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2006-02-02:
Junge Besucher sitzen „mittendrin“
im Orchester
Neue Säule der Kinder- und Jugendarbeit bei der Rheinischen Philharmonie
 
ape. Die drei Skeptiker haben sich ums Schlagwerk gruppiert. Es handelt sich um Jungs einer 9. Hauptschulklasse aus Koblenz, die im Vorfeld der Idee ihrer Lehrerin, eine Orchesterprobe bei der Rheinischen Philharmonie zu besuchen, nur mäßige Begeisterung entgegen gebracht hatten. Also gut, wenn wir jetzt schon mal da sind, hocken wir uns zumindest dorthin, wo am ehesten die Post abgeht. Mögen sie gedacht haben. Die anderen Schüler der Klasse suchen sich schüchtern Plätze hauptsächlich auf der rechten Orchesterseite, zwischen Bässen und Celli, Posaunen und Holz – nahe am Saaleingang und möglichst noch mit Blickkontakt zueinander. Nur einzelne wagen den Weg auf die andere Seite des Raumes, hinüber zu den Violinen.
 
Die Scheu der Jugendlichen ist greifbar. Schon der ehrwürdige Saal des Görreshauses ist fremdes Terrain für sie. Noch befremdlicher mag sein, dass sie an diesem Vormittag nicht auf den Zuschauerrängen Platz nehmen. Da sitzt diesmal nur einer der Besucher: die Lehrerin. Jeder ihrer Schützlinge hingegen darf, ja soll sich dorthin begeben, wo sonst Publikum nichts verloren hat, soll sich dorthin setzen, wo keiner von ihnen jemals saß: mitten in einem großen klassischen Orchester, mittendrin im Staatsorchester Rheinische Philharmonie. „Mittendrin“ nennt sich denn auch dieses neue Projekt im Rahmen der Kinder- und Jugendarbeit des SRP.

Das Kernstück von „Mittendrin“ besteht darin, jugendliche Besucher eine Orchesterprobe aus der Perspektive der Musiker miterleben zu lassen. Der Projektaufbau ist einfach: Zwischen die schwarz-grauen Sitze der Musiker werden für die angemeldeten Besucher hier, da und dort rote Stühle verteilt. Auf denen nehmen die jungen Gäste Platz, können von dort aus den Dirigenten oder den musizierenden Sitznachbarn oder dessen Notenpult ins Auge fassen. Das Projekt ist noch jung, wurde mit Beginn der laufenden Konzertsaison 05/06 aufgelegt. Die ersten Erfahrungen sind ausgezeichnet, sowohl auf Orchesterseite wie auf Schülerseite.

Beobachter und Musiker können sich ein Schmunzeln kaum verkneifen, wenn die Besucher beim ersten Einsatz zusammenzucken, erstaunt die Augen aufreißen. Denn sogleich schmilzt  eine aus Unkenntnis vorgefasste Ansicht wie Eis in der Sonne hinweg: Klassisches Instrumentarium müsse vergleichsweise leise sein. „Ich setze mich nie mehr neben ein Klarinette, so laut wie die ist“, hatte eine Fünftklässlerin aus einer anderen Besuchergruppe beim Nachgespräch im Foyer ihre neue Erfahrung keck auf den Punkt gebracht. Ähnlich reagierten auch unsere eingangs vorgestellten Skeptiker. Die Lautstärke nicht nur der Pauken fanden sie „krass“, aber ebenso das Gegenteil davon: Dass so viele Musiker alle zusammen auch ganz leise spielen können, erstaunte sie nicht wenig. Und überhaupt: Diese eine Stunde in der bisher so unbekannten Philharmonie-Welt, die war „schon ziemlich geil“.

Verschiedene Altersstufen und Schultypen benehmen sich bei diesen Besuchen  unterschiedlich. Die Schüler sollen, so sieht es das pädagogische Konzept von „Mittendrin“ vor, nicht auf ihren einmal gewählten Stühlen kleben bleiben. Ein bis drei Mal heißt es während des Probenbesuches „Plätze durchwechseln“ – also an anderer Stelle weitere Erfahrungen machen. Wer eben noch beispielsweise am zweiten Violinenpult saß, kann jetzt unter die Blech- oder Holzbläser gehen, kann sich zwischen die „dicken Geigen“ drücken, und umgekehrt. Bei genannter 9. Klasse war die Lust zum Platzwechsel etwas verhalten. Die Fünftklässler hingegen setzten bald ziemlich munter zur „Eroberung“ des gesamten Musikerfeldes an
Schon nach den ersten Probenbesuchen dieser ungewöhnlichen Art lässt sich festhalten: Für die Kinder und Jugendlichen ist „Mittendrin“ eine originäre Kulturerfahrung von außerordentlicher Wirkkraft. Für die Lehrer bietet das Projekt vielfältige Möglichkeiten unterrichtlicher Verarbeitung, vorab wie hernach. Das Orchester selbst empfindet „Mittendrin“ als sehr interessante Form musikalischer Zukunftsinvestition hinsichtlich des Publikumsnachwuchses wie des künftigen Musiklebens generell. Sehen denn die Dirigenten die hautnahe Anwesenheit einer Schulklasse nicht als potenzielle Störung ihrer Proben und lehnen das Projekt eher ab? Orchesterdirektorin Frauke Bernds verneint: „Alle, die wir bislang gefragt haben, ob sie eine Probenstunde für Mittendrin öffnen, reagierten ausgesprochen positiv und stimmten ohne Zögern zu.“

Angemerkt sei: Die jungen Gäste erleben hier kein Schau-Proben, sondern echte Orchesterarbeit. Von einer kleinen begrüßenden Einführung und einem kurzen Nachgespräch abgesehen, purzeln sie quasi direkt in den Orchester-Alltag hinein. Dessen Höhepunkte sind natürlich die Konzerte, Und wann immer es sich einrichten lässt, liegen die „Mittendrin“-Besuche so, dass die Teilnehmer in der näheren Folgezeit auch einen Auftritt des SRP erleben können. Dann nicht mehr als Teil des Orchesters, sondern als Teil des Publikum. Dem sie freilich eine große Erfahrung voraus haben:  Sie wissen, wie es ist – „mittendrin“ im Orchester. 
 
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