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2006-04-06 Analyse-Serie:
Von "Aussterben der Deutschen"
kann keine Rede sein

Wider die Hysterie in der deutschen Geburtendiskussion - Teil 1
 
ape. Die Diskussion um sinkende Geburtenraten schlägt wieder hohe Wellen. Was ist tatsächlich dran am oft beschworenen "Aussterben der Deutschen" oder der Gefährdung der Renten wegen Kindermangels? Die Betrachtung nationaler, europäischer sowie globale Fakten führt zu Ergebnissen, die vom derzeitigen Meinungs-Mainstream erheblich abweichen. Diese Ergebnisse werden hier in einer vierteiligen Artikelserie vorgestellt.
 
Hiobsbotschaften von der deutschen Geburtenfront versetzen seit Mitte März die Republik neuerlich in Aufregung. Anstoß gab die Publikation einer Studie des "Berlin-Instituts für Bevölkerung und Entwicklung". Danach sei die Zahl der in Deutschland geborenen Kinder pro 1000 Einwohner die niedrigste weltweit. Nur noch 1,36 Kinder bringe eine Frau hier zu Lande zur Welt. Die Zahl stimmt, die damit verbundene Zuweisung der Weltspitze durch das Berlin-Institut ist allerdings unrichtig.

Laut Deutsche Stiftung Weltbevölkerung liegt die so genannte Gesamtfruchtbarkeitsrate beispielsweise in fast allen Ländern des ehemaligen Sowjetblockes niedriger, vorneweg im katholischen Polen mit 1,2 Kindern pro Frau. Die ebenfalls überwiegend katholischen und bekanntermaßen besonders kindernärrischen Italiener und Spanier gebären seit Jahren keineswegs mehr Kinder als die Deutschen: In beiden Ländern liegt die Rate bei 1,3 Kindern pro Frau.

8 PROZENT BEVÖLKERUNGSSCHWUND - NA UND?

In der Tat aber sind solche Geburtenraten viel zu niedrig, um die Bevölkerungszahl in den betreffenden Ländern - auf der Basis eigenen Nachwuchses - auch nur stabil zu halten, von Wachstum ganz zu schweigen. Die Nachrichten für Deutschland sind im Grundsatz jedoch nicht neu, denn die Fruchtbarkeitsrate nimmt bei uns schon seit rund 40 Jahren kontinuierlich ab.
Das so genannte Ersatzniveau - also die Zahl der Geburten, die notwendig sind, um die bestehende Größe einer Population zu halten - liegt bei durchschnittlich 2,1 Kindern pro Frau. 2,1! Wir haben derzeit 1,36. "Katastrophe!", "Den Deutschen gehen die Kinder aus!", "Die Deutschen sterben aus!" poltert da die Zeitung mit den großen Buchstaben, und beileibe nicht nur die. Was sich indes bei genauerem Betrachten als unhaltbar erweist.

Hochgerechnet, ergibt sich aus einer Fruchtbarkeitsrate von 1,3 Kindern pro Frau, dass die Einwohnerzahl Deutschlands von heute 82 Millionen bis zum Jahr 2050 auf etwa 75 Millionen sinken könnte. Ein Minus von sieben Millionen also. Anders ausgedrückt: Berechnet man die künftige Bevölkerungszahl allein auf Basis der biologischen Reproduktion, so könnte/würde sie bis 2050 um rund acht Prozent abnehmen. Minus acht Prozent! Mit Verlaub, acht oder zehn oder gar zwölf Prozent weniger Pendler würden im Berufsverkehr die Einfallstraßen nach Koblenz, Mainz oder Bonn nicht gerade leer fegen. Man würde ein solches Minus vermutlich gar nicht merken.

Es sollen hier die Probleme, die sich aus einem Bevölkerungsrückgang in Deutschland ergeben (könnten), keineswegs klein geredet werden. Aber betrachtet man die alarmistische Diskussion im Land während der letzten drei Jahre, könnte man leicht zu dem Schluss gelangen: An der Gebärfront steht die letzte Schlacht um das Überleben der Menschheit bevor.
Bisweilen greift eine Stimmung um sich, als bestünde die Gefahr, dass schon morgen Kleinstädte wie Montabaur oder Mayen Geisterstädte werden, dass auf der A3 Pilze wachsen und Hirsche grasen. Man soll doch bitte die Kirche im Dorf lassen: Von einer Entvölkerung der Republik, gar einem Aussterben der Deutschen kann überhaupt keine Rede sein!

Inzwischen erheben sich wenigstens ein paar kritische Stimmen gegen diese "Notstandshysterie" in der Familienfrage. So schimpfte in der Wochenzeitung "Die Zeit" Iris Radisch: "Es vergeht kein Tag, an dem nicht irgendein neuer älterer Herr die jungen Frauen an ihren Auftrag für Vaterland, Rentenkasse und Kulturnation erinnert." In derselben Zeitung erschien die Woche darauf ein Artikel von Mitherausgeber Josef Joffe unter der provokanten Überschrift: "Kinderschwund - na und?". Die Anmoderation zu diesem Artikel spricht gar vom "überbevölkerten Deutschland".

UN-Erhebungen aus den Jahren 2003 bis 2005 sowie Faktenmaterial der EU und des Statistischen Bundesamtes stützen die Position des Autors. Danach leben zurzeit in Deutschland 231 Menschen auf den Quadratkilometer Landesfläche. In Frankreich sind es 110, in den USA 52, in Finnland 15. Wer will uns da noch weismachen, ein weniger dicht besiedeltes Deutschland sei eine Katastrophe. Joffe jedenfalls meint, ein paar Millionen Bewohner weniger könnten uns und der Natur nicht schaden.

Fraglich ist, ob der hochgerechnete achtprozentige Bevölkerungsrückgang bis 2050 überhaupt eintritt. Nicht, dass die Fruchtbarkeitsrate sich in größerem Umfang wieder aufwärts bewegen würde. Daran zu glauben, ist müßig. Die Zeiten, da Frauen in unseren Breiten im Durchschnitt mehr als zwei Kinder zur Welt brachten, sind vorbei. Kein noch so opulentes Förderprogramm, auch keine staatliche Ganztagsversorgung kann das Räderwerk der historischen Gesellschaftsentwicklung rückwärts laufen lassen. Alles, was in Hinsicht Familienpolitik derzeit geplant wird, kann höchstens dazu dienen, das weitere Sinken der Geburtenrate abzubremsen.

WENIGER GEBURTEN ÜBERALL

Im EU-Durchschnitt liegt die Fruchtbarkeitsrate derzeit bei 1,4 Kindern. Genau genommen weisen sämtliche Industrieländer sinkende Geburtenraten unterhalb des Ersatzniveaus aus. Das gilt sogar für die USA - wo Familienidylle zu einer Art Staatsreligion hochstilisiert wird, während zugleich die Zahl der Singlehaushalte nirgendwo auf der Welt schneller wächst als in den dortigen Metropolen.

In den USA beträgt die Fruchtbarkeitsrate derzeit 2,0 Kinder pro Frau. Womit sie erstens auch dort unter dem Ersatzniveau (2,1) liegt. Zweitens hängt die Geburtenrate in den Vereinigten Staaten wesentlich ab von der Gebärfreude ihrer hohen Bevölkerungsanteile mit Migrationshintergrund.

Zum Teil 2 hier klicken: Globales Dorf platzt aus allen Nähten
 
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