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2007-01-27 Künstlerporträt:
Ein Glückspilz im Ballettsaal

Porträt eines vormaligen Rugby-Spielers, dann Tänzers, jetzt Hauschoreografen bei ballettmainz und Gastchoreografen beim Stadttheater Koblenz: Nick Hobbs
 
ape. Mit dem britischen Rheinland-Pfälzer Nick Hobbs ist ein ehemaliger Rugby-Spieler zum hoffnungsvollen Nachwuchs-Choreografen in der deutschen Ballettszene geworden. Wie das geht? Dazu braucht es Talent, harte Arbeit, Können - und auch ein paar glückliche Umstände.
 
Was seinen beruflichen Werdegang betrifft, ist Nick Hobbs ein Glückspilz. Der 33-jährige "Choreographer in Residence" bei Martin Schläpfers berühmtem ballettmainz weiß das. Und er ist dankbar dafür. Während der Jugendzeit damals in seiner Geburtsstadt London übte Hobbs jene kampfbetonte Sportart aus, die er bis heute faszinierend findet: Rugby. Darin war er gut, spielte in einer Art britischen Regionalliga mit und bestritt mit seiner Mannschaft auch etliche internationale Matches. Dann plötzlich stellte das Leben in seiner unergründlichen Weisheit den gerade 18-Jährigen vor eine Weggabelung. Deren grundlegende Bedeutung für seine weitere Biografie versteckte sich hinter der harmlosen Frage einer Tanzlehrerin, ob er Lust habe, mal ein bisschen Tanzen und Choreografieren zu probieren. Er hatte. So begann vor eineinhalb Jahrzehnten in Großbritannien eher beiläufig eine Karriere, die nachher der Ballettszene in Deutschland für rund zehn Jahre einen erstklassigen Tänzer bescherte und jetzt die schönsten Hoffnungen auf ein großes Choreografentalent begründet.

Januar 2007, Ortstermin. Probe im Ballettsaal des Stadttheaters Koblenz. Nick Hobbs, seit vergangenem Jahr Hauschoreograf am Staatstheater Mainz, erarbeitet in dem kleinen Trainingsraum sein neuestes Tanzstück. Nach drei bei Publikum und Kritik sehr gut aufgenommenen Choreografien in den beiden Vorjahren auf der Mainzer Bühne, ist dies die erste Auswärtsarbeit in der jungen Choreografenlaufbahn. Was Anfang März zur Musik von Benjamin Brittens "Variationen über ein Thema von Frank Bridge" in Koblenz vors Publikum kommen soll, entsteht überwiegend nicht beim Grübeln im stillen Kämmerlein. "Am Anfang ist die Beschäftigung mit der Musik", sagt Hobbs, "da kommen mir erste Ideen, und die Vorstellung von einer groben Richtung, in die es gehen könnte." Von einigen Passagen habe er schon Wochen vor Probenbeginn ein ziemlich klares Bild, die meisten Teile indes entstünden erst aus dem Zusammenwirken mit den Tänzern, beschreibt er seine Arbeitsweise.

Die ist im Ballett nicht unbedingt selbstverständlich. Manche Choreografen treten mit fertigen Ausarbeitungen an, die in den Proben dann bloß noch eintrainiert werden. Drei Frauen und drei Männer braucht Hobbs für das Bourrée Classique, den sechsten der elf kurzen Teile von Brittens Werk, dem an diesem Vormittag schweißtreibende Mühen gelten. Er sitzt dabei nicht etwa bloß kommandierend und beobachtend am Regiepult. Er demonstriert, experimentiert und übt bei vollem Körpereinsatz mit. Sein Tanzpensum ist fast größer als das der eigentlichen Protagonisten. Denn: "Ich schlüpfe mal in die Frauen-, mal in die Männerrollen. Aus den verschiedenen Blickwinkeln eröffnen sich neue, jeweils andere Wege und Möglichkeiten."

Diese Art des kreativen Prozesses ist spannend, auch beim Zuschauen. Da steht etwa, nur für die nächsten drei, vier Takte, eine Bewegungsfolge als Idee im Raum. Die wird probiert, variiert, verworfen, neu gestaltet - mal geht der Impuls von Hobbs aus, mal greift Hobbs Impulse aus der Gruppe auf. Und immer wieder sieht man, wie der Blick des Choreografen sich nach innen richtet, wie er verschiedene Tanzmöglichkeiten vor seinem geistigen Auge ausprobiert.

