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2006-12-29 Hintergrund:
Quo vadis, Landesstiftung Villa Musica
Rheinland-Pfalz?

Ein Gespräch mit der Doppelspitze Joachim Hofmann-Göttig und Klaus Arp
 
ape. Im November 2006 beging die rheinland-pfälzische Landesstiftung Villa Musica ihren 20. Geburtstag. Gefeiert wurde eine Erfolgsgeschichte. In den Festreden klang aber auch ein Nachdenken über neue Weichenstellungen an. Bewusst mit etwas Abstand zu den Jubiläumsfeiern sprachen wir darüber mit den Vorsitzenden der Villa Musica, Kulturstaatssekretär Joachim Hofmann-Göttig, und dem Künstlerischen Leiter Klaus Arp.
 
MAINZ/ENGERS. 21 Millionen Euro Stiftungskapital, dazu Schloss Engers als imposanter Immobilienbesitz: Die Villa Musica ist nicht eben das unbedeutendste Licht unter den deutschen Kulturstiftungen. Materiell nicht, in der Sache erst recht nicht. Förderung des musikalischen Spitzennachwuchses und Veranstaltung von Konzerten, so definiert sich der doppelte Stiftungszweck. Der konzentriert sich in beiden Fällen auf ein spezielles Gebiet: die Kammermusik. Das bedeutet in der laufenden Saison 130 Kammermusikkonzerten verteilt auf ganz Rheinland-Pfalz, Förderung von 118 hochbegabten Jungmusikern in 19 Kursprojekten.

Die Stipendiaten der Villa Musica kommen aus aller Herren Länder, erkennt unschwer, wer öfter deren Konzerte besucht. Frage an Joachim Hofmann-Göttig und Klaus Arp beim Gespräch im Stammhaus der Villa Musica auf der Mainzer Bastei: War bei Gründung der Stiftung 1986 unter Ministerpräsident Bernhard Vogel nicht eher an Förderung hochbegabter Landeskinder gedacht gewesen? „Die Praxis“, erläutert Arp, „war nie so. Früher brachten die hier lehrenden Dozenten einfach ihre Lieblingsstudenten mit. Die kamen aus ganz Deutschland, oder es waren junge Leute aus dem Ausland, die in Deutschland studierten.“ Ein etwas diffuses Verfahren, das nach einer umfassenden Strukturreform der Villa unter Ministerpräsident Rudolf Scharping 1993 durch das bis heute gebräuchlichen Probespiel der Bewerber ersetzt worden ist.

Als die Stiftung aus der Taufe gehoben wurde, gab es in Rheinland-Pfalz keine Musikhochschule. Inzwischen schon. Wird dadurch die Villa Musica nicht überflüssig? „Keineswegs“, meint Hofmann-Göttig, „denn unser Auftrag besteht darin, etwas Besonderes zu leisten, etwas, das Musikhochschulen nur bedingt oder gar nicht können: dem hochtalentierten Musikernachwuchs den Übergang in eine Berufstätigkeit erleichtern.“ Dazu gehöre die konzentrierte Auseinandersetzung mit Kammermusik im Rahmen der Kursprojekte, die heute hauptsächlich in Schloss Engers stattfinden. „Dort leben und arbeiten Stipendiaten und Dozenten von Rang mehrmals im Jahr jeweils mehrere Tage miteinander und bereiten Konzerte vor, die sie dann auch gemeinsam geben. Das sind unschätzbare Erfahrungen, die Musikhochschulen so nicht bieten können“, ist der Staatssekretär sicher.

EINMALIGES KONZEPT: KURS UND KONZERT

Klaus Arp greift diesen Ball auf, um mit dem bündigen Begriffspaar „Kurs und Konzert“ die Frage zu beantworten, was denn die Villa Musica berechtigt, sich als Einmaligkeit in Deutschland, ja im europäischen Nachbarschaftsraum zu bezeichnen. „Kurs und Konzert – das gibt es zwar punktuell auch anderswo. Aber eben nur punktuell, etwa bei einem Festival einmal im Jahr. In der Villa Musica ist es Dauerprinzip im ganzjährigen Betrieb, dass Dozenten und Stipendiaten gemeinsam arbeiten und konzertieren. Das gibt es nirgendwo sonst“ Dieses Statement ergänzt der Kulturpolitiker: “Sollten wir doch wider Erwarten in Europa auf jemanden stoßen, der das genauso macht, würden wir sofort die Zusammenarbeit suchen.“

Im Zuge der Sparmaßnahmen bei der Öffentlichen Hand verändert sich in Deutschland zusehends die Rolle der Kulturstiftungen. Waren viele Stiftungen ursprünglich gedacht, um dem Kulturbetrieb besondere Sahnehäubchen zu ermöglichen, so fungieren sie nun vermehrt als Notnagel für den unterfinanzierten Grundlastbetrieb in der Kultur. „Die Villa Musica ist eine Sahnehäubchenstiftung. Sie sichert nicht Grundlast, sondern schafft einen Mehrwert“, darauf pocht Hofmann-Göttig. Allerdings sei die Trennlinie so scharf nicht zu ziehen: „Wenn es die 130 Konzerte der Villa Musica nicht gäbe, würde ein Stück Daseinvorsorge in der Fläche fehlen.“

In seiner Jubiläumsrede hatte Hofmann-Göttig drei Kernbereiche angedeutet, denen er für die nähere Zukunft besondere Bedeutung zumisst. Erstens: Selbstprüfung, wie Gutes besser werden kann. Zweitens: Nachdenken, wie das internationale Niveau der Villa überregional  mehr Beachtung finden kann. Drittens: Überlegen, wie mehr junges Publikum für Kammermusik gewonnen werden kann.

