neben dem Kanonenofen das einzige, was es gab: ein ausgezeichnetes halbes Hähnchen. Den Wunsch nach Bier beschied einer der Brüder indes mit dem Rüffel: "Wein, junger Mann, hier trinkt man Wein." Weil er mich aber als Auswärtigen erkannte, stellte er in großväterlicher Güte dann doch noch zwei Flaschen Gebrautes auf den Tisch.

Mit einem anderen Produkt hiesiger Kulinarik wurde ich bis heute nicht warm: Döppekooche. Junge Frauen, Schwiegermütter, Kantinen- und Restaurantköche haben sich über die Jahre erdenkliche Mühe gegeben, den zugezogenen Gaumen von ihrer Leibspeise zu überzeugen. Vergeblich. Da hatten es die mittelrheinischen Imbissbuden mit ihrem Nierengulasch leichter: Das erinnerte ein bisschen an die saure Variante aus badischen Kindertagen. Vor 30 Jahren noch an jeder Ecke zu haben, ist das "Armeleutefleisch" zwischen Currywurst, Hamburger, Döner jetzt fast verschwunden.

Landschaft, Menschen, Lebensart - das waren eben die wichtigsten Eindrücke am Anfang. Sie bereiteten den Boden, um darin Wurzeln zu schlagen. Später erst kamen Burgen, Schlösser, Romantiker hinzu. 60 Jahre Rheinland-Pfalz und die Hälfte davon mit mir an der Seite. Keine schlechte Zeit, keine schlechte Beziehung, auch und gerade, weil sie nie frei von Spannungen war. Wie das halt so ist in guten Partnerschaften.

Eine Sache allerdings will überhaupt nicht klappen: Keiner der vielen Landesdialekte vermag mir den Neckar-Zungenschlag auszutreiben. Aber wenn schon Wäller und Moselaner sich ursprachlich kaum verständigen können, wird Rheinland-Pfalz das wohl auch noch verkraften.

 Andreas Pecht

(Dieser Beitrag ist am 16.5.2007 erschienen in der Sonderbeilage der  Rhein-Zeitung zum 60. Geburtstag des Landes Rheinland-Pfalz)
 
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