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2006-12-15 Schauspielkritik:
Liebe im Gletschereis eingefroren
Deutschsprachige Erstaufführung von Greg MacArthurs "Schneemann" in Bonn
 
ape. BONN. Menschen dort, wo es lange kalt ist, lange dunkel,  und  meistens langweilig – allein und in Gesellschaft erst recht. Zwei, Denver und Marjorie, gestrandet in einem kanadischen Kaff irgendwo an der Grenze zum ewigen Eis. Sie verleihen Videos, gucken selber den ganzen Tag. Dabei hockt ein dritter, der schwule Jugendliche namens Jude, im Ort als Kind zurückgelassen von den Eltern. So vor der Glotze, bei Horrorfilmen und Pornos, wirken sie zufrieden: Das Leben vergeht, indem  es voll der Leere stille steht. Was will man mehr.
 
Das ist fast wie bei Tschechow. Nur dass sich im aktuellen Fall die Blicke auf hysterisch bewegte TV-Bilder richten und davon manche in die dann doch noch stattfindende Handlung  einfließen. Marjorie träumt, jemand schneidet ihr den Bauch auf, um heraus zu pulen, was sich im Leib verbirgt. Jude begehrt Denver, liegt alsbald aber bei einer im Gletschereis eingefrorenen Leiche. Denver fantasiert von der heißen Nummer mit der   herbeigerufenen Archäologin Kim, die jene Eisleiche begutachten will.

Vier Menschen auf der Bonner Werkstattbühne, von Gesine Kuhn so hergerichtet: Spartanisches Stahlmobiliar, spartanische Container-Bude,  Landschaft aus Abdeckplane, Eulen, Hirsch und Elchkopf aus Gips. Zur Deutschsprachigen Erstaufführung kommt „Schneemann“, ein Stück des Kanadiers Greg MacArthur. Knapp zwei Stunden dauert, was Regisseur Jens Kerbel daraus gemacht hat: Ein krudes Trauerspiel um vier beschädigte Gestalten, die miteinander nicht mehr klar kommen, sobald ein bisschen Leben sie von der Fernsehcoutsch zerrt. Miteinander funktioniert nicht, weil jeder mit sich selbst im Unreinen ist – oder auch umgekehrt.

Formale Eigenart des Stückes ist, dass die Figuren  wenig miteinander reden, dafür umso mehr laut ins Publikum denken.
Denkend erzählen sie von sich, von ihrem Blick auf die anderen, von den Ereignissen um den Toten im Gletschereis. Hin und wieder übertragen von der Fundstelle Videobilder Judes Gesicht auf die Vorderbühne. Ein paar Minuten symbolisieren Bilder von Krabbelmaden  den fragilen Zustand des Leichnams.

Davon abgesehen verzichten die Regie auf Visualisierung von Horror- und Pornoelementen. Unbehelligt von Ekelgefühlen, überfällt den Zuseher rasch die ganze deprimierende Tristesse dieser Art des Daseins. Und es braucht nicht viel Geistesanstrengung, um in der Trostlosigkeit des kanadischen Outback die Trostlosigkeit zeitgenössisch urbaner Ungeselligkeit wiederzuerkennen.

Hendrik Richter (Denver), Nicole Kersten (Marjorie), Arne Lenk (Jude) und Nina Vodop'yanova (Kim) erspielen gekonnt eine Atmosphäre gleichmütiger Hoffnungslosigkeit. Man lebt Leben, das keines ist, aber das mit größter Selbstverständlichkeit. Gut gemeint, gut gemacht, doch allzu bekannt.
Andreas Pecht
 
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