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2007-02-04 Analyse:
UN-Klimabericht ist ein Kompromiss

Viele Wissenschaftler schätzen die Lage noch wesentlich ernster ein
 
ape. Die düsteren Prognosen des jüngsten UN-Klimareports lösten eine Art Schockwelle aus. Bis allerdings verstanden ist, wie radikal  die  Maßnahmen zur Begrenzung des Klimawandels wirklich sein müssen, wird es noch dauern.
 
Im Grunde sagt der UN-Klimabericht nichts, was wir nicht schon in den 1970ern hätten ahnen, in den 80ern  erkennen, in den 90ern wissen können. Den Klimawandel voraussagende  Prognosen gibt es schon lange, sie wurden früher allerdings oft als Apokalypse-Dichtung abgetan. Dieser Abwehrreflex funktioniert nun nicht mehr. Denn der am Freitag veröffentliche UN-Klimareport ist keine Meinungsäußerung von irgendwelchen Umweltaktivisten.  Er basiert auf den umfassendsten Untersuchungen zum Thema, die es je gab; er fasst die Arbeit weltweit führender Klimawissenschaftler zusammen; er ist von den Regierungen abgesegnet.

Deshalb stellt der Bericht auch keine Auflistung letzter Wahrheiten über den Klimawandel dar, sondern ist Ausdruck eines Kompromisses. Das macht seine Stärke und zugleich seine Schwäche aus. Seine Hauptstärke besteht  darin, dass selbst der kleinste gemeinsame Nenner feststellt: Es gibt den Klimawandel. Er wird in erheblichem Ausmaß oder in der Hauptsache von Menschen verursacht. Er wird global gravierenden negativen Einfluss auf Wetter, Umwelt und Lebensqualität haben – je mehr Treibhausgase emittiert werden, umso stärker die negativen Einflüsse und ihre Folgen.

Die UN-Studie fächert mit unbezweifelbarer Autorität auf, wie arg es zwischen dem günstigsten und dem ungünstigsten Fall kommen könnte.  In diesem Spektrum sind selbst die zurückhaltendsten Prognosen hinsichtlich Erwärmung, Wetterextremen, Meeresspiegelanstieg etc. hochgradig beunruhigend.

Daraus ergeben sich global für Politik und Bürger – eigentlich – einige ganz einfache Maßgaben. Von zentraler Bedeutung ist die Senkung der CO2-Emission. Zu diesem Ziel führen zwei Hauptwege:  Senkung des Energieverbrauches und forcierter Einsatz abgas-armer oder –freier Formen der Energieerzeugung etwa aus Sonne, Wind und Wasser. Um die Erderwärmung auf zwei Grad und damit ein die Zivilisation nicht grundsätzlich in Frage stellendes Maß zu begrenzen, braucht es eine Reduktion der CO2-Emissionen um 30 Prozent bis zum Jahr 2050.

Angesichts dieser Menge sowie eingedenk anhaltend  hoher Wachstumsraten der Weltwirtschaft und der Weltbevölkerung ist völlig klar: Beide Wege müssen gleichzeitig beschritten werden. Wer glaubt, mit technischen Innovationen bei der Energieerzeugung ein hinreichendes Gegengewicht für ungebremstes Wachstum beim Energieverbrauch herstellen zu können, hat schon verloren.

Die Implikationen dieses Gedankens sind weitreichend, berühren alle Lebensbereiche, in denen Energie erzeugt oder verbraucht wird: Kraftwerke und Industrie, Straßen- und Luftverkehr, Geschäfts- und Privathäuser, Handel und Landwirtschaft. Niemand kann weiter machen wie bisher, und es wird am Ende in der Energie- und Treibhausgas-Bilanz auch auf jede Stelle hinterm Komma ankommen.
  
Was die Dringlichkeit klimaschützerischen Handelns angeht, offenbart sich der Kompromisscharakter des UN-Berichtes: Er lässt Spielräume. Da macht sich in diversen verwaschenen und relativierenden Formulierungen bemerkbar, dass die Regierungen etwa der USA, Russlands, Chinas, Japans Klimaschutz noch nicht als höchste Priorität sehen. Es hat in Paris beim tagelangen Ringen um den Text des Reports manche Entschärfung gegeben. Hier erweist sich der kleinste gemeinsame Nenner auch als Schwäche.

Seine Bedenken dagegen brachte in Paris ein unabhängiger amerikanischer Mitautor vorsichtig so auf den Punkt : „Es gibt hier eine ganze Menge Wissenschaftler, die machen sich mehr Sorgen, als dieser Bericht vermuten lässt.“ Dazu gehört auch Hans Joachim Schellnhuber, Klimaberater der Bundesregierung. Er nennt beispeilsweise die Modellberechnungen zum Ansteigen des Meeresspiegels „nicht ganz korrekt“, weil sie die rasante Beschleunigung der Schmelze des Festland-Eises auf Grönland und in der West-Arktis nicht berücksichtigen. Diesen Faktor eingerechnet, hätten sich die mit 19 bis 58 Zentimeter erhöhtem Meerespiegel rechnenden Szenarien des Klimaberichtes bereits überlebt.

Ähnlich verhält es sich mit dem Einfluss einer ganzen Reihe von Rückkopplungseffekten, die in die Klimaszenarien noch zu wenig einbezogen sind, wie Schellnhuber und andere Wissenschaftler kritisieren. Dazu gehört das Auftauen alpiner oder sibirischer Dauerfrost-Böden und die Freisetzung des dort gebundenen Treibhausgases Methan. Dazu gehört, dass mit der Erwärmung der Ozeane im Wasser und im Meeresgrund gespeicherte Treibhausgase in gewaltigen Mengen freigesetzt werden könnten. Dazu gehört, dass mit dem Abschmelzen der Gletscher und dem Rückgang der Schneebedeckung die Reflektionsfähigkeit der Erdoberfläche abnimmt.

Je wärmer es wird, umso intensiver diese Prozesse, und je intensiver diese Prozesse, umso wärmer wird es. Teufelskreisläufe. Hat die Politik das Ausmaß der Aufgaben begriffen, die ihr mit dem vierten UN-Klimabericht gestellt sind? Die Reaktionen seit Freitag motivieren Hoffnung und Skepsis zugleich. Markige Bekenntnisse für den Aufbruch in eine neue Phase des Klimaschutzes gibt es zuhauf. Die französisch-deutsche Initiative für einen baldigen Weltklimagipfel und die Gründung einer UN-Umweltorganisation sind zu begrüßen – sofern sie nicht als Ersatz für konkretes Handeln dienen.

Unerfreulich sind neben dem Desinteresse der Washingtons und Pekings auch einige Signale aus der deutschen Politik. Da wäre dieser Tage vor allem die heftige Gegenwehr  Berlins gegen EU-Forderungen zur CO2-Absenkung bei den Emissionsrechten für die Industrie und bei PKWs. Da wäre beispielsweise auch die Genehmigung für ein gigantisches neues Braunkohlekraftwerk nebst Aussetzung aller Umweltauflagen für 14 Jahre.

Hehre Worte und praktisches Alltagsgeschäft liegen offensichtlich noch viel zu weit auseinander. Oder wie es der EU-Umweltkommissar ausdrückt: Deutschland unternehme zwar „ehrliche Bemühungen, ist aber leider derzeit keineswegs Vorreiter beim Klimaschutz“.
Andreas Pecht 
 
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