SELBSTPRÜFUNG UND SCHWACHSTELLENANALYSE

Die Selbstprüfung läuft, erfahren wir. Etliche Beschlüsse in der „Kategorie Feinschliff“ wurden bereits gefasst. „Doch wir sind längst nicht am Ende dieses Prozesses“, weshalb der Politiker bedauert, noch nicht sagen zu können, „was sie hören wollen: Ab sofort ändern wir 1., 2., 3., …“.  Wenigstens über eine Sache konnte Hofmann-Göttig Mitteilung machen, sie betrifft die Open-airs im Schlosshof zu Engers. Die werden aus der Verantwortung der künstlerischen Leitung der Villa heraus genommen und sollen einer eigenen Konzeption folgen: Nicht das traditionelle Saalangebot einfach unter freien Himmel verlegen, sondern ein spezielles Open-air-Programm fürs breite Publikum anbieten. Zielmarke je Konzert sind 800 Besucher. Die Villa-Musica-Doppelspitze aus Politik/Strategie/Marketing und künstlerischer Leitung empfindet das als Experiment. Der Außenstehende wird wohl das konkrete Programm abwarten müssen, um den Unterschied zu den auch früher schon populären Open-Airs (Swinglegenden, Belcanto-Gala, Sommernachtsball…) zu begreifen.

Es ist für jede Kulturinstitution, die auf sich hält, ein Ärgernis, wenn das große Feuilleton kaum Notiz von ihm nimmt. Die Villa Musica trifft das besonders hart, weil sie, wie Klaus Arp es ausdrückt „bei Insidern, bei Musikern, Musikpädagogen, Musikstudenten  überhaupt kein Problem hat, wahrgenommen zu werden; da kennt und schätzt man uns“. Das Problem liegt bei den großen Medien jenseits der Landesgrenze. Hofmann-Göttig räumt ein: „Daran arbeiten wir seit Jahren, leider nicht mit besonders viel Erfolg. Immerhin, es gibt einige Zeichen der Hoffnung; dabei helfen unsere CD-Produktionen und die Karrieren, die etliche unserer früheren Stipendiaten machen, zuletzt beispielsweise Martin Stadtfeld.“ In der Tat heimsen CDs des Ensembles Villa Musica immer wieder bedeutende Preise ein, darunter der Echo-Klassik.

DIE AUFMERKSAMKEIT DES FEUILLETONS GEWINNEN

Was tun? Mit Qualität wuchern. Unter dieses Motto könnte man die jüngsten Ideen in diesem Problemkreis stellen: Villa-Musica-Ensembles treten verstärkt außerhalb von Rheinland-Pfalz auf; die Stipendiaten werden vertraglich gehalten, auch bei ihrer späteren Karriere die Villa-Musica-Zeit in ihren Biografien anzuführen; die Landesstiftung bewirbt sich um Teilnahme an einem Projekt für Neue Musik der Bundeskulturstiftung. Neue Musik? Ist die bei der Villa Musica nicht eher ein Randthema? Das findet Klaus Arp nun gar nicht: „Immerhin haben wir in fast jedem Konzert etwas aus dem 20. Jahrhundert. Natürlich möchten wir die Avantgarde mehr berücksichtigen, aber wir wollen sie dem Publikum nicht mit der Brechstange einbläuen.“ Arp gibt die ländliche Struktur von Rheinland-Pfalz zu bedenken: „Wir müssen unser Publikum abholen.“ Eine schwierige Balance, denn: „Eine solche Stiftung hat ja auch einen kulturdidaktischen Auftrag, ist nicht dazu da, nur brav den Publikumsgeschmack zu bedienen.“

Die Dinge sind im Fluss. Was sich vom Problem des Mangels an jugendlichem Publikumsnachwuchs für Kammermusik nicht sagen lässt. Der Altersdurchschnitt liegt dort noch höher als in den Auditorien der sinfonischen Sparte. „Das Verrückte daran ist“, meint Hofmann-Göttig, „dass es bei den Akteuren gar nicht schlecht aussieht. Es gibt zum Beispiel in Rheinland-Pfalz ein bemerkenswert dichtes Netz von Schulorchestern. Das Problem liegt eher publikumsseits. Tolle junge Stipendiaten ziehen eben nicht automatisch auch junges Publikum an.“ Das aber muss auf lange Sicht gewonnen werden, sind sich Stiftungsvorsitzender und Künstlerischer Leiter einig. Weil: „Die Kammermusik hat nur eine Zukunft, wenn sie auch eine beim Publikum hat.“

Die Problemanalyse ist glasklar, ein Weg zur Veränderung allerdings noch nicht erkennbar. „Da stehen wir ganz am Anfang“, schätzt Hofmann-Göttig – und denkt schon mal laut darüber nach, dass vielleicht Beratungen „mit den Schulmusikern“ sinnvoll sein könnten. „Wie können wir es hinkriegen, eine Verbindung zwischen denen zu schaffen, die in den Schulen selbst musizieren, und den Angeboten der Villa Musica? Die musikbegeisterten Schüler als lernbegierige Beobachter, als Publikum unserer Elitestipendiaten. Davon hätten beide viel.“  

Andreas Pecht

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