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2006-05-21 Konzerteinführung:

Takemitsu "Rain Coming", Mozart c-Moll Klavierkonzert,
Beethoven 7. Sinfonie
 
ape. Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Musikfreunde,

die Zeit rennt. Es ist mir, als hätte ich eben gerade mit schwitzigen Händen und Grummeln im Bauch an dieser Stelle meinen ersten Einführungsvortrag für ein Görreshaus-Konzert gehalten. Ich stehe nun aber schon zum 8. Mal vor Ihnen – und bin recht froh darüber, dass die Zahl der Zuhörer während dieser fast zwei Jahre nicht abgenommen, sondern doch beträchtlich zugenommen hat. Ich darf Sie also recht herzlich zum 4. und letzten Görreshauskonzert dieser Saison begrüßen.
 
Was bringt uns der heutige Nachmittag? Zwei recht bekannte Werke von zwei SEHR bekannten, für uns hier sozusagen altbekannten Komponisten: das c-Moll Klavierkonzert Köchelverzeichnis 491 von Wolfgang Amadeus Mozart und die Sinfonie Nummer 7 von Ludwig van Beethoven. Das Konzert beginnt allerdings mit dem Stück eines unserer Zeitgenossen, eines Komponisten der Gegenwart. Der kam am 8. Oktober 1930 in Tokio zur Welt und starb am 2. Februar 1996 – also vor rund 10 Jahren – auch in der japanischen Hauptstadt, dieser mit 22 Millionen Einwohnern größten Megametropole auf Erden.

Ein Japaner also. Es handelt sich aber nicht um irgendeinen japanischen Musiker, sondern um den international wahrscheinlich bekanntesten Komponisten Japans überhaupt. Wobei Bekanntheit ein relativer Begriff ist, wie wir über die Jahre etwa beim Literaturnobelpreis immer wieder mal feststellen mussten, wenn bedeutende Autoren aus dem asiatischen oder afrikanischen Sprachraum geehrt wurden, von denen wir hier zu Lande bislang wenig oder noch nie gehört hatten. Toru Takemitsu heißt der Komponist. Es sollte kaum wundern, wenn nicht wenigen hier im Saal dieser Name bis eben unbekannt war. Toru Takemitsu! – eine sehr interessante Künstlerpersönlichkeit wie Sie jetzt erfahren werden und nachher auch hören können.

Wir werden zum Auftakt des heutigen Konzerts dessen 1982 uraufgeführtes Werk „Rain Coming“ kennenlernen. „Regen“/“Kommen“,  vielleicht „Regen kommt“, oder „wenn der Regen kommt“: Bereits der Titel legt Assoziationen über Naturphänomene nahe. Das ist beabsichtigt, und meint in der Tat nicht pastorale Metaphorik wie etwa in Beethovens 6. Sinfonie, meint nicht geistig intellektuelle Überhöhung oder stilisierte Idealisierung von Natur wie wir sie aus der Musik der Romantik kennen. Takemitsus Verhältnis zur Natur ist im asiatischen Sinne viel direkter, unmittelbarer, vielleicht auch inniger. Das Erfahren, das sinnliche Wahrnehmen von Wasser, Wind und Regen spielen in seinem Ouvre eine zentrale Rolle  –  „Garden Rain“, „Rain Tree“ „The Sea is Still“ oder „In a Autumn Garden“ sind beispielsweise andere seiner Werke betitelt.

Ungewöhnliche Handhabungen bekannter Instrumente gehören dazu ebenso wie ungewöhnliche Instrumente. In vielen seiner Partituren ist die Sitzordnung der Musiker genau vorgeschrieben. Ihre Verteilung im Raum richtet sich nach den akustischen Phänomenen, die der Komponist im Sinn, vor Augen, besser: vor Ohren hatte. Lassen Sie sich mit mir überraschen, denn auch ich habe „Rain Coming“ live noch nie gehört.     
   
