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2006-10-29 Ballettkritik:
"Giselle" sucht an der Mosel
nach neuen Wegen

Sven Grützmacher interpretiert den Ballettklassiker am Theater Trier zeitgenössisch
 
ape. Trier. Vor einer Woche kam das Ballett „Giselle“ in einer Choreografie von Amanda Miller in Köln auf die Bühne (siehe Link am Artikelende). Auch am Theater Trier hat sich Ballettchef Sven Grützmacher für die erste Produktion seiner zweiten Saison an den Klassiker gewagt. Gemeinsam ist beiden der Verzicht auf den  Spitzentanz der Urfassung von Coralli/Perrot (1841 Paris) oder der legendären Choreografien von Marius Petipa (1884 und 1887 St. Petersburg). Doch damit enden die Übereinstimmungen schon.
 
Während in Köln Adolphe Adams Musik vom Band kommt, bringt Trier unter dem Dirigat von Christoph Jung sein Philharmonisches Orchester zum passabel dem Tanz dienenden Einsatz. Am Rhein spult Miller  brav die alte Unglücksgeschichte von Bauernmaid und Prinz ab, an der Mosel erzählt Grützmacher eine ganz andere Story. Die spielt zwischen 1960 und 1990 in der Provinz. Damit hätte Trier die Chance auf den interessanteren, weil zeitgenössisch interpretierenden Abend. Chance genutzt? Ja, zumindest im ersten  Teil.

Da sehen wir ein Paar in enger Zweisamkeit.  Zu eng, als dass es nicht knirschen müsste zwischen Bathilde und Albrecht (Michael Rissmann). Schmiegen, misstrauen, festhalten wollen – Hannah Ma tanzt sehr schön die Ambivalenzen einer verunsicherten Frau. Von dieser Tänzerin hätte man mehr sehen mögen. Aber nachdem Albrecht ging – um die sprichwörtlichen Zigaretten zu holen – überlässt sie bald das Feld Titeldarstellerin Natalie Grinyuk.

Diese Giselle ist anders als ihre Altersgenossinnen. Die Mädels stecken schon mal vergnügt  die Köpfe zwischen die Beine der Burschen, die in ihren Kisten gockelnd herumrollen. Liebelei im GTI – nichts für Giselle, die sich versteift, wenn ihr Verlobter Hilarion (Denis Burda) sie nur küssen will. Die Mama steht auf den Schwiegersohn, die Hochzeit in munterer Dorfgemeinschaft wird zum schieren Gewaltakt. Rettung verspricht Albrecht, der ins Fest platzende Fremde. Giselle wird vom Dorf verstoßen, weil aber Albrecht sich doch nicht für sie entscheidet, legt sie das Messer an sich.

Nicht Ballett, Tanztheater nennt Grützmacher, was er und seine 12-köpfige Kompagnie machen. Und bis zum Ende des ersten Teiles ist das eine stimmige Sache: Inhaltlich spannender als die Kölner „Giselle“,  wenngleich die Trierer Tänzer technisch an Millers Truppe nicht heranreichen. Ohnehin ist die Trierer Stilistik eine völlig andere: Grützfeld liebt die große Geste, die gefühlige Pose. Er verfolgt eine Art Neoromantik, die Elemente des Ausdruckstanzes und des Modern Dance ebenso adaptiert wie solche des Show- und Musicaltanzes.

Nicht nur bei der  Titelfigur führt das zu pathetischem Manierismus: Natalie Grinyuk gibt eine tanzende Tragödin, deren Figuren wie  gemalte Metaphern wirken, deren dramatischer Ausdruck sich aber im Gesicht konzentriert.  Das funktioniert  gut, so lange es Teil einer konkreten Erzählung ist. Das wird eintönig, sobald der Tanz für sich allein oder über abstraktere Seelenzustände sprechen soll. Was im zweiten Teil reichlich verlangt wird, den Grützmacher als Giselles  Traum im Zwischenreich darstellen will. Nichts dagegen, dass dort die klassischen Geistertänze in ein Komikballett verwandelt werden. Nur passt dahinein keine völlig ernst gemeinte, unter Qualen zu erringende Katharsis von Giselle.

Trotz dieser Einschränkungen ist es erfreulich, vermelden zu dürfen, dass dank Grützmacher Trier nicht länger ein weißer Fleck in der deutschen Ballettlandschaft ist. Die Kompagnie hat einige Talente vorzuweisen und tanzt etwa in der gleichen Liga wie die Kollegen am Koblenzer Stadttheater.
Andreas Pecht

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2006-10-21 Ballettkritik:
Amanda Millers kreuzbrave
"Giselle" in Köln

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