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2006-04-02 Konzerteinführung:
Brücke über 250 Jahre Musikgeschichte

Görreshauskonzert mit Mozarts "Haffner-Sinfonie", Schumanns Cello-Konzert und Kammersinfonie 73a nach Schostakowitsch
 
Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Musikfreunde,
 
ich darf Sie recht herzlich zum dritten Görreshauskonzert der laufenden Saison begrüßen. Die steht sehr deutlich, aber doch nicht ausschließlich im Zeichen des 250. Geburtstages von Wolfgang Amadeus Mozart. Beim heutigen Konzert treten nun endlich die beiden anderen bedeutenden Musikjubilare aus dem großen Schlagschatten des Mozart-Jahres heraus: Robert Schumann, der am 29. Julei 1856 in Endenich bei Bonn starb; sein Todestag jährt sich heuer also zum 150. Mal. Und Dimitri Schostakowitsch, dessen 100. Geburtstag auf den 25. September 2006 datiert.

Mozart, Schumann, Schostakowitsch – in dieser Reihenfolge traten sie in die Musikgeschichte ein, in dieser historischen Reihenfolge erklingen beim heutigen Konzert auch Werke der drei. Begegnen konnten sich die Herren nie, dafür liegen ihre Lebenszeiten zu weit auseinander. Nur zur Gedächtnisauffrischung: Mozart lebte von 1756 bis 1791, Schumann von 1810 bis 1856 und Schostakowitsch von 1906 bis 1975. Damit ist für die meisten Anwesenden hier im Saal der Russe ein Zeitgenosse, während der Deutsche Schumann und der Österreicher Mozart längst vergangenen Epochen angehören. Das Schöne am heutigen Konzert ist, dass es quasi eine Brücke über 250 Jahre Musikgeschichte schlägt, drei auch künstlerisch ganz verschiedene Stilepochen vor unseren Ohren in direkten Vergleich stellt.

Und wieder werden viele von ihnen das eigentlich widersinnige Phänomen erleben, dass diejenige Musik, die einem zeitlich eigentlich am nächsten stehen sollte, am wenigsten vertraut vorkommt. Und dass diejenige Musik, die aus der zeitlich am weitesten entfernten Epoche stammt, am leichtesten und angenehmsten ins Ohr geht. Also: Mit Mozarts Sinfonie Nummer 35, der sogenannten „Haffner-Sinfonie“, aus dem Jahr 1782 werden wir alle sogleich umstandslos auf Du-und-Du stehen. Etwas schwieriger wird das schon mit Robert Schumanns Cellokonzert a-Moll opus 129, entstanden 1850. Zwar sind drei Sätze ausgewiesen, doch die verschmelzen zu einer etwa 25-minütigen romantisch-poetischen Elegie. Diese nimmt den Zuhörer nicht einfach so bei der Hand, um ihn durch einen wohl geordneten übersichtlichen Garten zu führen. Das Cellokonzert verlangt vielmehr den bewusst hinhörenden, den sich einlassenden Hörer, denn für die Romantik ist die Welt ein sich vielschichtig wechselseitig durchdringendes Gesamtwesen.

Im Vergleich zu Schumanns komplexer „poetischer Idee“ ist der fünfsätzige Konzertbeitrag von Schostakowitsch eigentlich ein klar strukturiertes Werk, das in seiner Motivik, in seinen schmerzensreichen wie aggressiven wie gebrochen vergnügten Affekten eigentlich auch problemlos angenommen werden kann. Der Umstand, dass wir sein Streichquartett Nummer 3 F-Dur opus 73 in einer Orchesterbearbeitung von Rudolph Barschai zu hören bekommen – die heißt Kammersinfonie opus 73a -, ändert daran nichts. Ich sagte, „eigentlich problemlos angenommen werden kann.“ Tatsächlich allerdings kommt manchem Musikfreund noch immer daran manches befremdlich vor. Dieses Befremdliche rührt vor allem von der Harmonik des Dmitri Schostakowitsch, wie fast der gesamten klassischen Moderne und Moderne her. Das sind nun mal nicht mehr die gewohnt eindeutigen Dur- und Moll-Akkorde, das klingt anders, klingt noch immer ungewohnt, klingt vielleicht schräg.