Takemitsu war ein multimedialer Künstler und ein Multitalent. Komponist in der Hauptsache, erstreckte sich sein Interesse und sein Tun ebenso auf moderne Malerei, Literatur und Film. Die größte Reife erreichte der eingefleischte Autodidakt, nach der Musik, wohl als Maler.  Takemitsu war ein Avantgardist. Seine frühen Musikwerke sind deutlich beeinflusst von Messiaen und von der so genannten „konkreten Musik“. Das Tonbandgerät gehörte schon Anfang der 1950er-Jahre zu seinen musikalischen Werkzeugen: Aus realen Klängen schuf Takemitsu Musik-Collagen wie die 1960 entstandene „Water Music“.

Der Japaner gehörte damit zu einer weltweiten musikalisch-experimentellen Avantgardebewegung, die in den 50ern und 60ern in Deutschland vor allem mit Karlheinz Stockhausen und Kollegen wie Ligeti, Mauricio Kagel oder Dieter Schnebel verbunden war. Darmstadt, Donaueschingen und insbesondere das legendäre Elektronische Studio des WDR in Köln waren international herausragende Zentren dieser Szene.

Aber so Anfang bis Mitte der 1960er-Jahre richtete Takemitsu seine Aufmerksamkeit – ermutigt durch den Neutöner John Cage - verstärkt auf die eigene, die asiatische Kultur. Er öffnete dieser sein Schaffen, bezog traditionelle japanische Musik mitsamt derem speziellen Instrumentarium in sein Experimentieren ein. Zugleich verstärkt sich seine Hinwendung zur Natur. Was in diesem Fall nicht nur die urwüchsigen Elemente meint, sondern fast mehr noch ihre Einbindung in die altjapanische Gartenkultur. Besser sagt man wahrscheinlich: Gartenkunst. Denn in Japan werden Gärten in viel größerem Maße als ästhetischer Ausdruck der Einheit von Menschenseele und beseelter Natur verstanden, als das in Europa der Fall ist.

Ein interessantes, aber auch ein schwieriges Thema, in das ich hier nicht weiter eindringen will – sollte es nämlich unter Ihnen Kenner der japanischen Gartenkunstphilosophie geben, so würden die nur zu bald bemerken, dass der Vortragende in dieser Frage allenfalls als bemühter Dilettant durchgeht. Griffiger ist da ein anderer Aspekt von Takemitsus Wirken: Sein Grenzgängertum zwischen E- und U-Musik. Jazz, Beat, Rock, Chansons, Schlager – er interessierte sich für alles. Er schuf selbst mehr als 90 Filmmusiken und zahlreiche Pop-Arrangements. Vielfach diente ihm Popmusik auch als eine Art Steinbruch, als Rohmaterial für seine eigene Kunst. Toru Takemitsu war in der Popmusik zu Hause. Aber von einigen wunderbaren Bearbeitungen von Beatles-Songs für Gitarre abgesehen, werden wohl vor allem seine charakteristischen Avantgarde-Werke für Kammerensemble und für großes Orchester bleiben, von denen es eines nachher zu hören gibt.

Verlassen wir nun das 20. Jahrhundert und werfen einen Blick auf unsere beiden großen Klassiker. Zuerst Mozart. Wenn ich es richtig erinnere, war sein c-Moll Klavierkonzert in diesem Haus das letzte Mal im Jahr 2001 zu hören, damals von Herrn Lü im Rahmen der „Koblenzer Konzerte“ dirigiert.  Die Musikwissenschaft ist sich einig darüber, dass das Konzert am 7. April 1786 in Wien bei einem der von Mozart selbst veranstalteten „Subskriptionskonzerte“ uraufgeführt wurde. Ebenfalls einig ist man sich, dass die handschriftliche Partitur dieses Konzertes sich erheblich von den übrigen Notationen Mozarts unterscheidet: Unsauber, schludrig, klecksig, wie gehetzt aufgeschrieben, mit zahlreichen Streichungen, Änderungen, Korrekturen dazwischen. Das alles ist völlig untypisch für unseren Mozart, dessen Manuskripte sonst von bestechender Akkuratesse und Sauberkeit sind.

