Thema Ökonomie / Ökologie
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2005-11-30: Analyse
Die dunkle Seite des chinesischen Booms
Sicherheit, Gesundheit, Umwelt und Gerechtigkeit bleiben auf der Strecke
 
ape. China, der größte Markt der Welt. China, die Werkbank der Globalisierung. China, der Überflieger. China, das Land der unbegrenzten Wirtschaftsmöglichkeiten. Neun Prozent Wachstum Jahr um Jahr - doch der Boom hat offenbar seinen Preis auch im Reich der Mitte selbst. Die Serie von Unglücken während der vergangenen Tage in Chemieindustrie und Bergbau lenkt den Blick auf die dunkle Seite des chinesischen Wirtschaftswunders.
 
Fall eins: Der Shonghua-Strom infolge einer explodierten Chemieanlage vorübergehend mit Benzol verseucht, die Millionenstadt Harbin ohne Trinkwasser; der Krebs erregende Giftteppich treibt jetzt nach Russland. Fall zwei: Tausende Bewohner der Stadt Chongqing wegen einer anderen Chemiehavarie evakuiert, das Leitungswasser zeitweise ungenießbar. Fall drei: 134 Kumpel bei einer Explosion im Kohlebergwerk Dongfeng ums Leben gekommen. Fall vier: Fast zeitgleich starben bei einem Grubenunglück in der Nachbarprovinz 18 Menschen. Das sind die Meldungen einer Woche, die uns jüngst aus der Volksrepublik China erreichten.

Zufälliges Zusammentreffen von Ereignissen, die nichts miteinander zu tun haben? Unglückliche Serie von Unfällen, wie sie in jedem Industrieland immer wieder passieren? Der Blick auf Zahlen und Fakten legt einen anderen Schluss nahe: Im chinesischen Wirtschaftswunder-Kapitalismus gelten Arbeitssicherheit, Umweltschutz, soziale Gerechtigkeit nichts, geht Wachstum über alles.

Wachstum über alles

Die herrschende Kommunistische Partei nimmt die gesellschaftlichen Folgeprobleme des rasanten Wachstums zwar wahr, reagiert darauf häufig allerdings mit einer fragwürdigen und hilflosen Doppelstrategie: Soziale Unruhen werden unterdrückt, ansonsten sucht man das Heil in noch mehr Wachstum.

Die Chemieindustrie ist eine der Boombranchen Chinas. Ihr Produktionswert lag im ersten Halbjahr 2005 um 27 Prozent über dem des Vorjahres. Produktionssicherheit und Umweltschutz bleiben auf der Strecke, auch große Unfälle sind Alltag, Chemikalienentsorgung in Flüsse und Landschaft ist - obwohl seit einiger Zeit im Grundsatz verboten - praktisch so normal wie noch vor 40 Jahren in Deutschland. Chinas Bergbau ist der gefährlichste der Welt. 80 Prozent aller Grubentoten weltweit gehen zu Lasten chinesischer Minen. Selbst offizielle Statistiken zählen für 2004 mehr als 6000 tödlich verunglückte Bergarbeiter, im ersten Halbjahr 2005 waren es wieder über 2700.

So dramatisch die inzwischen sechstgrößte Volkswirtschaft und drittgrößte Handelsnation der Welt wächst, so dramatisch nimmt auch ihr Hunger nach Energie zu. China ist mittlerweile für die Hälfte der Wachstumsrate im globalen Ölverbrauch verantwortlich, fast panikartig kauft es sich derzeit in die Ölförderung Asiens und Afrikas ein. Daheim wird derweil aus den Kohlegruben herausgepresst, was irgend geht. Kehrseite der Entwicklung: Genanntes Massensterben der Bergleute und - China ist heute der zweitgrößte CO2-Emittent der Erde. Neuerdings geht die nationale Umweltbehörde davon aus, dass über 400 000 Chinesen jährlich an der schlechten Luft in den Ballungsräumen sterben oder schwer erkranken.

Die Statistik der Zentralregierung registrierte 2004 rund 136 000 bei Arbeitsunfällen ums Leben gekommene Chinesen. Mindestens 2000 davon starben laut Pekinger Arbeitsamt allein auf den Baustellen der wuchernden Hauptstadt.

Kaum vorstellbare Menschenmassen verlassen derzeit die ländlichen Regionen und strömen als besitzlose Wanderarbeiter in die boomenden Megametropolen. Man geht von etwa 100 Millionen solcher Arbeiter aus, die sich überwiegend ohne jegliche Kranken-, Arbeitslosen- oder Rentenversicherung verdingen und meist unter erbärmlichen Verhältnissen leben. Noch einmal rund 150 Millionen Unterbeschäftigte sitzen quasi auf gepackten Bündeln, um dem agrarischen Hinterland in Richtung der Städte zu entfliehen.

Nur jeder sechste chinesische Erwerbstätige ist krankenversichert, nur jeder fünfte ist rentenversichert. Chinas Postsozialismus überließ das Soziale weit gehend den Familien- und Sippenstrukturen. Doch die zerbrechen zusehends - und am Horizont zieht ein neues Gespenst auf: Infolge der Ein-Kind-Politik steht der chinesischen Gesellschaft eine Überalterung gigantischen Ausmaßes ins Haus.

Explosive Sozialfrage

Der "chinesische Weg" vereint die Probleme der Globalisierung mit den Schrecknissen des Frühkapitalismus. Die Wirtschaft wächst auf Kosten der Umwelt. Zwischen Neureichen und einer kleinen Mittelschicht von Reformgewinnern einerseits, Billigarbeitern sowie vor allem 700 Millionen armen Bauern andererseits liegen Welten.

Die Wanderbewegungen innerhalb Chinas zerreißen die traditionell starken Familien- und Sozialbande. Die sich zuspitzende soziale Frage hängt als Damoklesschwert am seidenen Faden über der schillernden Blase des chinesischen Wirtschaftswunders.

Dass die Chinesen diese Entwicklungen in konfuzianischer Gelassenheit auf ewig stillschweigend erdulden, gehört zu den typisch westlichen Fehlurteilen. Die Regierung in Peking räumte unlängst ein, dass allein im Jahr 2004 landesweit 3,6 Millionen Menschen an 74 000 so genannten "Massen-Zwischenfällen" beteiligt waren. Unabhängige Beobachter sprechen von mehreren hunderttausend derartiger Ereignisse in jedem Jahr.

Dabei handelt es sich um Arbeiterstreiks, Bürger- und Bauernproteste von der einfachen Kundgebung vor einem örtlichen Parteibüro über große Demonstrationen oder wütende Spontanrevolten bis hin zu schieren Volksaufständen in einzelnen Provinzen. Oft kommt die Armee zum Einsatz, meist erfährt man im Ausland wenig oder nichts davon. China ist kein Modell für die Zukunft, sondern ein Pulverfass - und sollte es explodieren, würden die Brocken rund um den Erdball fliegen.
 
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