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2006-05-30 Gastbeitrag von map:
Mehr als zwei Jahrzehnte Soziokultur: Eine Erfolgsgeschichte

Jugendkulturzentrum Lahnstein feiert 25. und Haus Felsenkeller Altenkirchen 20. Geburtstag / Ein Gastbeitrag von Marco Pecht
 
map.  Die Erfolgsgeschichte einer ehemaligen Subkultur: Unter diesem Schlagwort lässt sich der Weg von zwei soziokulturellen Zentren im nördlichen Rheinland-Pfalz zusammenfassen. Begonnen hat alles in den späten 70er- und frühen 80er-Jahren. Mittlerweile bereichern das Jugenkulturzentrum in Lahnstein und das Haus Felsenkeller in Altenkirchen die Region.
 
Freitagmorgen in der Lahnsteiner Wilhelmstraße: Walter Nouvortne sitzt in seinem Büro. Um ihn herum liegen verbleichte Fotos und Plakate, immer wieder unterbricht das Telefon das Gespräch im Jugenkulturzentrum (kurz: JuKz). Und dennoch nimmt sich der Ur-Lahnsteiner Zeit für einen Ausflug in die jüngere Geschichte „seiner“ Stadt. Eine Geschichte, die mit teils spontanen Forderungen der Jugend begann und heute ein ausgeklügeltes System von Veranstaltungen, Jugendarbeit und Erwachsenenbildung ist. Das JuKz ist im Kulturbetrieb der Stadt Lahnstein angekommen. Nouvortne ist im Jahr 2006 Chef des JuKz, vor 25 Jahren kämpfte er noch selbst für eine solche Einrichtung. Der Sozialarbeiter blickt zurück auf unzähligen Proben von Musikbands und 25 Jahre manchmal auch beschwerliche Arbeit mit Jugendlichen.

Doch zunächst geht es ins Jahr 1975. Damals wurde in Lahnstein Deutschlands kleinstes Jugendzentrum eröffnet. Der Name, „die Baracke“, war Programm. Nach Forderungen der Jugendlichen wurde ihnen von der Stadt eine Holzhütte zwischen Polizeistation und einem Warenhaus angeboten – gleich neben den Bahngleisen. Ein Jugendverein übernahm die Verwaltung, zwei Zivildienstleistende kümmerten sich um den laufenden Betrieb. „Die Jugendlichen haben damals alles selbst gemacht“, erinnert sich Nouvortne. Heute ist das anders, Konzepte und Angebote müssen her.

 Doch zurück. 1980 kaufte die Stadt das Gebäude eines Kindergartens in der Wilhelmstraße. Seit dem ist das JuKz in der eher bürgerlichen Wohngegend zu Hause. Seit 1983 managen es zwei hauptamtliche Kräfte. Ein Schmunzeln huscht Walter Nouvortne übers Gesicht, wenn er an die frühen 80er zurück denkt. „Das war damals schon heftig für die Nachbarn. Da kamen von heute auf morgen 200 Jugendliche mit ihren Mopeds angefahren“, erzählt er. Die Anekdote zeigt, wie groß der Bedarf für ein Jugendzentrum war. Der ehemalige Kindergarten wurde Kristallisationspunkt für eine junge Szene, die sich in Sport- und Gesangvereinen nicht heimisch fühlte.

ROCK UND LEISE TÖNE

Und es wurde gerockt in Lahnstein: Bands gingen in der Wilhelmstraße 59 ein und aus, Fred Kellner zelebrierte den Soul und mancher musikalische Lokalmatador erinnert sich an heftige Feten. Musik ist im JuKz noch immer eine große Nummer. Junge Bands können sich „unplugged“ ausprobieren, beim „Stormy Monday“ wird der Blues gepflegt und zum 25. Geburtstag greifen mittelrheinische Musiklegenden wieder zu Gitarre und Mikrophon: „Ed Geed“ (4.11.), „Ekdosis“ (28.10.) und „Trimopen“ (25.11.) heizen wie in alten Zeiten ein.

Doch: Ein soziokulturelles Zentrum lebt nicht nur von lauten Tönen. Es muss sich integrieren in eine Stadt und gleichermaßen Integrationsarbeit für eine Stadt leisten. Das tut das JuKz, es ist heimisch geworden in der Wilhelmstraße. Nur eine große Mauer aus Bimssteinen zeugt noch von der ersten Ablehnung einiger Nachbarn. Mit der Jugend ist es seit den 90ern etwas komplizierter. „Selbstverwaltung funktioniert nicht mehr. Bei uns gibt es klare Regeln“, bilanziert Sozialarbeiter Nouvortne. 1990 wurde reagiert, von den damaligen Mitarbeitern ein neues Konzept erarbeitet und bei der Zehn-Jahresfeier das Jugendzentrum (Juz) in Jugendkulturzentrum (JuKz) umbenannt.

