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2006-11-24 Ausstellungsbesprechung:
Und ewig locken Haremsfreuden

Mittelrhein-Museum Koblenz thematisiert mit der Schau "Die Türken kommen!"
300 Jahre West-Rezeption orientalischer Kultur
 
ape. Koblenz. Zuerst waren sie gefürchtete Feinde, nachher neugierig beäugte und inspirierende Fremdlinge. Schließlich  verbündete sich das Deutsche Reich mit ihnen: den Osmanen, den Türken. Das Koblenzer Mittelhein-Museum beleuchtet unter dem Titel „Die Türken kommen“  300 Jahre  Wechselwirkung  zwischen Orient und Okzident – vom Kampf um Wien über Mozarts Türkenoper bis zu den  Haremsfantasmen des 19. Jahrhunderts.
 
Was anfangs bloß musealer Beitrag zum Mozart-Jahr hatte werden sollen, ist eine fulminante Ausstellung über einen der gewichtigsten „Kulturkämpfe“ im alten Europa geworden: „Die Türken kommen – Exotik und Erotik: Mozart in Koblenz und die Orient-Sehnsucht in der Kunst“. Mit diesem Titel spannt das Mittelrhein-Museum einen weiten, aber sinnfälligen Bogen europäischer Geschichte.

„Die Türken kommen!“ dieser Schreckensruf kündete über Jahrhunderte vom Vormarsch des Osmanischen Reiches gen Westen. 1683 erlebte die Bedrohung des Abendlandes durch die „Muselmanen“, ihren Höhe-  und Umkehrpunkt: 200 000 Soldaten des Sultans wurden vor Wien geschlagen. Nun konnte aus Angst Neugier werden, konnte die Fremdheit wechselseitiger Beeinflussung, ja Befruchtung weichen.

Der Ausstellungsrundgang in Koblenz beginnt mit Konfrontationen. Wuchtig,   schwer, schmucklos die Rüstungen, Helme, Schwerter der West-Mannen. Die Ausrüstung der Sultanskrieger hingegen: Leichtes Kettenhemd, Pfeil und Bogen, kunstvoll verzierte Beinschienen und Säbel. Die Waffen dokumentieren ebenso Unterschiede in der Kriegsführung wie unterschiedliche Selbstverständnisse in der Alltagskultur. Was freilich die Brutalität anging, erwiesen sich beide als Barbaren: Kinder etwa wurden hie wie da verschleppt.

Von den Konfrontationen zum wichtigsten Aspekt der Ausstellung: den Annäherungen. Über die Kultur im osmanischen Vielvölkereich gab es nur Ahnungen. Begierig wurden die Gemälde, die der Niederländers Vanmour bei Reisen in die Türkei anfertigte als Zeugnisse aufgegriffen. Es entstand in Westeuropa eine ausuferende Türkenmode, deren Wirkung auf Bildende Kunst, Kunsthandwerk, Musik und Alltagskultur im Zentrum der  Schau steht.

Wertvolle Porzellane aus Meißen oder Höchst zeigen Orientalen beziehungsweise das, was man im Westen dafür hält. In der Musik wird „alla turca“ modern und 1787 das Koblenzer Theater mit Mozarts Türkenoper „Entführung aus dem Serail“ eröffnet. Die seinerzeitigen Kostümentwürfe für die Janitscharenkapelle sind in der Ausstellung ebenso vertreten wie ein Satz  Janitscharen-Instrumente nebst Erläuterung, was Janitscharen sind, wie sie vom Westen adaptiert und verfremdet wurden.

Denn dies wird beim Rundgang rasch deutlich: Mochter die Westeuropäer des 17., 18. und 19. Jahrhundert sich noch so gern als Orientalen kostümieren, ihr Blick auf die osmanische Kultur war dennoch von teils absurden Fantasien über orientalische Prunk- und Lustparadise arg getrübt. Das Mittelrhein-Museum trägt zur Klärung bei, indem es etwa sinnlich überhöhten Haremsdarstellungen oder den Männerfantasien von der lockenden Odaliske mit realistischen Einblicken in den Sultanshaushalt entgegen tritt.

Der Ausstellungsrundgang endet bei Dokumenten über den ersten Staatsbesuch eines türkischen Sultans in Deutschland: Abdulaziz kam 1867 in Koblenz mit Wilhelm I. und Gattin Augusta zusammen. Der Osmane brauchte Geld, der Preuße Verbündete. Eine Generation später zogen sie gemeinsam in den Weltkrieg und gingen gemeinsam unter – das Osmanenreich und die Hohenzollernmonarchie. ⋌Andreas Pecht


Bis 18. Februar 2007; Di–Sa 10.30–17 Uhr, So u. Feiertag 11–18 Uhr. Katalog 19 Euro.
Info: Telefon 0261/129 25 20,

www.mittelrhein-museum.de

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Weiterer Artikel zu dieser Ausstellung:

2006-10-27 Kultur:
Mittelrhein-Museum Koblenz - 

Vorbericht "Die Türken kommen"

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