Warum ist es diesmal anders?  Bei ihren Erklärungen beschreiten die Musikwissenschaftler verschiedene Wege. Bei der Interpretation der Musik des c-Moll-Konzerts selbst stieben sie dann geradezu in alle Himmelsrichtungen auseinander. Man findet also bisweilen nicht nur bei fünf Theaterkritiken derselben Inszenierung fünf verschiedene Meinungen; dies Phänomen gibt es offenbar auch in der Wissenschaft. Was die sudelige Partitur des c-Moll-Konzerts angeht, erklären die einen sie beispielsweise aus Zeitmangel Mozarts infolge der parallelen Arbeit an „Figaros Hochzeit“. Durchaus denkbar, denn die Oper kam gerade mal drei Wochen nach dem Konzert zu Uraufführung. Eine andere Erklärung spricht von konzeptionell-inhaltlichen „Schwierigkeiten im Schaffensprozess“ für das Konzert. Auch nicht von der Hand zu weisen, denn Mozart arbeitete oft, eigentlich meistens unter Zeitdruck und notierte in anderen Fällen trotzdem flüssig, sicher und sauber – weil er sein Werk quasi schon vorher fertig im Kopf hatte. Das scheint in diesem Fall anders gewesen zu sein.
        
Jeder, der das Konzert hört, spürt sofort, dass er es mit etwas Besonderem zu tun hat. Der Mozartianer weiß: c-Moll, die Tonart der Klage und Verzweiflung,  wurde vom Majestro außerordentlich selten benutzt. Die geforderte Orchestergröße ist für Mozartsche Konzertverhältnisse gerade bei den Bläsern fast gigantisch, wird bei keinem anderen Konzert und überhaupt nur bei zwei seiner Sinfonien nochmals erreicht. Auch wer von diesen Besonderheiten nichts weiß, erkennt im ersten Satz sogleich die Dramatik, die das auf Septime-Sprüngen basierende Hauptthema entfaltet.

In der Literatur wird das einmal genannt „harmonisch verdunkelte Melodie“, an der angeblich die „feste gläubige Haltung Mozarts“ deutlich werde. Ein andermal heißt es, da zeige sich „eine absolut kompromisslose Haltung der Verweigerung, der Resignation“. Die von mir sehr verehrte Kollegin Insa Bernds benennt in ihrem Text für das heutige – wieder einmal sehr lesenswerte - Programmheft noch eine weitere musikwissenschaftliche Position. Danach verwiesen die verminderten Septimen im Hauptthema und die dramatische Grundtonart c-Moll auf barocke respektive frühklassische Elemente des galanten Stils von Johann Christian Bach und Carl Philipp Emanuel Bach.

Persönlich neige ich einer vierten Theorie zu. Die stammt, das muss korrekterweise erwähnt werden, von Volkmar Braunbehrens und geht so: Die teils düster-verzweifelte, teils wehmütige, teils rebellische Stimmung des c-Moll-Konzerts habe mit einer gesellschaftspolitischen Wende im Österreich des Jahres 1786 zu tun. Überliefert ist, dass viele Zeitgenossen Mozarts damals befürchteten,  der bislang der Aufklärung zugeneigte Kaiser Joseph II. werde eine politisch-geistige Kehrtwende vollziehen und zu einem finster-repressiven Absolutismus zurückkehren. Für einen lebensfrohen Freigeist wie Mozart, der die politischen Entwicklungen in Österreich, ja in Europa stets zumindest mit einem Auge wachsam verfolgte, muss das eine bedrückende Situation gewesen sein. Auch eine Situation, die seine Neigung zur Renitenz, zur Widerständigkeit anstachelte.

