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2007-02-11 Analyse:
Herr Bsirske stößt ins falsche Horn

Deutsche Gewerkschaften ringen um Positionen zum Klimaschutz
 
ape. Alle sind  für entschlossenen Klimaschutz. Doch wenn dadurch, vorgeblich,  der Wirtschaftsstandort geschwächt wird und Arbeitsplätze in Gefahr geraten, bröckelt die Entschlossenheit schnell. Die Unternehmer warnen vo r „überzogenen“ Maßnahmen.  Auch etliche Gewerkschaftsführer machen sich diese Argumentation zu eigen – und entfachen damit in den Arbeitnehmerorganisationen eine schwierige Diskussion.
 
Das Problem ist so alt wie die Gewerkschaften selbst: Der Arbeitsplätze und der Löhne wegen sind sie oft auch am Florieren von Unternehmen interessiert, deren Produkte sie aus politischen Gründen womöglich zum Teufel wünschen. Die Rüstungsindustrie ist das wohl älteste Beispiel für dieses Dilemma. Einerseits spielen Gewerkschaften meist eine große Rolle in Antikriegs-Kampagnen, andererseits ringen sie um jeden Arbeitsplatz, um bessere Arbeitsbedingungen und höhere Löhne auch in der Panzer-, Kanonen- und Bombenproduktion.

Das Dilemma rührt von der doppelten Aufgabenstellung, die die meisten europäischen Gewerkschafte traditionell für sich in Anspruch nehmen: Sie vertreten die ökonomischen Interessen ihrer Klientel, der Arbeitnehmerschaft; zugleich verstehen sie sich aber auch,  und das zu Recht, als politisch Einfluss nehmende Organisationen im Dienste gesellschaftlicher Gerechtigkeit und allgemeiner Wohlfahrt für alle (kleinen Leute). Was etwa Lebensmöglichkeiten in Frieden und in intakter Umwelt einschließt. Kleinere oder größere Konflikte zwischen beiden Aufgabenbereichen sind unausweichlich.  Im Falle Klimawandel und Klimaschutzpolitik sorgen sie derzeit bei der gewerkschaftlichen Diskussion für erhebliche Kontroversen.

IRRITIERENDE DEMONSTRATION

Vergangenen Woche hatte die Gewerkschaft ver.di die Beschäftigten der deutschen Energiewirtschaft zur Demonstration nach Berlin eingeladen. Etwa 25 000 aus allen Teilen der Republik waren dem Aufruf gefolgt – um gegen das zu protestieren, was ver.di-Chef Frank Bsirske in seiner Kundgebungsrede als Gefahren für die Arbeitsplätze in der Energiebranche ausmachte:  „Zwangsverkauf der Stromnetze“, „verschärfte Auflagen beim Emissionshandel“ und „rein kostengelenkte Anreizregulierung bei Strom und Gas“.

Diese Positionierung wurde  von den Demonstranten bejubelt, führte bei vielen anderen Gewerkschaftsmitgliedern allerdings zu Befremden, Aufstöhnen, Widerspruch. Letzteres nicht bloß, weil sich der Redner in diesem Fall Ansichten der Energiekonzerne zu eigen machte. Sondern weil die Stoßrichtung in der zentralen Frage der CO2-Emissionen so gar nicht mehr zu dem passen will, was nach dem  UN-Klimabericht  von einer Mehrheit der Bürger als notwendige Weichenstellung erachtet wird: Radikale Intensivierung des Klimaschutzes.

FRAGWÜRDIGER CHEF-BRIEF
 
Schon im Dezember 2006 hatte ein gemeinsamer Brief der Vorsitzenden der DGB-Gewerkschaften ver.di, IG Metall, IG Bergbau-Chemie-Energie und IG Bauen-Agrar-Umwelt an Bundeskanzlerin Angela Merkel innergewerkschaftlich für allerhand Unmut gesorgt. Im Kern ermunterte das Schreiben die Bundesregierung, dem Ansinnen der EU-Kommission nach stärkerer CO2-Reduktion in Deutschland zu widerstehen. Begründet wurde das von den Gewerkschafts-Chefs mit der Gefährdung des Kraftwerksstandortes Deutschland, seiner Wettbewerbsfähigkeit und seiner Arbeitsplätze durch die EU-Vorgaben.

