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2006-12-02 Begegnung XV:
Prestenbach und die Pop-Kultur

Mit dem Inhaber des "Circus Maximus" über seinen Laden, die alternative Clubszene und die übrige Kultur in Koblenz
 
ape. Koblenz. Bei allen bisherigen „Begegnungen“ trafen sich, wenn nicht in jedem Fall gute, so doch stets alte Bekannte. Diesmal ist das anders: Denn Ralf Prestenbach und die Musikszene, die in dessen Koblenzer „Circus Maximus“ daheim ist, sind für unseren Autor Andreas Pecht  Unbekannte. So wurde diese „Begegnung“ auch eine Annährung zwischen sich sonst eher fremden Kulturmilieus in Koblenz. 
 
Er ist ein echter Koblenzer. Genauer, ein Metternicher Bub. Und er ist auf seine Art  wichtig für das Kulturleben in der Rhein-Mosel-Stadt. Zumindest seit 1999, dem Jahr, da er an der Ecke Stegemannstraße/Victoriastraße sein multifunktionelles Kulturetablissement mit Namen „Circus Maximus“ (programmatischer Untertitel: „Brot und Spiele“) eröffnet hat. Ein bisschen seltsam ist es deshalb schon, dass ich Ralf Prestenbach zuvor nie begegnet bin, noch nie einen Satz mit diesem Mann gewechselt habe, der das Zeug haben soll, dereinst in die Fußstapfen von Berti Hahn zu treten. So jedenfalls sprach wiederholt Berti selbst – wohl an eine spätere Zeit denkend, die ihn auf dem Rentnerbänkchen Senioren-Pils trinken sieht.

Diese „Begegnung“ beginnt in einem winzigen Kabuff von Büro, Marke alternatives Jugendzentrum anno 1975. Dass von hier aus ein gut gehender Konzertclub mit Café und Restaurant erfolgreich gemanagt wird, ist eine von etlichen Ungewöhnlichkeiten im Falle „Circus Maximus“. Warum sind wir uns noch nie begegnet? Wohl, weil die Art Kultur, für die Prestenbach Raum bietet und mit der er sein Brot verdient, kaum Berührungspunkte zum etablierten Kunstbetrieb in der Stadt aufweist. Punk, Independent, Ska, Raggaeton, Alternative, Metal, Gothic, HipHop  – das Konzert- und Partyprogramm in den Circus-Katakomben unter dem Circus-Café/-Restaurant birgt manche Musikrichtung, von der unsereins noch nie gehört hat. Oder um deren Livepräsentation ich eher einen Bogen mache, weil das einst auch Hardrock-gestählte Gehör mit den Jahrzehnten doch an Standfestigkeit einbüßte.

„Mir wird es mit der Zeit manchmal auch zu laut“, bekennt der Circus-Chef. Zwar ist er erst 36 Jahre alt, hat allerdings mehr als die Hälfte dieser Zeit in diversen Bands den Punk gesungen, hat Konzerte und Festivals veranstaltet. Das zehrt. „Hans A. Leberschäden“ hieß so eine ortsberüchtigte Formation. Mit einer anderen namens „Lahnstein“ nahmen Prestenbach und Co. „Rammstein“ auf die Schippe. Das erste von ihm organisierte Festival hieß treffend „Hof- und Gartengelage“. Es wurde neun Jahre lang in Gappenach/Eifel ausgetragen. Dort, wo der Punker, gelernte Masseur und  medizinische Bademeister, abgebrochene Tiermediziner und diplomierte Pädagoge auf einem Bauernhof sein Refugium fand.

Warum nun ist Ralf Prestenbach wichtig für das Koblenzer Kulturleben? Antwort: Er ist ein rühriger Kerl, der was wagt, was unternimmt - obwohl anfangs gute Ideen und eine Bürgschaft vom Papa sein einziges Kapital waren. Mit Ralf Lohr und Dirk Zimmer hatte er in den 90ern zunächst in die Kufa einsteigen wollen. Diesen Part übernahmen aber Dieter Servatius und seine GmbH. Dann zog sich der Club „Suppkultur“ aus der Innenstadt zurück. „Das Stadtzentrum ohne Konzertclub, das geht doch nicht, da muss etwas geschehen“, so dachte Prestenbach und brachte unter mannigfachen Schwierigkeiten seinen Circus auf den Weg.

Ein echter Unternehmer also, ohne den es weder den „Circus Maximus“, noch sommers an der Mosel einen bewirteten Sandstrand gäbe. Der Strand ist nicht unser Thema, aber vom  „Circus“ lässt sich sagen: Fehlte er, es fehlten dem innerstädtischen Kulturmix ein paar Zutaten, die auch derjenige umstandslos für ein urbanes Koblenz als wichtig erachten kann, der dieser Musikszene persönlich eher wenig abgewinnt. Es fehlte der Circus etwa als Auftrittsmöglichkeit für junge heimische Bands. Vor allem aber fehlte dem Publikumssegement von 20 bis etwas über Mitte 30 die Würze einiger Musik- und Kulturstile, die leicht bis deutlich abseits der wohlfeilen Megatrends angesiedelt sind.

Kurzum: Ohne diesen Club hätte das Koblenzer Nachtleben gerade dort ein Leerstelle, wo die jüngere Popmusik-Kultur womöglich am innovativsten ist: im „Underground“, wie man das leidlich unangepasste bis renitente Spektrum schon vor Urzeiten (in den frühen 1970ern) nannte, als Frank Laufenberg noch via Südwest-Radio Sonntags für eine Stunde den bürgerlichen Hausfrieden störte. Musik- und Lebensstil haben sich seither vielfach gewandelt, doch wie damals, so ist der Underground auch heute ein ziemliches Gewirr aus teils sehr speziellen Strömungen.

