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2006-08-16 Buchkritik:
Grass-Buch dennoch lesenswert

Autobiografie "Beim Häuten der Zwiebel": Ein Stück lebenssaftige Literatur, das das lange Schweigen des Autors aber auch nicht erhellt

ape. Günter Grass hatte in einem "FAZ"-Interview angekündigt, was in seiner Autobiografie "Beim Häuten der Zwiebel" auch zu lesen sein würde: dass er Angehöriger der Waffen-SS gewesen ist. Das Bekenntnis nach 60 Jahren des Schweigens avancierte sogleich zum öffentlich heftig diskutierten Skandalon. Es gilt nun, ein literarisches Gesamtwerk vor Beschädigung durch einen wütenden außerliterarischen Disput zu schützen. Das Oeuvre von Günter Grass hat es nicht verdient, auf dem Altar eines mit moralischem Rigorismus geführten Streites geopfert zu werden. Das gilt auch für das jüngste Buch des Literaturnobelpreisträgers, die eben erschienene Autobiografie "Beim Häuten der Zwiebel".
 
Was dieser Tage in allen Blättern und auf allen Kanälen vor sich geht, macht dem Buch von vornherein das Leben schwer. An Verkauf wird kein Mangel sein, wohl aber an angemessener Lektüre: Man wird die "Stellen" suchen, den Sündenfall, des Sünders Geständnis, seine Erklärungsversuche - auch für das spätere Schweigen darüber. Und es werden, das ist absehbar, die so interessierten Leser nicht zufrieden sein. Denn sollte, wie Grass Ulrich Wickert für dessen erste Büchersendung erklärte, in diesem Buch alles stehen, "was ich zu der Sache zu sagen habe", wäre das ziemlich wenig.

Die Kriegserinnerungen des Autors sind für einzelne Momente anekdotisch genau, für ganze Zeiträume im Leben des 15- bis 18-Jährigen zugleich aber sehr vage. Flakhelfer war er, im Arbeitsdienst. Erinnert werden Schinderei und Barackenleben. Mit 15 meldet er sich freiwillig zur U-Bootflotte, wird als zu jung abgewiesen, bleibt aber registriert; zwei Jahre später folgt die Einberufung zur Waffen-SS. Freiwillig, überredet, geschoben? Grass' Erinnerungen sind hier ebenso verschwommen wie für die übrigen letzten Kriegsmonate bis zu seiner Verwundung im April 1945.

Lesend begleiten wir den Buben, der da mehr bewusstlos als soldatisch durch den auslaufenden Krieg stolpert. Mit Angst und Überleben hat er zu tun, mit Kämpfen nicht. Keinen Schuss habe er abgegeben, dieses Faktums ist sich Grass völlig sicher. Ansonsten misstraut er seinem Gedächtnis, thematisiert das im Buch auch mehrfach als Problem dieses Buches.

Denn sein Erleben sei als vielfach umgedichteter, verfremdeter, neu erfundener Stoff in die Romane eingegangen. Bisweilen streitet der Autor mit seinen literarischen Figuren, zumeist mit Blechtrommler Oskar, was noch Tatsache sei, was schon Dichtung, was womöglich Lebenslüge. Rückblicke haben mit vergangener Realität oft wenig gemein, wissen wir etwa von Klassentreffen her.

Der 78-jährige Grass ist sich dessen bewusst, er stellt deshalb die ganze Autobiografie unter Subjektivitätsvorbehalt. Ein Verfahren, das literarisch legitim ist, dem Nobelpreisträger in der aktuellen Auseinandersetzung aber noch allerlei Schwierigkeiten machen wird.

"Beim Häuten der Zwiebel" beginnt mit dem 12-Jährigen, der bei Kriegsausbruch in Danzig noch gerne auf der Mutter Schoß saß. 479 Seiten später erscheint im Herbst 1959 der erste Grass-Roman "Die Blechtrommel". Das Leben zwischen diesen Zeitmarken versucht Grass von einer Schale zur nächsten freizulegen. Frühe Kindheit? Uninteressant, alles schon an Oskar Matzerath abgearbeitet. Fast 50 Jahre als berühmter Schriftsteller? Die Bücher kann jeder lesen.

Es geht um die Zeit dazwischen. Um Jugend in Danzig, im Krieg, in Gefangenschaft. Um Erwachsenwerden im Nachkrieg zwischen Hunger nach Nahrung, Hunger nach Kunst und dem nie versiegenden Hunger der Lenden. Es geht um einen, dessen ganzes Streben der Bildhauerei und Malerei galt, der dann aber irgendwie in die Schreiberei schlitterte. Um einen, der in Deutschland zu Verstand kommen musste.

Nähme man "Beim Häuten der Zwiebel" als fiktionale Lebensgeschichte einer erfundenen Person, das Werk ginge als überwiegend schön erzähltes Stück Literatur durch - nachdenklich, an Zweifeln nicht arm, beobachtungsstark, bildstark, atmosphärestark, lebenssaftig. Als Autobiografie von Günter Grass indes ist das Buch zwangsläufig ein Politikum, weil der Autor selbst ein Politikum war, auch sein wollte.

Jetzt fallen die alten Feinde mit neuem Schwung über ihn her - weil er vom Dreck am eigenen Stecken geschwiegen habe, sei all seine Kritik am Dreck anderer nichtig. Jetzt fallen die alten Freunde in Verzweiflung über den Verlust ihres vermeintlich integren republikanischen Helden. Ja, beides hat Günter Grass durch sein dummes, langes Schweigen selbst verursacht: Sei es, weil er sich schämte, sei es, weil die Mitgliedschaft in der Waffen-SS so gar nicht zum eitlen Selbstbild passen mochte. Wie auch immer: Grass hat uns mit "Beim Häuten der Zwiebel" ein Buch geschrieben, das mehr sein kann als bloß Verhandlungsstoff bei einem Tribunal. (Andreas Pecht)

 Günter Grass: "Beim Häuten der Zwiebel". Steidl, 479 Seiten, 24 Euro
 
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