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2006-08-28 Buchkritik:
Herr „Jedermann“ geht zum Sterben

Philip Roth’s neuer Roman ist ein wehmütiges, kein wehleidiges Memento Mori
 
ape. „Aber wie viel Zeit konnte ein Mann damit verbringen, an die schönsten Tage der Kindheit zurückzudenken? Wie wär´s damit, die schönsten Tage des Alters zu genießen? Oder bestanden die schönsten Tage des Alters eben daraus – aus der Sehnsucht nach den schönsten Tagen der Kindheit.“ So steht es sehr schlicht, sehr klug und ziemlich deprimierend im Roman des 73-jährigen Autors Philip Roth über einen 73-jährigen namenlosen Protagonisten, den der Buchtitel „Jedermann“ nennt.
 
Das hat natürlich miteinander zu tun, des Schriftstellers Alter und sein Schreiben über das Altern, das Zürnen darüber, das Verzagen daran oder auch das Protzen dagegen. Das trifft auf den großen Alten der amerikanischen Literatur ebenso zu wie auf die beiden Senioren der deutschen: Walser (79) und Grass (78). Der literarische Herbst ist heuer einer der alten Männer: Grass erinnert sich „Beim Häuten der Zwiebel“ an erst ohnmächtige, nachher lustsatte Zeiten; Walsers „Angstblüte“ mag von Nostalgie nichts wissen, fantasiert lieber   junges Fleisch in Opas Bett.

Und Roth? Der schaut mit seinem Jedermann einfach in dessen Spiegel und findet jedermanns Altersgebrechen. Das lässt die Luft aus der Mannespracht: Erinnerungen an vergangene Lüste sind schaler Mummenschanz, alterspotente Fantastereien vergebliche Selbstlüge. Das eigene Altern findet vor Philip Roth keine Gnade, er verweigert sich wohlfeilen Glücksversprechen für die Generationen 60-, 70-, 80-plus. Denn was wirklich bleibt, sind „die ziellosen Tage und ungewissen Nächte und das ohnmächtige Sich-abfinden-Müssen mit dem körperlichen Verfall und der unheilbaren Trauer und dem Warten, dem ewigen Warten auf nichts. So ist das also.“

Die junge Joggerin ist freundlich zu Jedermann, lässt sich vom ältlichen Charmeur ansprechen, lächelt – und kommt nie mehr wieder. Verlass ist bloß auf die endlose Abfolge der Krankheiten. Bauchfellentzündung, Herzverkalkung, Bluthochdruck, Arterienverstopfung, Hinterwandinfarkt, Venenverpflanzung, fünffacher Bypass, Implantation eines Defibrillators – Bezeichnungen für Fortschritte im Auflösungsprozess des Jedermannschen Leibes. Eines Leibes, der drei Ehen und einige Liebschaften durchlebt hat, dann im 73. Jahr bei einer Routineoperation den Geist aufgibt.

Damit endet der Roman, mit nachfolgender Beerdigung im Kreis der Familien hatte er begonnen. Dazwischen Rückblicke: auf die Knabenzeit im jüdischen Juweliershaus, auf den „Tunnel“ aus dem Gefängnis der ersten Ehe, auf den Rausschmiss aus der zweiten, auf den Irrtum der dritten. Er ein erfolgreicher Werbefuzzi, sein „Freiheitsdrang“ ein Beischlafdrang.  Preis der Freiheit und Rechnung für andern zugefügte Verletzungen: Einsamkeit im Alter? Jedermann ist einsam. Die Verflossenen entschwunden oder feind, die Söhne fremd; die Tochter geliebt und ihn liebend, doch nicht verfügbar als Alterstrost- und ruhekissen. 

„Das Alter ist kein Kampf, das Alter ist ein Massaker.“ Wie Roth dies schreibt, ist kein Wutgeschrei und kein Verzweiflungsgezeter zu vernehmen; hier nicht und im ganzen „Jedermann“-Roman nicht. Leiser Zorn, das ja; Bedauern und Wehmut, das auch. Ansonsten herrscht ein stoisch desillusionierter Kammerton erbarmungsloser Einsicht in trostlose Unvermeidlichkeit. Ein kleines, trauriges Altersbuch. Ein literarisches Meisterwerk.
Andreas Pecht

Philip Roth: „Jedermann“, Hanser, 172 Seiten, 17,90 Euro.

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Besprechungen früherer Roth-Romane:

2003-02-27 Romankritik:
"Das sterbende Tier" von Philip Roth


2002-04-25 Romankritik:
Philip Roth' "Der menschliche Makel"


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