Hören Sie zum Beispiel nachher mal etwas genauer auf das Eröffnungsthema der Kammersinfonie. Tänzerisch, sehr leicht und recht vertraut kommt der Rhythmus daher. Doch Schostakowitsch lässt das Thema wieder und wieder Ausfälle in Tonarten machen, die nach traditionellem Klangverständnis eben nicht zusammengehören. Dies ist eines der Kompositionsverfahren – das er übrigens von seinem Landsmann Sergej Prokofiew übernommen hat -, die uns manchmal den emotionalen Zugang zur Musik unserer Zeitgenossen etwas erschweren. Was einen jedoch nicht davon abhalten sollte, die Auseinandersetzung mit zeitgenössischer Kunst, mit dem modernen Klassiker Schostakowitsch und mit seinem dritten Streichquartett respektive der daraus entstandenen Kammersinfonie zu suchen. Diese Suche wird belohnt – von einer Musik die mit großem Ernst und großer Empfindsamkeit das Menschliche in einer oft sehr unmenschlichen Welt aufsucht.

Wozu dieses Werben für Schostakowitsch (?), werden Sie vielleicht fragen, meine Damen und Herrn. Man weiß doch, dass er ein Großer der Musikwelt ist. Man hat sich doch während der zurückliegenden 40 Jahre an die Präsenz seiner Werke im Konzertleben gewöhnt. Man findet ja auch interessant, bisweilen sogar erschütternd, was der Russe komponierte. Aber, mal ganz ehrlich: Liegen da nicht noch immer einige Gräben zwischen Schostakowitschs Musik und unseren Herzen? Ich habe schon viele Konzertbesucher etwa über seine fünfte oder neunte Sinfonie sagen hören: „Toll“, „beeindruckend“, „spannend“. Von „schön“ oder „erhebend“ oder „herzergreifend“ oder „beglückend“ war indes kaum je die Rede. Das mag teils an den unglücklichen Lebensumständen von Schostakowitsch im Sowjetreich liegen und der ernsten Weltsicht, die sich im Oeuvre dieses Komponisten so dramatisch widerspiegeln. Das liegt aber nicht zuletzt auch an unserer eigenen Abwehrhaltung gegen die Art und Weise, wie Schostakowitsch und seine Moderne-Kollegen mit dem Tonmaterial umgehen. Lassen Sie mich deshalb einmal mehr eine Lanze brechen für Aufgeschlossenheit und Neugierde – auch und gerade für jene Komponenten in der Kunst, die auf den ersten Blick oder auf den ersten Höreindruck sich nicht gleich mit dem vertragen, was gemeinhin als Kunstschönheit gilt.      

Noch einmal zurück zu Mozart. Weitergehende Ausführungen über dessen Vita kann ich mir an dieser Stelle wohl sparen: Es gibt kaum noch einen Aspekt, über den in den bisherigen drei Monaten Mozart-Jahr nicht schon ausführlich gesprochen oder geschrieben worden wäre. Deshalb nur ein paar kleine Anmerkungen, die Haffner-Sinfonie betreffend, die heute auf dem Programm steht. Über dieses Werk sind allerlei, teils recht skurrile Geschichten im Umlauf.  Etwa die, wonach der grantige Papa Leopold Mozart, den schon in Wien logierenden Sprössling von Salzburg aus zur eiligen Abfassung des Werkes drängelte, um so die unmittelbar bevorstehende Heirat Wolferls mit Constanze zu verhindern. Ob wahr oder nicht, fest steht dies:

Erstens: Mozart war 26 Jahre alt als er die Haffner-Sinfonie komponierte, und er war glücklich, fernab vom Salzburger Griesgram auf eigenen Beinen stehend sich in jenem quirligen, inspirierenden Umfeld tummeln zu können, das man später die Wiener Klassik nennt.
Zweitens: Mozart hat die Sinfonie Nummer 35 in ziemlicher Eile und quasi nebenbei komponiert, denn in der Hauptsache war er wohl – wenn er nicht gerade im Wirtshaus saß – mit der Oper „Die Entführung aus dem Serail“ beschäftigt.
Drittens ist diese Haffner-Betitelung ziemlich verwirrend, weil
Mozart bereits 1776 eine Haffner-Serenade im Auftrag des Salzburger Bürgermeistersohnes Sigmund Haffner komponiert hatte.
Weil er b) 1782 auf Anraten des Vaters erneut eine sechssätzige Serenade schuf, gewissermaßen als Ehrengeschenk anlässlich der Erhebung besagten Herrn Haffners in den Adelsstand.
Um die Verwirrung komplett zu machen, womit wir bei c) wären: Im Februar 1783 strich Mozart in Wien den einleitenden Marsch und ein Menuett der zweiten Serenade, fügte Klarinetten nebst Flöten hinzu und hatte --- eine viersätzige Sinfonie, unser Haffner-Sinfonie.