Eine Veränderung, die sich in den Angeboten widerspiegelt. Neben den offenen Treffs kamen Angebote für Kinder hinzu. 2003 beginnt der Ansatz zu greifen. Die Angebotspalette hat sich vergrößert, Aussiedlerarbeit, Seniorenangebote und ein Mutter-Kind-Treff beispielsweise sind feste Bestandteile der soziokulturellen Arbeit. Es hat sich also einiges getan in 25 Jahren. „Jugendarbeit ist ein langer Kampf, der nie ganz gewonnen wird. Aber unser Status hat sich erheblich verbessert“, lautet Walter Nouvortnes positives Fazit. Berührungsängste gibt es kaum noch, selbst der Männergesangverein kommt zur Gesangstunde ins Jugendzentrum.

ALTERNATIVES LEBEN IM WESTERWALD

Ortswechsel, fast 70 Kilometer von Lahnstein entfernt: Idyllisch am Rand der Kleinstadt Altenkirchen im Westerwald liegt das Haus Felsenkeller, ebenfalls ein soziokulturelles Zentrum, das dieses Jahr 20. Geburtstag feiert. Alternative Kunst- und Lebensformen bekamen eine Heimat und Pionierarbeit wurde geleistet. Vollwertrestaurant, Erlebnispädagogik oder Kleinkunst in ländlicher Region: Darüber schüttelt heute längst niemand mehr den Kopf. Margret Staal, Helmut Nöllgen und ihre Mitstreiter vom Haus Felsenkeller haben Spuren hinterlassen. Ursprünglich war das Haus Felsenkeller ein Projekt, das von zum Teil arbeitslosen Akademikern geschaffen wurde. In den 80er-Jahren kamen sie aus Großstädten wollten zurück aufs Land, anders, ganzheitlich und vor allem ökologisch leben. Mit dem Begriff ,Soziokultur' konnte man hier noch nichts anfangen“, erinnert sich Margret Staal. Mit Plakaten haben sie Gleichgesinnte gesucht, gefunden und mit 14 Mitgliedern einen Verein gegründet. Altenkirchen wurde zum Treffpunk einer bestimmten Lebensform. Die erste durchschlagende Äußerung dieser Lebensform war eine Messe für ökologisches Handwerk und soziale Initiativen.

Und da kommt das Anwesen Haus Felsenkeller ins Spiel. Dort ging die erste „Projekta – die andere Messe“ über die Bühne. Das Grundstück des leer stehenden Kinderheims wurde hergerichtet und schon zur ersten Projekta Mitte der 80er-Jahre kamen 2000 Menschen. Der Westerwald war keine Diaspora mehr für die alternative Szene: Vollwertrestaurant, natürlich Kultur und Bildung und spezielle Frauenangebote wurden angenommen.

Gerade bei den Veranstaltungen lohnt der Blick zurück. Die „Kleinkunstbühne Felsenkeller“ hat so manchem Großen den Weg bereitet: Herbert Knebel oder Gabi Köster konnten sich ausprobieren und für die legendäre Stunksitzung im Kölner Karneval wird in Altenkirchen geprobt. Doch es war es auch Ziel, die Menschen der Region an den Veranstaltungen teilhaben zu lassen. Darum führte und führt der Kulturbetrieb gewissermaßen ein Nomadenleben: Bis heute werden Dorfgemeinschaftshäuser bespielt. „Das war damals wichtig, jetzt aber eigentlich nicht mehr nötig“, bilanziert Helmut Nöllgen. „Um das Publikum anzusprechen, muss die Location stimmen.“ Darum soll jetzt ein neuer Raum her. Die Suche danach gestaltet sich schwierig, Geld ist überall knapp, auch wenn Kooperationen mit Verbandsgemeinde, Kreis und Land längst üblich sind.

Motivieren können sich die Macher vom Felsenkeller hingegen mit einer anderen Erfolgsgeschichte, die zeigt, dass auch ungewöhnliche Formate auf dem Land angenommen werden: „Kultur für die Sinne im original 20er-Jahre Spiegelzelt“. Vom 13. bis 27. September steht der Crystalpalace wieder auf dem Schlossplatz von Altenkirchen. „Die Leute konnten sich zunächst nichts darunter vorstellen“, so Nöllgen. Doch als sich die Plane des 400 Personen fassenden Zeltes nach dem ersten Aufbau 2001 öffnete und die ersten Neugierigen die Nase in das verspiegelte Tuch steckten, lief der Vorverkauf.

Das Lahnsteiner Jugendkulturzentrum und das Altenkirchener Haus Felsenkeller zeigen, dass soziokulturelle Arbeit funktioniert und Bildung, Jugendarbeit, Veranstaltungen und alternative Angeboten zusammengehören – alle Sparten profitieren voneinander. Ohne eine gute Portion Idealismus will das aber auch heute nicht so recht klappen. Das wissen Margret Staal, Helmut Nöllgen und Walter Nouvortne gleichermaßen. Der Lahnsteiner Sozialarbeiter bringt es auf den Punkt: „Man kann diese Arbeit nur machen, wenn man einen hohen Grad an Idealismus mitbringt.“
 
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