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2005-10-08: Analyse
Todesschüsse an Europas Südgrenze
Armen-Sturm auf Spaniens Exklaven in Afrika: Auch das ist Globalisierung
 
ape. Fünf Sturmläufe auf die spanischen Exklaven in Nordafrika sind in dieser Woche bisher zu verzeichnen. Jeweils hunderte Afrikaner versuchten die Stacheldraht-bewehrten und Militär- bewachten Sperranlagen zum europäischen Territorium zu überwinden. Mindestens 14 Tote, zahllose Verletzte gab es. Die Wanderbewegung der Armen aus dem Süden in Richtung reicher Norden ist in eine neue Phase eingetreten. Spanien, besser: ganz Europa steht vor sich zuspitzenden, aber keineswegs überraschenden Herausforderungen.
 
Spanien hat gestern begonnen, jene Flüchtlinge, die in dieser Woche nach Ceuta und Melilla durchgebrochen waren, zwangsweise nach Marokko zurück zu verfrachten. Die Migranten aus Afrika sind entsetzt, viele denken an Selbstmord. Die Verantwortlichen der Flüchtlingslager in den beiden spanischen Exklaven auf dem Schwarzen Kontinent fürchten Verzweiflungsrevolten.

Was sich derzeit an den südlich vorgeschobenen Grenzzipfeln Europas auf afrikanischem Boden abspielt, ist menschliche Tragödie und politisches Dilemma zugleich. Hier unzählige Menschen, die in allen Teilen Afrikas Heimat und Familie verlassen haben, um in wochen-, monate-, oft jahrelanger Wanderung Bürgerkrieg und Tyrannei, Elend, Hunger, Dürre und Perspektivlosigkeit zu entfliehen. Dort, auf europäischer Seite, die Angst davor, des Flüchtlingsstromes nicht mehr Herr zu werden.

Viele Tote in nur einer Woche

In den letzten Jahren waren es viele kleine Gruppen, die einem steten Rinnsal gleich nach Ceuta und Melilla durchsickerten. 2004 in summa immerhin 55 000, die versucht haben, auf diesem Weg ins gelobte Land Europa zu gelangen. Jetzt hat sich das Bild dramatisch verändert: Mehrere hundert Personen stürmten in den vergangenen Tagen jeweils gemeinsam aus den umliegenden marokkanischen Wäldern hervor, um mit selbst gebastelten Leitern die drei bis sechs Meter hohen Sperranlagen zu überwinden.

Die Flüchtlinge wurden scharf und mit Tränengas beschossen, mit Gummiknüppeln und Gewehrkolben traktiert - mindestens 14 Menschen starben, erschossen, erschlagen, totgetrampelt oder in den Natodraht-Verhauen verblutet. Hunderte erreichten dennoch europäischen Boden; Tausende warten in den Wäldern auf die nächste Chance; Zehntausende sind noch unterwegs Richtung Nordafrika und Mittelmeer.

Nach dem Wegfall des Eisernen Ost-West-Vorhangs sind die Sperranlagen um Ceuta und Melilla die zweifelsfrei hässlichste, unmenschlichste Grenze Europas: Ein neuer Eiserner Vorhang, an dem Menschen zu Tode kommen, die nichts anderes wollen, als der Hoffnungslosigkeit diesseits der Sperre zu entkommen und jenseits davon in Freiheit ein bisschen persönliches Glück zu machen. Diesmal trennt der Vorhang den reichen Norden vom armen Süden. Genauer gesagt: Er verwehrt den armen Menschen des Südens, in den Norden zu reisen, dort zu arbeiten und zu leben.

Keine Frage: Ungeregelte Massenmigration ist ein Problem. Auch keine Frage: Taktische Unterdrückung großer Migrationsbewegungen ist ein Ding der Unmöglichkeit. Der Grund liegt auf der Hand: Wenn daheim das Leben zur ausweglosen Hölle wird, es andernorts aber besser ist oder auch nur zu sein verspricht, packt man sein Bündel und geht. Das war immer so, ob während der Völkerwanderungen des ersten Jahrtausends oder in Deutschland nach dem Fall der Mauer. Das ist natürlich, unausweichlich, und es ist normal - erst recht im Zeitalter der Globalisierung.

Die Industrieländer überwinden alle Grenzen, überschwemmen Afrika mit ihren Produkten und ihrer Kultur, entsenden reichlich eigenes Personal dorthin, sind Nutznießer von Afrikas Ressourcen... Freizügigkeit nur für eine Seite, nur für den Norden? So funktioniert das nicht. Afrika ist Teil des globalen Organismus" , will seinen Anteil an dessen Reichtum haben - zu dem es seit Jahrhunderten nicht unmaßgeblich beiträgt, jedoch selbst meist wenig davon hatte.

Ein eben vorgestellter UN-Bericht bezeichnet für arme Länder mit schnellem Bevölkerungswachstum Migration als unverzichtbares Instrument zur Kapitalakkumulation. Will sagen: In Europa angekommene Auswanderer transferieren drei Mal mehr Geld in die ärmsten Länder Afrikas als die gesamte staatliche Entwicklungshilfe. Die Unterdrückung der Migration ist aus UN-Sicht deshalb "weder wünschenswert noch realistisch".

Reichtumsgefälle gewaltig

So die tatsächlich globale Sicht der Dinge. Sie mag einem gefallen oder nicht, jedenfalls beschreibt sie Tatsachen, an denen keiner vorbei kann. Solange das Reichtumsgefälle zwischen Erster und Dritter Welt ist, wie es ist, nämlich gewaltig, wird der
Migrationsdruck nicht ab-, sondern zunehmen. Dies umso mehr, je umfassender die Globalisierung im Industrie-, Waren-, Kapital- und Kulturverkehr Grenzen und Schranken nivelliert. Es kann nicht der Reichtum frei und sich munter vermehrend um die Welt vagabundieren, zugleich aber der arme Teil der Menschheit auf unabsehbare Zeit im Elendsgefängnis eingesperrt bleiben. Da mögen die Mauern um Europa so hoch sein wie sie wollen, demnächst vielleicht mit Elektrozäunen und Selbstschussanlagen aufgerüstet - der Wunsch, anständig zu leben, wird das anbrandende Heer der Armen immer wieder Schlupflöcher finden und Lücken reißen lassen. Eine "Festung Europa" wäre nicht zu halten, niemals!

Was also tun? Der Fall Entwicklungspolitik liegt ähnlich wie der Fall Klimaschutz. Wenn nicht zügig und wirkungsmächtig gehandelt wird, nehmen die Dinge auf Generationen einen von unserem Willen unabhängigen und gewiss wenig erfreulichen Verlauf. Im Hinblick auf die Migrationsbewegungen heißt das: Wir werden uns an mehr Immigranten gewöhnen müssen. An wie viele, hängt auch davon ab, wie effektiv unsere Unterstützung der Afrikaner beim Aufbau eines lebenswerten Afrika ausfällt.

Für den Moment allerdings gilt: Eine Grenze, an der elende und verzweifelte Menschen zu Tode kommen, ist für das alte, das humanistische Europa eine Schande.
 
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