Diese „Argumentation ist nicht nur falsch, sie ist auch gefährlich“ schrieben daraufhin im Umweltschutz aktive ver.di-Mitglieder in einem geharnischten Offenen Brief an ihren Vorsitzenden. Bsirske lasse, so die innergewerkschaftlichen Kritiker, „den alten Hut des angeblichen Widerspruchs zwischen Ökonomie und Ökologie wieder aufleben“ und treibe „einen Keil zwischen Gewerkschaften und Umweltbewegung“. Der ver.di-Chef musste sich vorhalten lassen, er habe die Tragweite des Problems Klimawandel nicht begriffen. Denn: „Klimaschutz ist heute keine Option mehr, er ist eine Notwendigkeit.“

Was die Kritiker in ihrem Offenen Brief aussprechen, ist in der Substanz nicht etwa irgendeine Splittergruppen-Position innerhalb der Gewerkschaft, sondern deckt sich mit den Grundsatzbeschlüssen des letztjährigen DGB-Bundeskongresses zur Energie- und Klimapolitik. Darin wird  beispielsweise gefordert, dass Deutschland sich zu einer Reduktion seiner Treibhausgase bis zum Jahr 2020 um 40 Prozent gegenüber 1990 verpflichtet, dass bis 2050 die erneuerbaren Energien 50 Prozent des deutschen Energiemixes ausmachen sollen. In diesen Grundsätzen heißt es übrigens auch, dass der DGB die bisherigen Beschlüsse zum langfristigen Ausstieg aus der Kernernergie mitträgt.

Die Kontroversen im Bereich Energiewirtschaft finden sich fast inhaltsgleich bei der Automobilindustrie wieder. Nur dass dort, soweit dem Autor bekannt, die Frontstellungen innerhalb der IG Metall bislang noch nicht so offen zutage getreten sind wie bei ver.di. Aber da die Autounternehmen die neuen Abgasrichtwerte der EU lauthals als „Jobkiller“ anprangern, gehen auch auf Seiten der Beschäftigten vielfach entsprechende Ängste um. Was automatisch seinen Niederschlag in der Gewerkschaftsdiskussion findet.

Die Frage ist: Wird seitens der IG Metall nun ebenfalls die EU-Kommission und deren Klimaschutzkurs als Hauptfeind aufgebaut? Oder wird eher die verfehlte Modellpolitik der Unternehmen mit ihren überschweren Spritfressern nebst den millionenschweren Werbefeldzügen dafür angeprangert?

JOBMASCHINE KLIMASCHUTZ

Was die Diskussion so schwierig macht, ist, dass heute jeder Unternehmer, jeder Politiker und jeder Gewerkschaftsfunktionär sich für entschlossenen Klimaschutz ausspricht. Um dann im Kleingedruckten einzuschränken: So lange das nicht zu Lasten von Wettbewerbsfähigkeit und Arbeitsplätzen geht. Muss es auch nicht. Denn das ist gerade der Witz an und die große Chance für Klimaschutzmaßnahmen: Sie können mehr Arbeitsplätze und auch lukrative Geschäftsfelder schaffen als sie kosten – in der Energiewirtschaft, in der Automobilindustrie, beim Anlagenbau, in der Landwirtschaft, beim Hausbau und in etlichen weiteren Branchen.

Dazu bedarf es freilich der innovativen Neuorientierung des Wirtschaftens. Damit allerdings tun sich einige Gewerkschaftsführer sichtlich ebenso schwer wie mancher Unternehmer und Politiker.

Andreas Pecht
 
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