Prestenbach möchte recht viele davon in seinem „Circus Maximus“ vertreten haben, sei es in Form von Livekonzerten oder in Form von Themen-Partys. Aber: „Ich kann selbst nicht veranstalten, wovon ich nichts verstehe“ hat er gelernt, und legt deshalb etwa zwei Drittel der Veranstaltungen in die kundigen Hände externer Veranstalter. Anfangs, im ersten Circus-Jahr 1999 „wollte ich noch alles machen, ein Spektrum bis hin zum Jazz anbieten“. Das war ambitioniert gedacht, aber praktisch wohl ein Schritt zu weit: Manches funktionierte einfach nicht. Lehrgeld war auch im Gastronomiebereich des Circus zu zahlen. Angetreten war der Punker vom Bauernhof – alternativ angehaucht – mit dem Anspruch: „Wir machen nur gesunde Speisen.“ Das funktionierte abends, wenn sich das jüngere Publikum für lange Nächte in der Katakombe stärkte, ganz gut. Ins Speiselokal im Tagesbetrieb kam aber erst richtig Schwung, „als ich die Fritteuse anschmiss“.

Beim Blick in die Speisekarte und nachher auf den Teller kommt einem diese Metapher etwas überspitzt vor: Hier wird ordentlich gekocht – inzwischen eben auch für Geschmäcker jenseits ökokulinarischer Correctness. Restaurant, Café, Kneipe: Der Tagesbetrieb liegt Prestenbach am Herzen, denn „ich möchte, dass das hier lebendig ist, dass man sich hier immer treffen kann“. Dazu nachts die Konzerte und Partys, dazu der monatliche Poetry Slam, dazu immer wieder mal ein politisch engagiertes Solidaritätskonzert, subversives Liedermaching oder gar ein Vortrags- und Diskussionsabend: „Ich wünsche mir den Circus als eine Art kulturelles Zentrum“ – diesen  Anspruch hat Prestenbach durch sieben Jahre „Circus Maximus“ gerettet.

Die auch sieben Geschäftsjahre waren, denn „wir sind kein subventioniertes Jugendzentrum mit soziokulturellem Auftrag. Geld soll und darf nicht die Hauptsache sein, aber es muss verdient werden.“ In dieser Hinsicht gleicht der junge „Circus Maximus“ dem reifen „Café Hahn“, beides sind mittelständische Privatunternehmen; bei Prestenbach stehen zehn Festangestellte und rund 30 Aushilfen in Lohn und Brot. „Das Hahn-Publikum wird zusammen mit dem Hahn-Besitzer älter“ zitiert der Circus-Chef, was der Kollege in Güls öfter feststellt. Diese Erfahrung wird auch Prestenbach in ein paar Jahren machen müssen. Im Moment freut es ihn mehr, dass sich die Altersstruktur seines Publikums allmählich auch nach oben erweitert.

Ein Treffpunkt der Szenen, der Stile, der Generationen – im Circus-Cafe/-Restaurant ist das längst Alltag: Anwalt trifft auf Punklady mit Mehrfach-Piercing, Ärztin auf Rocker mit Großflächen-Tattoo, Studentin auf emeritierten Hausmann, Türke auf Inder … man erschreckt nicht, tut sich nichts, kommt bisweilen ins Gespräch miteinander. Multikulturelles Stadtleben der angenehmen Art. Drunten im „Partykeller“ frönen bis zu 250 Besucher in dieser Nacht  ihrer ganz speziellen Musik- und Feier-Art, ein andermal purzeln bei Crossover-Partys mit Hits diverser Richtungen von den 50ern bis in die 90er die Szenen und Vorlieben wild durcheinander. 

Hahn und Circus, Suppkultur und Kufa: Man kennt sich, man schätzt sich, man spricht sich schon mal ab, um Doppler-Veranstaltungen zu vermeiden. Konkurrenz? „Nein, eigentlich tun wir uns nicht weh, weil jeder Laden seine eigene Ausrichtung hat“, beschreibt Prestenbach die Beziehungen zwischen den „näheren Verwandten“ auf dem Koblenzer Clubmarkt. Und was hält der 36-Jährige vom Koblenzer Kulturleben jenseits des eigenen Segments? Wie sich die Antworten doch gleichen, egal ob sie von „den Jungen“ wie Prestenbach und Berti Hahn oder von den alten Kulturkämpen wie Dieter Servatius oder Rolf Wegeler kommen: „In den letzten Jahren hat sich Koblenz wahnsinnig entwickelt. Es gibt jetzt in vielen Kultursparten hier unglaublich viele hochkarätige Sachen. Es gibt in der Stadt ein Riesenangebot zum Weggehen. Da findet jeder was.“

Koblenz also ein urbanes Kulturparadies auf Erden? Ralf Prestenbach bleibt auch beim Schwärmen auf dem Teppich. Weshalb zwei seiner Nebensätze nicht unerwähnt bleiben sollen: „Zu manchen Konzerten kommen in Koblenz einfach weniger Leute als anderswo“. Und: „Wenn die Koblenzer mal wirklich was Internationales erleben wollen, liegen Köln und Frankfurt ja vor der Haustür.“

Andreas Pecht
 
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