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2006-06-12 Schauspiel: | |
Bei Tschechow steht die Zeit still Annegret Ritzel inszenierte "Onkel Wanja" am Stadttheater Koblenz im Wechselrhythmus |
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ape.
Wem Anton Tschechows "Onkel Wanja" unbekannt ist, kann ihn jetzt am
Koblenzer Stadttheater während zweieinviertel Stunden
traditioneller Spielweise kennenlernen. Annegret Ritzel hat den 1899
uraufgeführten Vierakter eingerichtet. Von ihr stammen auch die an
Stückzeit und -ort angelehnten Kostüme: Wir sind auf einem
russischen Landgut Ausgang 19. Jahrhundert. |
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Tschechow
ist bei seinem zentralen Stoff, der Sezierung eines Epochenuntergangs,
der sich mit selbstzerstörerischem Leid und lähmender
Untätigkeit bei den Oberschicht-Menschen anbahnt. In "Onkel Wanja"
stoßen aufeinander: emeritierter Professor nebst jüngerer,
frustrierter Gattin Elena; Sonja und Wanja, Tochter und Onkel aus des
Professors erster Ehe, die das Landgut bewirtschaften. Fünfte
Hauptfigur ist der Arzt Astrov, der gewissermaßen als Tschechows
Vertreter im Spiel Klage gegen die überkommene
Gesellschaftsordnung erhebt. Siegfried E. Mayer hat für das Spiel einen bemerkenswerten Raum geschaffen, der akustische Probleme aufwirft, aber beleuchterisches Raffinement ermöglicht: zwei flurartige Zimmerteile, die spitzwinklig Richtung Rampe laufen; die hinteren Wände bestehend aus Fenstern und Glastüren, die sich auf eine Veranda öffnen, deren Horizont aus einem Herbstwaldprospekt besteht. Angelpunkt des Stücks "Onkel Wanja" ist die schöne Elena und ihre zersetzende Wirkung aufs Umfeld. Madeleine Niesche gibt dieser Rolle einen eigentümlichen Dreh: Sie fällt aus der Stückzeit. Wie sie gelangweilt durchhängt, sich aufs Polster lümmelt, das passt zu einer jungen Frau von heute, wie die Art ihrer genervten Reaktion auf die Liebesbekundungen Wanjas auch. Das spielt sie gut, aber der Bruch zu den übrigen historisierenden Protagonisten bleibt doch irritierend. Langeweile und vergebliches Schmachten kennzeichnen die Beziehung Elena/ Wanja. Daraus ergibt sich die Generalstimmung des Stückes: Die Zeit steht klebrig still, die darin gefangen sind, lassen mal jede Anspannung fahren, mal verfallen sie auf wildes Umsichschlagen. Ritzel hat die im Stück angelegte Möglichkeit eines atmosphärischen Wechselrhythmuses aufgegriffen und schafft darin auch fabelhafte Momente von Stimmungsverdichtung. Das beginnt dann etwa mit nächtlichem Lamentieren des hypochondrischen Professors (Andreas Weißert) und steigert sich bis zum allgemeinen Tohuwabohu. Die in toto ordentliche Stadttheater-Inszenierung sucht allerdings ein bisschen zu sehr die Extreme. Martin Müller-Reisinger gibt den Astrov als schneidend selbstüberzeugten Prediger und ebensolchen Frauenkenner. Weshalb er der sich sträubenden Elena unverblümt an die Wäsche geht. Was eine Szene von unfreiwilliger Komik ergibt. Dirk Diekmanns Wanja ist eine schön herausgespielte Version von hoffnungslosem Fall, Judith Richters Sonja eine (vom unsäglichen Aschenbrödel-Kostüm mal abgesehen) fein geformte arbeitsame wie empfindsame Dulderin. Aber auch diese beiden geraten in die Gefahr unbeabsichtigter Komik, wenn sie Wut oder Herzeleid zu überlauter exaltierter Hysterie aufschäumen lassen. Weniger wäre mehr. |
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