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2006-04-06 Analyse-Serie:
Ohne Arbeit helfen mehr Kinder der Rente wenig

Wider die Hysterie in der deutschen Geburtendiskussion  - Teil 4
 
ape. Ein Hauptargumente in der Debatte um sinkende Geburtenzahlen in Deutschland lautet: Werden weniger Kinder geboren, gefährde das die Rente für die wachsende Zahl der Senioren. Dem wird im vierten und letzten Teil dieser Artikelreihe entgegen gehalten: Ohne  mehr ordentliche Arbeitsplätze wird mit „mehr Kindern“  alles nur noch schwieriger.
 
Es gibt schon für die Lebenden in Deutschland nicht genügend ordentlich bezahlte Arbeit. Wieso sollte es die ausgerechnet für stärkere Geburtenjahrgänge geben? Es ist doch eher umgekehrt so, dass unter den gegebenen Bedingungen eine größere Population noch mehr Probleme hätte, ihre Menschen in Arbeit zu bringen. Schlussendlich würde „mehr Kinder“ bloß bedeuten, dass die Zahl derer, die staatliche Sozialzuwendungen bekommen müssen, zunimmt.

Oder zugespitzt formuliert:  Es ist zynisch, nach mehr Kindern zu rufen, wenn man für diese Kinder keine Arbeit hat, wenn diese Kinder dann doch nur in die Perspektivlosigkeit hineingeboren werden. Keines der bestehenden Probleme, auch nicht das der Rentenkasse, wird durch „mehr Kinder“ gelöst. Im Gegenteil, es würden sich sämtliche Probleme noch verschlimmern.

DIE CHANCEN BEDENKEN

Bietet eine maßvoll sinkende Bevölkerungszahl nicht auch Chancen? Gehen wir mal auf die regionale Ebene. Acht Prozent Bevölkerungsschwund könnte heißen: Acht Prozent weniger Schüler je Lehrer – das wäre ein kleiner Segen! Könnte heißen: Acht Prozent weniger Ressourcenverbrauch und Dreck – das wäre nicht hinreichend, aber doch schön! Könnte heißen: Acht Prozent weniger Autos auf den Straßen – nicht die Welt, aber begrüßenswert! Könnte heißen: Acht Prozent weniger Landschaftszersiedelung – längst überfällig! Alles über alles: Die Lebensqualität, auch für die dann verbliebenen Kinder,  dürfte zunehmen. Der Ökologie täte das Minus ohnehin gut.

Eine Schwierigkeit könnte  darin bestehen, dass das Minus sich nicht gleichmäßig auf die Republik verteilt. Die Studie des Berlin-Instituts konstatiert ein erhebliches innerstaatliches Gefälle und prognostiziert erhebliche innerstaatliche Wanderbewegungen: Von wirtschaftsschwachen in -starke Regionen, von Gebieten mit geringer Lebensqualität in solche mit hoher, vom Land in die Städte.
Aber daran ist nichts neu. Auch bei sinkender Geburtenrate würde sich einfach fortsetzen, was wir seit ewigen Zeiten und seit dem Mauerfall wieder augenfällig erleben: Menschen gehen dorthin, wo sie sich ein besseres Leben versprechen. Lediglich ein Trend scheint für unsere Gegenden neu: der verstärkte Zug vom Land in die Städte, der zurzeit beginnt und sich angeblich noch verstärken soll. Wobei damit eigentlich nur die kurze deutsche Häuslebauer-Epoche beendet wird, und auch unsere Gesellschaft quasi zur historischen Haupttendenz zurückkehrt:  zur Landflucht.

Just in diesen Tagen werden erstmals in der Erdgeschichte mehr Menschen in Städten leben als auf dem Land. Diese Städte reichen von der 10 000-köpfigen Gemeinde bis zu den 20 urbanen Molochen mit mehr als 10 Millionen Einwohnern, die es derzeit weltweit gibt.  Der größte davon ist Tokio mit 35 Millionen Einwohnern, gefolgt von Mexiko City und New York mit je knapp 20 Millionen. Daneben nehmen sich Koblenz, Mainz, selbst Köln und Frankfurt wie Dörfer aus.

Wenn die Landflucht anhält, sinken in Gebieten wie etwa den rheinischen Schiefergebirgen die Mieten und Grundstückspreise. Das mag den einen oder anderen Einheimischen schmerzhaft treffen. Sollte die Abwanderung etwa aus Taunus und Westerwald sehr stark ausfallen, würden sich hier wieder Fuchs und Hase gute Nacht sagen. Dieses Extrem steht nicht zu erwarten, weil mit den Ballungsräumen Rhein-Main und Köln/Bonn Boom-Regionen direkt nebenan liegen. Wird´s dort zu eng, könnte der Trend schon ein Jahrzehnt später wieder umschlagen. Klar sollte jedoch sein, dass mit dieser Wandel-Situation nur zurecht kommt, wer ein gewisses Absinken der Bevölkerungszahl auch als Chance begreift.

Aber was ist nun mit der Rentenkasse? Früher hieß es, viele Kinder seien die beste Altersversorgung. Bis vor ein paar Jahren wusste die allgemeine Schulbildung noch, dass auf diese Weise vor allem ein Kreislauf der Armut in Gang gesetzt wird: Elend gebiert zu viele Kinder, und zu viele Kinder haben noch mehr Elend zur Folge. Diese Erkenntnis ist ziemlich alt, aber die Deutschen scheinen sie in diesen Tagen vergessen zu haben. Denn ihnen fällt im Hinblick auf die Altersversorgung nichts besseres ein, als Steigerung der Gebärfreude.

ARBEIT UND PRODUKTIVITÄT

Das Problem der Rentenkasse ist ein Problem von Arbeit und Produktivität, keines von mehr oder weniger Kindern. Brauchte es dereinst neun Kinder, um einem greisen Elternpaar das Gnadenbrot zu sichern, mag heute eine junge, hochproduktive Arbeitskraft hinreichen um einen Rentner zu versorgen. Bei entsprechend gesteigerter Produktivität kann eine solche Arbeitskraft morgen vielleicht zwei oder drei Rentner durchbringen. Zumal, wenn diese  bis 67 oder länger arbeiten.
Da Produktivität letztlich ein Kollektivfaktor ist – in den neben den betrieblichen Komponenten auch die gesamte gesellschaftliche und staatliche Infrastruktur einfließt –, wäre es nur logisch, die Renten auf Steuerfinanzierung umzustellen. Sind genügend Arbeitsplätze vorhanden, ist das Renten-Problem damit weitgehend gelöst. Sind nicht genügend Arbeitsplätze vorhanden, wird das Problem durch mehr Kinder nur noch größer.

Die entscheidende Frage im Themenfeld Rente lautet also nicht: Wie kriegen wir unsere Familien, insbesondere unsere Frauen dazu, wieder mehr Kinder zu bekommen? Sondern sie lautet: Wie kommen wir zu genügend ordentlichen Arbeitsplätzen? Das aber ist ein völlig anderes Thema – allerdings auch eines, bei dem eine etwas kleinere Bevölkerung eher hilfreich als hinderlich wäre.

Und noch eines: Geburtenschwache Jahrgänge jetzt sind ein paar Jahrzehnte später auch zahlenmäßig schwache Renter-Jahrgänge.
 
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