Und beides finden wir ausgeprägt als musikalische Affekte im Klavierkonzert c-Moll wieder. Natürlich auch anderes, etwa typisch liebliche Mozartklänge im kurzen zweiten Satz. Aber der Bedrückungs-, ja Verzweiflungsgestus beherrscht meines Erachtens den ersten Satz eindeutig. Diese Stimmung nimmt der dritte und letzte Teil, ein Variationssatz, wieder auf. Doch wird sie dort  mal von spöttischer, fast kabarettistischer Geringschätzung unterbrochen, mal von schier revolutionärer Emphase verdrängt. Allerdings verweigert Mozart ein Happy-End: Eine versöhnliche Dur-Wendung wie im d-Moll Konzert gibt es nicht. Motivisch ungemein dicht, wälzt der Schlusssatz doch immer wieder den gleichen bedrohlichen Gedanken: Dass die Sache sich schließlich doch zum Schlechten wenden könnte, nein dürfte oder sogar zwangsläufig muss.

Das eben ist es, warum dieses Konzert wie kaum ein anderes ein Vorgriff auf Beethoven zu sein scheint: Die Ambivalenz zwischen tief empfundener Bedrohung und dem Drang, dagegen mal mit frecher Spöttelei, mal mit dem Pathos des Aufruhrs opponieren zu wollen. Natürlich verstärken auch der beinahe sinfonische Charakter des Mozart-Konzerts und vor allem die Tonart c-Moll diesen Verwandtschaftseindruck. Beethoven benutzte c-Moll etwa in seinem dritten Klavierkonzert und (!) in der fünften, der Schicksalssinfonie. Nach meinem Dafürhalten sind es letztlich aber der Geist und das Gefühl, die hier Mozart und Beethoven auch zu musikalischen Brüdern machen.

Ich will Herrn Takemitsu nicht zu nahe treten, und erst recht nicht Mozarts Genie schmälern. Aber bis hierhin, Herrschaften, war alles  Vorrede und Vorspiel. Denn jetzt kommt Beethoven mit einem der wertvollsten Schätze, den das klassische Musikrepertoire bereit hält. Und wir wollen hoffen, dass unser schöner kleiner Konzertsaal  hier im Görreshaus der Größe seiner 7. Sinfonie gewachsen ist. Einer Größe, die vor allem von einem herrührt: Von der Erhöhung motivischer Schlichtheit zu einer Kunst, in der tiefstes humanes Gefühl Ausdruck und Spiegelung findet. Diese 7. Sinfonie ist „Dokument unermesslichen Lebenswillens und höchster Daseinsbejahung“, sagt der Musikritiker Joachim Kaiser treffend.

In seiner Besprechung eines Konzerts mit der A-Dur-Sinfonie unter dem Dirigat von Carlos Kleiber beschreibt Kaiser die Wirkung aufs Publikum: „Nach dem Schlussakkord herrschte langes, betroffenes Schweigen. Eine Frau schrie auf, als wäre sie grenzenlos überrascht, dass Beethoven an einem eiskalten, sonst ganz normalen Mai-Sonntagvormittag des Jahres 1982 uns allen derart an die Nerven und Nieren gehen kann.“ Rund 170 Jahre vor dem Aufschrei unserer Zuhörerin urteile Beethoven-Zeitgenosse Carl Maria von Weber über das Wahnsinnserlebnis der 7. Sinfonie doppeldeutig: Damit sei Beethoven endgültig reif fürs Irrenhaus.

