Kritiken Theater
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2005-11-15: Theater
Kampf für Gedankenfreiheit
Annegret Ritzel inszenierte im Koblenzer Stadttheater "Don Karlos"
 
ape. Koblenz. Mit einem auf dreieinhalb Stunden gekürzten "Don Karlos" setzt das Stadttheater Koblenz dem Schiller-Jahr einen ebenso gewichtigen wie interessanten Schlusspunkt. Die hiesige Umsetzung des "dramatischen Gedichtes" macht einmal mehr deutlich, dass Schauspiel-Regie das eigentliche Kernfach von Intendantin Annegret Ritzel ist. Ihr Bühnenbild steht für eine von absolutistisch kalter Macht beherrschte Welt. Die aber zugleich ein historisches Auslaufmodell ist, dessen Wehrwände schon rosten, in dessen Palast allein der güldene Königsthron noch als Schmuck bleibt. Gera Grafs streng geschnittene Kostüme, bloß in Schwarz und Grau, schlagen dem Geschehen eine visuelle Brücke vom 16. ins frühe 20. Jahrhundert. Die Militärs tragen hier die Schwarzhemd-Uniform von Francos Schergen.
 
Bedachtsam eng am Text arbeitend, lässt Ritzel ein personen- und charakterkonzentriertes Spiel den alten Streit über das 1787 in Hamburg uraufgeführte Stück entscheiden: "Don Karlos" ist nicht Liebes- oder Freundschafts- oder Ideendrama, sondern alles in einem. Der böse Geist in dieser Welt ist Seine katholisch-spanische Majestät Philipp II., Alleinherrscher über das bis dahin größte Reich auf Erden und personifiziertes Sinnbild absolutistischer Ordnung.

In dieser Rolle liefert Andreas Weißert die herausragende Spielleistung des Abends ab. Mit stoischer Selbstverständlichkeit übt er knarzend sein Regiment über Länder, Völker, Hof und Familie aus - gewiss, dass die Welt aus den Fugen gerate, wenn er das nicht mit harter Hand tut. Und doch ist der Tyrann auch Mann, auch Mensch: nicht im Sinne von Menschlichkeit, denn über die regiert die Staatsräson; freilich im Sinne eigener Verletzlichkeit. Weißert lässt den Zersetzungsprozess nagender Eifersucht aufblitzen, durchscheinen, ausbrechen. Der Verdacht, Sohn Karlos setze ihm mit der Königin Hörner auf, stürzt Philipp in eine Manneskrise, die hier auch Staats-, ja Epochenkrise ist.

Ritzel versucht, aus den Alterszwängen des Ensembles eine Tugend zu machen. Werner Tritzschlers Karlos ist kein gedankenlos schwärmender Jüngling, sondern erwachsener Mann - schäumend von verbitterter Aggressivität, weil er weder als Thronfolger noch als die Stiefmutter Liebender zum Zuge kommt. Schön, wie Madeleine Nie-sche die gefährdete Balance hält zwischen Königinnenpflicht, Liebesanwandlung zu Karlos und Sympathie für antiabsolutistisches Freiheitsstreben. Denn nicht nur verhinderte Liebe zueinander verbindet Elisabeth und Karlos; die Befreiung der Niederlande vom Joch Spaniens ist ihre Sache ebenso. Zwei Interessen, die in praxi einander behindern. Was Posa, den aufgeklärten, den revolutionären Geist und Schillers Stellvertreter im Spiel, in solche Bredouille bringt: Der Freiheitssache kann ich nur dienen, indem ich die, die mir vertrauen, betrüge. Schiller nimmt analytisch das Dilemma der geschichtlich folgenden Revolutionen vorweg: Am Weg zu Freiheit und Humanität lauert die Beschmutzung von deren Idealen.

"Gebt Gedankenfreiheit!", in dem legendären Appell Posas an den König gipfelt die zentrale Audienzszene. Nur appelliert der Koblenzer Posa nicht. Über Hartmut Volles Anlage der Posa-Rolle lässt sich trefflich streiten. Spielerisch famos stellt er ihn als nervösen, sich seiner historischen Fortschrittlichkeit aber bewussten Revolutionskommissar zwischen edel und verschlagen vor. Dieser Posa will Philipp zu keinem Zeitpunkt zum Besseren bewegen. Er klagt an, kanzelt ab, führt dem Herrscher quasi vor, dass der bloß noch ein Fall für den Kehrichthaufen der Geschichte ist. Das entspricht nicht mehr dem ideellen Impetus Schillers von der Bildbarkeit selbst der Tyrannen (siehe "Bürgschaft"). Ritzel webt in diese Lesart unsere historische Erfahrung ein. Stoff zur Diskussion wie so vieles in diesem Stück und in dieser bei der Premiere stark beklatschten Inszenierung. Schiller eben.
 
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