Kritiken Theater
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2006-10-22 Schauspielkritik:
Wenn ein Brecht-Stück zur
gefühlsduseligen Tragödie wird

"Der gute Mensch von Sezuan"  im Koblenzer Stadttheater

 
ape. Koblenz. Dass Stücke aus alten Zeiten stets neu betrachtet, auf neue Art gespielt werden, ist am Theater normal, ja  pflichtgemäß. Man hat – andernorts – Shakespeares „Sturm“ als Pop-Märchen oder Schillers „Räuber“ als Punk-Drama gesehen. Könnte es, umgekehrt, sinnvoll und legitim sein, ein jüngeres Stück  bewusst in älterer Stilistik zu realisieren? Legitim allemal, ob sinnvoll, ist im konkreten Fall zu entscheiden. So einer wäre jetzt am Stadttheater Koblenz Werner Tritzschlers Inszenierung von Bertolt Brechts 1943 uraufgeführtem Parabelstück „Der gute Mensch von Sezuan“.
 
Der zweieinhalbstündige Abend beginnt erwartungsgemäß anders als Sprechtheater hierorts gewöhnlich. Mal geht das Saallicht nicht aus, reden Götter, Wasserträger und ´ne Bühnenhure zum Publikum, als handle es sich um Ihresgleichen. Das spielt sich auf schmaler Vorderbühne ab, die  von einem Vorhang begrenzt wird, auf dem steht: „Nicht jeder findet beim Blick in den Spiegel, was er sucht“. Der Vorhang enthüllt nachher ein großes Bühnenbild, das gar keines sein will, sondern nur einen Spielraum skizziert: Ein bloß angedeuteter Rundhorizont, die Drehbühne schafft ein wackeliges Stellage als Tabakladen herbei; fertig. Ansonsten lässt Siegfried E. Mayer Kabel, Züge, Maschinen, Wände nackt.

Das ist so recht Brecht: Die ganze Optik untauglich für  Illusionstheater. So soll es sein! Und wie der Raum in Koblenz weit und kühl wirkt, das kommt gut, sehr gut sogar. Eine passende Projektionsfläche für die Parabel von Shen Te, deren Güte sie unter undankbaren, egoistischen, bösen Menschen derart in Bedrängnis bringt, dass Rettung nur von ihrem Vetter Shui Ta kommen kann. Den aber gibt es nicht, weshalb sie ihn, verkleidet, selbst spielt – diesen kaltschnäuzigen Kapitalisten. Die Verhältnisse bringen ein janusköpfiges Wesen hervor, an dem und dessen Umfeld sich vollziehen ließe, was Brecht mit seinem epischen Theater bezweckt: Erkenntnis, indem „ich lache über den Weinenden, ich weine über den Lachenden.“  Wenn…

Ja, wenn in Koblenz die Mimen so  spielen würden, wie die Bühne und eine starke  Personenführung im Raum es erwarten lassen. Tun sie aber nicht.  Karsten Huschke und Erhard Weis als Götter sowie einige Nebenfiguren können eben noch so etwas wie verfremdende Distanz zu ihren Rollen halten. Das übrige Ensemble  greift  zum großen Besteck klassischen Komödien- und Tragödienspiels. Martin Müller-Reisinger ist ein kraftstrotzender Fiesling von Flieger. Und Madeleine Niesche spielt sich in der Titelrolle die Seele aus dem Leib. Das ist teils sehr dicht, sehr anrührend –  hat indes just den Effekt zur Folge, den Brecht gerade nicht wollte: „Ich weine mit den Weinenden.“ Die Regie darf das. Aber passender  wäre wohl doch eine weniger dramatische Spielweise.
Andreas Pecht
 
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