Es herrscht eine hochkonzentrierte, ernsthafte Atmosphäre im Ballettsaal. Hier wird Schwerstarbeit geleistet - kraftvoll und Kräfte zehrend, zugleich sensibel kunst- und gefühlvolle Bewegungsbilder erschaffend. Und doch wird viel gelacht: Wenn der Schwung einen zu weit treibt; wenn die erdachte Figur beim ersten Anlauf gar zu skurril ausfällt; oder wenn Hobbs bittet, eine Sprungkombination nicht wie Popcorn im Topf sprutzeln zu lassen. Er redet die Tänzergruppe als "Ladies and Guys" an - die Arbeitssprache in der multinationalen Ballettcompagnie ist Englisch. Einige Mitglieder sind für ihn alte Bekannte, Freunde: Mit Etsuko Onishi, Ross McDermott, Michelle Branson und Melanie Bürkle tanzte er vor Jahren zusammen; da gehörte er selbst noch der Truppe des Koblenzer Stadttheaters an.

Denn hier hatte Hobbs sein erstes festes Engagement als Berufstänzer. Von London ans Rhein-Mosel-Eck? Das kam nach seiner Erzählung so: Auf Talentsuche in Großbritannien, sah ihn der Koblenzer Ballettchef Anthony Taylor in London tanzen. Nur wenige Stunden darauf, an einem Freitag des Jahres 1996, kam ein Anruf von Taylor. Zwei Tage später saß Hobbs bereits im Flugzeug nach Deutschland, zwei Wochen später trat er im Ballett "Nussknacker" vors Koblenzer Publikum. Glückspilz sein, das kann auch ganz schön anstrengen.

Nach drei Jahren Ausbildung an der Nothern School of Contemporary Dance in Leeds und einem Jahr klassischen Trainings beim London Studio Center war Nick Hobbs in Rheinland-Pfalz angekommen. Dort sollte er bleiben. Der damalige Koblenzer Intendant Georges Delnon hatte den Schweizer Martin Schläpfer für zwei Gastchoreografien ans Stadttheater geholt. Hier trafen Schläpfer und Hobbs erstmals aufeinander. Ein gutes Zusammentreffen, mit glücklichen Folgen: Als Delnon ans Mainzer Theater wechselte, engagierte er dorthin Schläpfer als Ballettchef. Von dem erhielt Nick Hobbs einen Brief mit der Frage, ob er nicht bei der neuen Mainzer Ballettcompagnie tanzen wolle. Er wollte - und trug als Tänzer zwischen 1999 und 2006 zum Aufstieg des ballettmainz in die Spitzengruppe der europäischen Tanzcompagnien bei. "Mainz war eine Riesenchance für mich." Dort tanzte er in fast allen Schläpfer-Uraufführungen mit, wuchs an Balletten von Hans van Manen, Kurt Jooss, Nils Christe, Gisela Rocha, Stijn Celis und anderen herausragenden Choreografen der internationalen Szene. Eine schwere Schule, aber auch eine hohe - und deshalb ein Glücksfall.

Tänzerkarrieren sind kurz. Früh macht der Körper auf seine Grenzen in Sachen ballettöser Extrembelastung aufmerksam. Um Mitte 30 heißt es für die meisten Tänzer: beruflich umsatteln. Hobbs hat seine Laufbahn als Tänzer im vergangenen Jahr beendet. Aber er kann in der Ballettsparte bleiben, weil Martin Schläpfer ihm einen traumhaften Einstieg ins Choreografen-Fach anbot. Welcher Neuling darf sich schon an einer Weltklasse-Compagnie versuchen? Nick Hobbs mit dem ballettmainz. Und darf sich gleichzeitig auch andernorts engagieren? Nick Hobbs jetzt als Gastchoreograf bei der Koblenzer Compagnie.

Glückspilz sein, kann eben auch Herausforderungen von schier beunruhigender Schwere mit sich bringen. Der britische Rheinland-Pfälzer übt sich nicht nur deshalb in Bescheidenheit: "Ob ich wirklich ein Choreograf bin, werde ich in zehn Jahren oder so wissen."

Derweil ist Nick Hobbs froh, dass ihn die erste Auswärtsaufgabe an eine vertraute Wirkungsstätte führt: ans Stadttheater Koblenz und für eine Weile wieder an die Seite seines "Entdeckers" Anthony Taylor. Der Senior wird einen Teil, der Junior den anderen des nächsten Ballettabends gestalten.

Andreas Pecht
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Zu den Besprechungen der Choreografien von Nick Hobbs beim
balletmainz 2005 und 2006:

2006-11-11 Ballettkritik:
Programm XXII beim ballettmainz -
van Manen und Nick Hobbs ("Gingerly Tilted Askew")


2006-05-14 Ballett:
Programm XXI des ballettmainz - 

Schläpfer und Nick Hobbs (("Signs, Games and Messages")

 2005-02-28: Ballett
Ballettmainz XVII u.a. mit Nick Hobbs ("Come to pass")


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