Wie das Leben eben so spielt: Diese Sinfonie wurde gerade rechtzeitig fertig, um sie am 23. März 1783 bei Mozarts erster von ihm selbst veranstalteten Akademie in Wien uraufzuführen. Der Kaiser selbst soll anwesend gewesen sein und „lauten Beifall“ gespendet haben. Das schreibt zumindest Veranstalter Mozart in einem Brief. Wir wissen aus Shakepeares, selbst noch aus Goethes Zeiten, dass damals Theateraufführungen von Essen, Trinken und Geplauder begleitet waren. Ein Blick aufs Programm jener Wiener Akademie von Mozart zeigt, dass uns auch das historische Konzertleben etwas eigentümlich vorkommen darf: Von der Sinfonie 35 wurden die ersten drei Sätze gespielt, dann folgten Opernarien, Klavierdarbietungen, ein bisschen alte Musik und Improvisationsspiele; erst zum Konzertausklang wurde dann der vierte Sinfoniesatz gegeben. Sollte sich heutzutage jemand unterstehen, im Konzert eine Sinfonie derart auseinander zu reißen, wir würden uns bedanken.

Die Entstehungsumstände machen sich in der Haffner-Sinfonie auch musikalisch bemerkbar. Am auffälligsten wohl im unterhaltsamen Serenadencharakter der beiden Mittelsätze.  Der langsame zweite Satz kommt als gelöste Abendmusik daher, das verbliebene Menuett macht kein großes Gewese von sich – Mozart entfaltet darin den Reiz souverän gestalteter Einfachheit. Ganz anders die beiden Ecksätze, die von sinfonischem Impetus geradezu strotzen. Die Musikwissenschaft glaubt hier deutliche Einflüsse des damaligen Mozart-Freundes Joseph Haydn ausmachen zu können. Ein Eindruck dem auch Sie sich nachher nur schwer werden verschließen können.

Die Haffner-Sinfonie gilt zu Recht als die erste klassische Sinfonie Mozarts. Denn das Durchwalken eines einzigen echten Themas im Kopfsatz gehörte bis dahin nicht zur typischen Arbeitsweise des Österreichers. Vermutlich dürfte ihm - dem originelle Melodien in unerschöpflicher Fülle einfielen - diese Art Konzentration auf ein Thema sogar ziemlich schwer gefallen sein. Im letzten Satz der Sinfonie verlangt Mozart dem Orchester, vor allem den Streichern, allerhand ab. „So geschwind als möglich“ möchte er im Finale die treibenden Achtelbewegungen gespielt haben. Formal verwebt er Rondo und Sonatenform zu einem hochkomplizierten Etwas. Viel Vergnügen sei dem Musikprofessor gewünscht, der diesem Teil mit dem Werkzeug der gestrengen Formenanalyse zu Leibe rücken will. Aber anhören tut es sich prima – und ich bin neugierig, wie „geschwind“ unser Orchester und sein Chefdirigent Daniel Raiskin sich der Sache nachher annehmen werden.

Und noch ein Hinweis. Sie werden im vierten Haffner-Satz mehrmals ein Motiv hören, das Ihnen irgendwie bekannt vorkommt. Damit Ihnen nachher Grübelei über das Woher nicht die Konzentration trübt, sag ich Ihnen vorweg, womit Sie es zu tun haben: mit dem Osmin-Thema aus der „Entführung aus dem Serail“. Sie sehen, auch Herr Mozart kannte vor mehr als 200 Jahren schon das Wirtschaftsprinzip der Synergie und hatte vor Mehrfachverwertungen guter Ideen keinerlei Scheu.

