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2007-02-15 Buchkritik:
Im Garten der Erzählungen

Literarische Kleinode aus drei Jahrzehnten von Haruki Murakami
 
ape. „Wenn das Schreiben eines Romans dem Pflanzen eines Waldes gleicht, dann gleicht das Schreiben von Kurzgeschichten dem Anlegen eines Gartens.“ Haruki Murakami (55) tut beides gerne und gut, weshalb er im Wechsel  mal einen Roman, mal Erzählungen schreibt. „Afterdark“ war der letzte Roman des Japaners: Eine Geschichte über lose verbundene, zwischen alltäglich und sonderbar changierende Erlebnisse einiger Menschen in einer Großstadtnacht. Ähnlich das Spektrum auch der 24 wunderbar erstaunenden wie irritierenden Stories von den 1970ern bis 2005, die Murakami in seinem jüngsten Erzählband zusammenfasste.
 
Die erste Erzählung leiht dem Buch den Titel: „Blinde Weide, schlafende Frau“.   Sie beginnt, wie die meisten anderen Geschichten auch, harmlos, alltäglich: Der Erzähler begleitet seinen hörgeschädigten Cousin zur Untersuchung in die Klinik. Der 14-Jährige mit seiner Krankheit, der 25-Jährige mit einem Leben im Umbruch. Dinge, wie sie allweil geschehen.

Des Autors Blick darauf wird indes bald sehr eigen, fängt Momente ein, die in gewöhnlicher Wahrnehmung  unbeachtet bleiben. Dann fließen obendrein Erinnerungen an einen anderen Krankenbesuch ein. Bei dem stellte ihm ein Mädchen eine skurrile Fantasie vor, in der Blütenkäfer eine Frau von innen her auffressen. Die Erzählebenen durchdringen und bedingen einander – Realität und Surrealität werden gleichberechtigte Lebensteile.

 Dieses Strukturprinzip zieht sich wie ein roter Faden durch das Buch. In einer anderen Geschichte gibt es dafür ein schönes Bild:  Im Zoo von Hokkaido sitzt eine gewöhnliche Hauskatze. Am Gitter hängt ein Schild, das sie als „Katze“ ausweist. Da wird Gewöhnliches zum Besonderen oder entfaltet sich im Gewöhnlichen das Besondere. Besuch im Fitnessstudio, Urlaub am Meer, eine Hausmeister-Nachtschicht, der Arbeitstag einer Restaurantbedienung . . . Normalität, in die klammheimlich oder urplötzlich Erstaunliches, Absurdes, Märchenhaftes eindringt.

Rätsel bleiben ungelöst, Fragen unbeantwortet, Schicksale ungewiss. Nie verfällt Murakami dabei in prätenziöse Effektschreiberei. Seine Sprache ist stets kristallklar, meisterlich schlicht. Sein Standort liegt auf der Schwelle zwischen hellwach und verträumt, was die Geschichten mit einer Patina aus Melancholie, bisweilen fast Phlegma überzieht.  Und doch schärft die Lektüre die Wahrnehmung, macht die Sinne empfänglich für mehrdeutige Potenziale im Alltäglichen. Ein Stein ist nicht nur Stein, ein Messer nicht nur Messer, du bist nicht nur du.

Andreas Pecht

Haruki Murakami: "Blinde Weide, schlafende Frau".
Dumont, 410 S., 22,90 Euro..
 
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