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2007-01-10 Romanrezension:
In archaischer Einsiedelei randaliert
das Hirn des Großstädters

"Stille", der elfte Roman des Briten Tim Parks
 
ape. Der Mann ist ein Superstar im britischen Fernsehen, sein aggressives Interview mit US-Präsident Bush eine Sternstunde des TV-Journalismus. Und doch verschwindet Harold Cleaver von einem Tag auf den anderen aus dem Scheinwerferlicht, aus London, aus seiner Familie - aus den Lebensumständen eines wichtigen, eines gemachten Mannes im besten Alter. Cleaver ist der Held in Tim Parks elftem Roman „Stille“. Und um der Stille wegen flüchtet er dorthin, wo es kein Telefon, kein Fernsehen, nicht mal elektrischen Strom gibt: in eine abgeschiedene Hütte hoch droben im südtiroler Gebirg.
 
Ein Großstädter plagt sich mit nie erlernten Lebenstechniken: Wasser holen, Feuer erhalten, Licht machen, Nahrung beschaffen, aufs Bad verzichten und das Außenplumpsklo benutzen. Das hätte für sich eine schöne Geschichte werden können. Leider interessiert sich der Autor für die praktischen Kalamitäten in der archaischen Einsiedelei nur am Rande. Lieber beobachtet er, welche Mühen dem vormaligen Informations- und Kommunikationsjunkie die Abnabelung vom plärrendem Äther und vom Weltweitnetz bereitet. Dieser Entzug ist hart.

Einige Zeit will Clever sich das zumuten, vielleicht Monate, mag sein ein paar Jahre. Die Sache hat jedoch einen Haken: Je tiefer die äußere Stille wird – einen halben Tagesmarsch vom nächsten Ort entfernt -, umso lauter rumort es in seinem Hirn. Denn neben eigenen Lebenszweifeln hat er die Erinnerung an ein Buch  mitgebracht: den autobiografischen Roman seines Sohnes Alex unter dem Titel „Im Schatten des Allmächtigen“.

Und was der Junior darin über den dominanten, den eitlen, den egozentrischen, den hypochondrischen, den wettbewerbsgeilen, den liebesunfähigen, den sexbesessenen, den impotenten Vater geschrieben hat, bringt selbigen um das letzte bisschen Geistes- und Herzensruhe. Ob Cleaver Schnee schippt, mit der Öllampe hadert, Einsamkeitsgespenster sieht oder in die Geheimnisse des ebenfalls zivilisationsfernen Nachbarhofes eindringt – sein Kopf bleibt allweil mit dem Spiegel beschäftigt, den der Sohn ihm vorhält.

Tim Parks Romankonstruktion sieht entsprechend aus: Jeder Schritt Cleavers im Gebirge ist auch ein Schritt durch Alex´ Roman; Jetztzeit und Romanzeit, Sohnes Vorwürfe und Vaters Reflexion sind untrennbar miteinander verwoben. Manchmal, wenn die realen Vorkommnisse im Einsiedlerleben besonders interessant werden, nervt das Abgleiten in jenes andere Buch. Aber, Parks hat nie den Anspruch auf einen Aussteigerroman oder eine Robinsonade erhoben. „Stille“ handelt in erster Linie von einem in die Lebenskrise geratenen großstädtischen Erfolgsmenschen. Die Reibung mit der urwüchsigen Abgeschiedenheit dient ihm dabei bloß als verschärfender Katalysator. Dass sie Ausweg oder Alternative sein könnte, davon kommt nur ganz am Ende eine leise Ahnung auf. Andreas Pecht

Tim Parks: Stille. Kunstmann Verlag, 360 Seiten, 22 Euro

Andreas Pecht
 
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