Es gibt zwischen der Haffner-Sinfonie und Schumanns Cellokonzert eine Gemeinsamkeit: Beide Werke wurden in großer Eile komponiert. Entstanden im Oktober 1850, fiel das Cellokonzert in die Umsiedlungsphase der Familie Schumann von Dresden nach Düsseldorf, wo Robert die Stelle des Städtischen Musikdirektors annahm. Der Empfang im Rheinland war herzlich, was allerdings nicht lange vorhalten sollte – es folgten bald Streitereien mit Orchester und Chor, es folgten Intrigen und Rücktrittsforderungen. 1852 wollte der tief deprimierte Schumann das Handtuch werfen; die Geburt seines sechsten Kindes hielt ihn davon ab. Immerhin war anfangs die rheinische Zeit eine überaus produktive, in der auch die dritte Sinfonie entstand und eben das Cellokonzert.

Die Ehefrau des Komponisten, die begnadete Pianistin Clara Schumann (geborene Wieck) schwärmte über „die Romantik, den Schwung, die Frische und den Humor“ des Konzerts. Hört man das Werk dann, möchte man sich doch verwundern über den bisweilen recht seltsamen Humorbegriff der deutschen Romantiker. Der liegt – für unsereinen eher irritierend – wohl irgendwo zwischen Melancholie und Weltuntergangsstimmung, wenn ich es mal etwas überspitzt ausdrücken darf. Gerechterweise muss man sagen, dass der Komponist dafür nur teilweise verantwortlich ist. Zahllose spätere Interpreten haben das Stück als schwermütige, ja düstere Seelenspiegelung aufgefasst und es entsprechend realisiert. Derartige Interpretationen lassen sich zwar kaum mit der Wortwahl von Clara in Übereinstimmung bringen, müssen aber deshalb nicht unbedingt falsch sein. Denn die vorwiegenden Stimmungslage des Komponisten in seinen letzten Lebensjahren war tatsächlich ziemlich düster.

Robert Schumann galt von Jugend an als psychisch labil. Obendrein war der Lebensweg dieses musikalisch-literarischen Doppeltalents alles andere als einfach. Erst zum Jura-Studium gezwungen, wollte er nachher eine Pianistenlaufbahn einschlagen. Aus der wurde nichts, weil sich Robert mit einer unsinnig radikalen Übemethode einen Finger ruinierte. Der Heirat mit Clara ging ein endloser hässlicher Krieg mit deren Vater Friedrich Wieck voraus. Während Anerkennung und Erfolge für den Komponisten Schumann lange auf sich warten ließen, wurde dessen treusorgende Gattin mit Macht auf die Konzertpodien gerufen und dort als Pianistin umjubelt. Das daraus erwachsende Spannungsgefüge, die zwiespältige bis niederschlagende Wirkung auf Robert lässt sich denken.  Das Leben des Begründers der legendären „Neuen Zeitschrift für Musik“ war schwer, sein Ende sehr traurig: Vier Jahre nach Amtsantritt in Düsseldorf und Entstehen des Cellokonzerts stürzte sich Schumann bei einem missglückten Selbstmordversuch in den Rhein. Danach dämmerte er noch zwei Jahre in einer Heilanstalt in Endenich bei Bonn seinem Tod entgegen.

Robert Schumanns Vita ist ein ganz eigener, in weiten Teilen tragischer Roman, was auch auf Dmitri Schostakowitsch zutrifft. Über ihn sprach ich an dieser Stelle bereits im April des vergangenen Jahres ausführlich, als hier sein 2. Klavierkonzert aufgeführt wurde. Die Musikgeschichte kennt nur wenige Komponisten, die so sehr wie Dmitri Schostakowitsch gefangen waren im Zwiespalt zwischen Kunst und Politik, zwischen Humanismus und Staatsräson, zwischen Enthusiasmus für die sozialistische Revolution und Angst vor der tödlichen Macht und Engstirnigkeit der Revolutionäre. Beeinflusst und inspiriert von Strawinsky, Prokofjew und vor allem Gustav Mahler, setzte er sich mit diversen Musikrichtungen der Moderne auseinander. Er entwickelte eine ganz eigene Musiksprache, die vielfach durchsetzt ist mit Spott, Sarkasmus, Doppeldeutigkeiten und kritischen Hintergründigkeiten.

