Kritiken Theater
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2005-11-15: Ballett
Subversives Ballett der Frauenzelte
"Letters from Tentland" in Idar-Oberstein
 
ape. Idar-Oberstein. Kunst kann bisweilen so schlicht sein und doch so groß. Beim Hinschauen ganz einfach in der Form, transportiert Helena Waldmanns Tanztheater "Letters from Tentland" eine Fülle tief greifender Gedanken und zu Herzen gehender Emotionen. Erlebbar war das jetzt in Idar-Oberstein, wo die Truppe aus deutscher Choreografin und sechs jungen iranischen Akteurinnen im Rahmen ihrer Europatournee Station machte.
 
Tanztheater realisieren in einem Land, das Körperausdruck, also tänzerisches Auftreten von Frauen, im Prinzip nicht gestattet: Das war die Herausforderung, der sich Waldmann vor Monaten in Teheran zu stellen hatte. Tanzen zu wollen, es aber unter den Augen der religiösen Zensoren nicht zu dürfen, das war die Krux, unter der sich die Iranerinnen auf das Projekt einließen. Ergebnis: Ein Zeltballett. Jede Frau steckt Anfangs allein in einem kleinen Zelt - einem Schador, wie die muslimischen Ganzkörper-Schleier, aber auch profane Zelte genannt werden.

Sechs Zelte nebeneinander füllen die Rampenbreite der für diesen Zweck etwas beengenden Bühne in der Mikado-Halle. In fünfen werden nacheinander Lichter entzündet. Aus den fünfen heraus erheben sich Rhythmen, geklopft, geschnippt, gerasselt - Einzelrhythmen, die sich zur Perkussivmusik vereinen. Derart wird aus körperlich vereinzelten Frauen eine Frauengemeinschaft auf Zeit. Eine Gemeinschaft, die wie alle Gemeinschaften ihre gruppendynamischen Prozesse entwickelt, Ordnungen aufbaut.

Was in Tentland heißt: Die Zelte bewegen sich, bilden Reihen, Diagonalen, Kreise, Untergruppen. Der hinzutretende Neuling - ein weiteres Zelt - hat es schwer, seinen Platz in der Gruppe zu finden. Es wird auch unter "bezelteten" Frauen geschubst, geschoben, gerungen.

Das Zelt ist einerseits Isolationsinstrument und Gefängnis, andererseits intime Hülle und schützendes Versteck. Der Zensor kann nicht entdecken, welche Frau da verbotener Weise auf der Bühne singt. Männer können nur selbstquälerisch mutmaßen, was etwa in verknuddelt zuckenden Zelten unter rhythmischem Stöhnen abgeht. Die aufgezwungene Verhüllung wird zum Ort fraulicher Subversion. Indem Zug um Zug ein Zelt vom anderen aufgenommen, aufgesogen wird, bis alle sechs Frauen in einer Hülle stecken, entsteht eine selbstbewusste Solidargemeinschaft.

In dieses ihr Zelt - symbolisch vergrößert durch einen Bühnenvorhang aus Plane - luden die Tänzerinnen nachher ihre Geschlechtsgenossinnen aus dem Publikum zum Plaudern ein. Was dort geschah? Dem Rezensenten war als Mann der Zugang verwehrt. Und er akzeptiert die Grenze - die von den Frauen wohl so lange in Notwehr gegen deren Erfinder gewendet wird, bis sie sich überlebt hat. 
 
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