Die Uraufführung des Werkes am 8. Dezember 1813 im Universitätssaal zu Wien dirigierte der damals 43-jährige Beethoven selbst. Das Konzert wurde einer seiner größten Erfolge zu Lebzeiten und die Siebte ein „Megahit“, wie man heute sagen würde. Die Orchesterbesetzung an jenem Tag war außergewöhnlich opulent: Allein 18 erste Geigen, 12 Celli und 7 Kontrabässe waren beteiligt. Die musikalische Ausführung soll, so heißt es bei Zeitzeugen, deutlich über dem damals üblichen Niveau gelegen haben. Kein Wunder, fühlte sich doch die musikalische Elite Wiens samt und sonders verpflichtet, ihren Beitrag zu diesem Konzert zu leisten. Wir würden es Benefizkonzert nennen; gegeben wurde es zugunsten der in der Schlacht bei Hanau verwundeten Österreicher und Bayern. Beethoven selbst soll nachher von seiner „innigsten Rührung“ über diese Realisation und vom „Nonplusultra der Kunst“ gesprochen haben.

Lassen Sie mich eine kleine Anekdote einfügen, die dafür spricht, dass Beethoven schon in der Entstehungszeit der 7. Sinfonie von großem Selbstbewusstsein und einem Gefühl der Kraft erfüllt gewesen sein muss. Der Komponist war ja bekanntlich ein sehr belesener Mensch und ein großer Verehrer, nachgerade ein Fan Goethes. Im Jahre 1812 – Beethoven steckte mitten in der Arbeit zur 7. Sinfonie -, 1812 also begegneten sich der Dichterfürst und der Musikgigant in Karlsbad. Man ging spazieren, wollte ungestört miteinander plaudern. Und obwohl es noch keine Paparazzi und keine Autogrammjäger gab, wurden die beiden am Wege ständig durch ehrerbietige oder auch nur neugierige Grüße von Passanten behelligt. Der Herr geheime Rat Goethe empfand das bald als störend und sagte zu seinem Mitspaziergänger: „Es ist verdrießlich, ich kann mich der Komplimente hier gar nicht erwehren.“ Woraufhin Beethoven lächelnd und in aller Seelenruhe erwidert haben soll: „Machen sich Euer Excellenz nichts draus, die Komplimente gelten vielleicht mir.“

Im sinfonischen Schaffen Beethovens markiert die Siebte nach Ansicht vieler Musikanalytiker eine Bruchstelle. Die 1., 2. und 4. Sinfonie hatten noch Traditionen aufgegriffen. Die anderen drei bis zur  6. waren jeweils an eine programmatische Themensetzung gebunden: Die 3. = Eroica, die 5. = Schicksal, die 6. = Pastorale. In der 7. ist beides nicht der Fall: Frei von traditionellen Formverpflichtungen hier oder thematischen Bindungen da, scheint sie als gänzlich solitäres, einmaliges Juwel im Raum zu schweben. Das Einzigartige dieser Sinfonie rührt von der besonderen Art ihrer harmonischen, vor allem aber ihrer rhythmischen Gestaltung. Vier Sätze, und jeder einzelne ist von einer eigenen rhythmischen Figur geprägt, was in der Folge für den Zuhörer zu einem je ganz eigenen rhythmischen Erlebnis führt.