Das alles passte sehr gut in die künstlerisch-experimentelle Aufbruchphase der frühen Sowjetunion. Das alles passte überhaupt nicht zum reaktionären Regiment der Stalin-Ära und der Parteidoktrin vom Sozialistischen Realismus. Es sei hier nur noch einmal kurz erinnert an den berühmt-berüchtigten Artikel „Chaos in der Musik“, mit dem das Parteiorgan Prawda im Januar 1936 das Schaffen der damals bekanntesten russischen Komponisten in Ungnade fallen ließ, darunter Prokofjew, Chatschaturjan und eben Schostakowitsch. Dessen Leben war fortan für Jahre vom Gefühl der Todesdrohung durchwirkt – Schostakowitsch hatte ständig einen gepackten Koffer unterm Bett liegen. Die Bedrohung - 1948/49 durch eine weitere Parteikampagne zur Kunstdisziplinierung  erneuert - reduzierte sich erst mit dem Tod Stalins 1953. Gleich danach veröffentlichte Schostakowitsch seine 10. Sinfonie in e-Moll. Sie gilt als Abrechnung mit dem Diktator, steckt voller Trauer und Schmerz, schließt jedoch mit einem triumphierenden Ausdruck der Selbstbehauptung. Schostakowitsch kam dann in der nachstalinistischen UdSSR zu hohen Ehren und Ämtern. Er blieb  allerdings ein kranker Mann: 1966 erlitt er einen ersten Herzinfarkt, fünf Jahre später einen weiteren. Am 9. August 1975 erlag er dem dritten.

Das Streichquartett Nummer drei, das – wie eingangs erwähnt – der heute zu hörenden Kammersinfonie opus 73a zugrunde liegt, entstand zwischen Januar und August 1946. Das Werk zählt zu den Kompositionen Schostakowitschs, die vom Erleben des Zweiten Weltkriegs geprägt sind. Während seine 9. Sinfonie von 1945 als heiteres, unbeschwertes Werk das Ende der Schlachterei und den Wiedereinstieg ins Leben feiert, sind das Streichquartett, nota bene auch die Kammersinfonie Auseinandersetzungen mit Bedrohung, Unheil, Gewalt und Sinnlosigkeit des Krieges. Es gibt von des Komponisten Hand für die einzelnen Sätze programmatische Überschriften, die Schostakowitsch allerdings nie veröffentlicht hat. Für den ersten Satz heißt es da etwa: „Ruhige Unbewusstheit des kommenden Unheils“.  Dann: „Grollende Unruhe und Erwartung“. Der dritte Satz ist überschrieben: „Die Kriegsgewalt entfesselt“, der vierte: „Ehrung der Toten“. Unter dem Titel „Die ewigwährende Frage – Warum? Und Wofür?“ schließt das Werk mit einer grundlegenden humanistischen Fragestellung an den Irrsinn des Krieges, jeden Krieges.

Bleibt am Ende meiner kleinen Konzerteinführung noch zu klären, wie der 1924 in Russland geborene israelische Dirigent Rudolf Barschai dazu kommt, das Streichquartett von Schostakowitsch zur Kammersinfonie umzuarbeiten. Barschai war ein Schüler von Schostakowitsch und hat sich in vergangenen Jahrzehnten überaus verdient gemacht um die Verbreitung der Werke seines Lehrers in Konzerten und Platten-Einspielungen. 1960 hatte der Dirigent eine Streichorchesterfassung des 8. Quartetts von Schostakowitsch angefertigt und dem Komponisten vorgelegt. Der soll, so berichtet zumindest Barschai selbst, von dieser Arbeit begeistert gewesen sein und ihn aufgefordert haben, auch andere Kammermusikstücke für Orchester zu instrumentieren. Derart autorisiert, machte Barschai in der Folge aus dem vierten Streichquartett die Kammersinfonie 83a und aus dem dritten Streichquartett eben unsere heutige Kammersinfonie 73a.  Eine gelungene Instrumentierung, wie ich meine. Sie nimmt den ohnehin recht orchestralen Charakter des Streichquartetts sehr schön auf – trotz Barschai ist das Werk also ein ausgesprochener Schostakowitsch geblieben.

Ich wünsche Ihnen, und mir auch, jetzt viel Freude und recht interessante Eindrücke beim Besuch von drei sehr unterschiedlichen  Epochen der Musikgeschichte.
 
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