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2006-07-21 Romanrezension:
Martin Walser träumt wieder
trotzig den Altmännertraum

Sonst birgt sein Roman "Angstblüte" viele gescheite Sätze, aber leider noch mehr Schwadronage über  Geldvermehrungkunst im Dienste vornehmer Couponschneider    
ape. Hat Martin Walser einen neuen Roman, wird damit gewöhnlich im Juli der literarische Herbst eröffnet. So ist's Usus nicht erst seit "Lebenslauf der Liebe" (2001). Kollegen neiden dem Büchner- und Friedens-Preisträger den Vorwitz kaum, zieht er doch je im Hochsommer das erste Kritikerfeuer der jungen Saison auf sich. So 2002 mit "Tod eines Kritikers" und 2004 mit "Der Augenblick der Liebe". Am heutigen Freitag setzt das Erscheinen von "Angstblüte" die Tradition fort.
 
Wer auf pornografische Szenen spekuliert, weil diverse Medien diesbezügliche Aufgeregtheit anstimmten, sollte vom Kauf des Buches Abstand nehmen. Bis zum ersten hingeschriebenen, indes nur spärlich ausgeschmückten Beischlaf sind 249 der 477 nicht immer einfachen und nur gelegentlich kurzweiligen Seiten zu überwinden. Nach ein paar Sätzen mit holprigen Profanstöhnern ist alles vorbei. Und viel mehr kommt auch nicht. Zum Ende noch ein Geständnis über Männerfantasien, die fremde Frauen in der U-Bahn dem Karl von Kahn brünstige Sätzchen hinflüstern lassen.

Was Kahn, 70-jähriger Finanzberater der Edelklasse, Erstaunliches widerfährt, darüber schreibt der nächstes Jahr 80 werdende Walser. Das ist: Eine 40 Jahre jüngere Schönheit, Filmelevin Joni, verliebt sich in den Senior - und begehrt ihn. Solch eine Konstellation gab's auch schon in "Augenblick der Liebe". Überhaupt ist das Thema bei älteren Schriftstellern so verbreitet, wie als Altersfantasie bei Männern vermutlich zwanghaft. Immerhin hängt der Protagonist hier nicht der Illusion nach, er habe mit Adonis-Qualitäten das lecker Mädche über die Generationenklüfte gelockt. Joni ist eine Kluge, eine Sensible - sie schaut die Werte des Karl von Kahn jenseits der Schrunden, Krampfadern und Herzattacken. Weil Alter vor Torheit nicht schützt, führt der 70-Jährige sich deppert wie ein erstverliebter Junggockel auf. Was ihn Joni kostet, seine Ehefrau Helen ebenfalls und die vormalige Dauergeliebte Daniela gleich mit.

So banal sich das im Telegrammstil anhört, ist es im Buch nicht. Walser weiß um die Gefahr des mannhaften Lächerlichmachens. Er diskutiert deshalb engagiert das Recht des Alters auf volle, auch polygame, Lebenslust. Weil der Autor sich trotzig schon immer der Opportunität verweigert, steckt in "Angstblüte" auch allerlei Querköpfigkeit wider Jugendwahn und Altersdefätismus. Weil er ein gescheiter Mensch ist, steckt dieser Roman obendrein voll von gescheiten Sätzen - zwischen sich fortschreitend verwirrenden Ebenen von dem, was Kunst und dem, was Leben sei.

Drehbuch, Lyrik, Briefwechsel, lange Reflexionspartien: Walser lädt dem Buch formal allerhand auf. Man hätte das vielleicht goutieren können, wäre er nicht thematisch ebenfalls in schiere Uferlosigkeit ausgeglitten. Wie Karl von Kahn seine handverlesenen Millionäre finanziell berät und durch die Klüfte der spekulativen Geldvermehrung führt, darauf ver(sch)wendet "Angstblüte" fast die Hälfte seines Umfangs. Endlos wird philosophiert, psychologisiert, analysiert und gefachsimpelt - über das, was steinreiche Coupon-Pensionisten oder Risikoprofiteure bewegt. Wen's interessiert.  

Martin Walser: "Angstblüte"
Rowohlt, 477 S., 22,90 Euro
 
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