Sollte deshalb Richard Wagner von der siebten Sinfonie als der „Apotheose des Tanzes“ gesprochen haben, der Verherrlichung, Vergöttlichung, Vollendung des Tanzes? Hätten wir die skeptische Wissenschaft nicht, und wäre Wagner nicht auch ein überaus raffinierter Stratege in eigener Sache gewesen, die Antwort wäre mit „Ja“ schnell gegeben. So aber müssen wir befürchten, oder zumindest die Möglichkeit einräumen, dass der Herr vom Grünen Hügel Beethovens Siebte zum unüberbietbaren Schlusspunkt in der Entwicklung der sinfonischen Großform weihte, um eine Bresche zu schlagen für das Musikdrama. Also für sein eigenes Genre, die Wagnersche Oper. Gerade im 19. Jahrhundert erreichte die Idealisierung, ja die Vergötterung der sinfonischen Musik und ihrer Schöpfer in der Öffentlichkeit ungeahnte Ausmaße. Es lässt sich durchaus vorstellen, dass dieses Phänomen dem Opern-Mann Wagner anfangs nicht sonderlich behagte. Aber wie so oft in der Geschichte: Nichts Genaues weiß man nicht.
Wie auch immer: Die starke Rhythmus-Komponente der 7. Beethoven-Sinfonie würde auch ohne Wagners Edikt von der „Apotheose des Tanzes“  die  Verbindung zum Tanz nahe legen – für jeden direkt nachvollziehbar im ersten, dritten und vierten Satz.
Im ersten macht das ein hüpferischer, punktierter 6/8-Takt mit einem lang-kurz-kurz vibrierenden Kernmotiv. „Wachtelschlag“ habe ich darüber schon sagen hören bzw. gelesen. Wie Beethoven diesen Rhythmus vorbereitet, auf ihn hinführt ist ein Faszinosum, ein kleines Wunder für sich: Mit einer gewaltigen, weit greifenden Einleitung, die herrlichste Zartheit und wuchtig-dramatisches Aufbrausen miteinander verwebt, um alsbald einen freudetrunkenen Lebensfluß von der Leine zu lassen. 
Im dritten Satz, einem an Gegensätzen reichen Scherzo, rührt die rhythmische Prägung von einer demonstrativen Viertelbewegung. Über der erhebt sich im Hauptteil des Satzes bald offen ausgelassene Humorigkeit, bald hinter vorgehaltener Hand mühsam unterdrücktes Feixen. Wie Beethoven von da ohne Brüche zu einem in Sexten und Terzen der Bläser festlich, ja majestätisch singenden Trio gelangt, das einen volkstümlichen Wallfahrergesang verklärt, das bleibt sein Geheimnis.
Den vierten Satz schließlich prägt eine rhythmische Drehfigur aus einer Achtel und sechs Sechzehnteln. Und was Beethoven mit der entfacht, ist umwerfend: eine von Lebenslust „trunkene Orgie“ wie Joachim Kaiser schreibt.

Bevor ich, nicht ohne eine gewisse Scheu, noch einen Blick auf den bisher ausgesparten zweiten Satz werfe, dieser Hinweis: Allen Rhythmen der siebten Sinfonie ist eine so genannte daktylische oder anapästische Grundstruktur gemeinsam. Keine Angst, mein Vortrag soll jetzt nicht zum musikwissenschaftlichen Hauptseminar werden. Ich will nur festhalten: Die Rhythmen der Siebten haben einen kleinsten gemeinsamen Nenner. Gewissermaßen eine Art Herzschlag im sinfonischen Leib, der mal langsamer, mal schneller, mal ruhiger, mal aufgeregt gebrochen pocht. Und diese Daktyle verleiht der Sinfonie ihre Geschlossenheit und ihre soghafte Wirkung.

Nun also der zweite Satz: Ganz harmlos als Allegretto ausgewiesen, ist er alles andere als harmlos. Ein Meisterwerk ist´s, eines der großartigsten, so sehr und so tief zu Herzen gehend, dass einem die Worte dafür fehlen, man eigentlich davon auch gar nicht sprechen mag. Deshalb dazu nur eine kurze Anmerkung: Auf den ersten Eindruck ist es ein Nacht- oder Trauermarsch, eine klagende Prozession. Bei wiederholtem Hören begreift man allmählich, dass da noch etwas anderes ist: Stilles, schlichtes Annehmen des Trauerns als selbstverständlicher Bestandteil des Lebens, so selbstverständlich wie die Freude und die Lust auch. Damit berührt Beethoven – und das ist ihm eigen, wie sonst kaum einem anderen Musiker – damit berührt Beethoven den Urgrund, das Wesen des Humanen selbst. Tränenfeuchte Augen beim zweiten Satz der 7. Sinfonie, meine Damen und Herrn, sind kein Grund zur Besorgnis.

Genug geredet. Überlassen wir nun der Musik das Feld.
 
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