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2005-10-01a/2013-03-25 Porträt:

Jochen Heyse ist am 23. März 2013 mit 83 Jahren gestorben. Der nachfolgende Porträt-Artikel entstand im Jahr 2005 auf Basis einer der letzten Begegnungen mit dem von mir hochgeschätzten Schauspieler, Regisseur, Intendanten. Ich hole diesen Artikel wieder aus dem Archiv und publiziere ihn anstelle eines Nachrufes - weil ich Jochen so im Gedächtnis habe und behalten will: körperlich zwar schwächelnd, aber hellwach im Geiste, noch immer mit Biss und einigem Schaffensdrang.
(Andreas Pecht, 25. März 2013, früher Abend)


                                     ***

Im Herbst des Jahres 2005:

Der Theatermacher im Ruhestand

Die Bühnenkunst lässt Jochen Heyse, den Ex-Intendant der Mayener Burgfestspiele, nicht los

 

ape.
76 Jahre ist er alt, bewohnt mit seiner Frau eine kleine Doppelhaushälfte in Mayen. Vom Balkon aus kann Hans-Joachim Heyse, genannt Jochen, über das Eifelstädtchen blicken, hinüber zur letzten seiner vielen Wirkungsstätten als Theatermacher: der Mayener Genovevaburg. Aber auch das ist schon Vergangenheit – 2003 endete seine Intendanz bei den Burgfestspielen. Mit der Inszenierung von Shakespeares „Othello“ gab er seinen Ausstand, mit Schillers „Kabale und Liebe“ hatte er 16 Jahre zuvor in Mayen ein neues Kapitel Kulturgeschichte im nördlichen Rheinland-Pfalz zu schreiben begonnen: die Burgfestspiele als selbstkreativer Ort anspruchsvoller, ernsthafter Theaterkunst zur Sommerzeit.
 
Heyse als verbittert zu beschreiben, wäre verfehlt. Dazu kennt der Theatermacher des Lebens und der Zeitläufe Ungemach zu gut – er hat schließlich auch „King Lear“ inszeniert, weiß daher vom Kreuz des Alters unterm Ungestüm der Nachfolgenden. Doch macht er keinen Hehl daraus, dass es ihn „arg schmerzt“, nun völlig ohne Bühne und Regiestuhl auskommen zu müssen. Denn das war sein Leben ganz und gar, über 53 von 76 Jahren. Der 1929 im niederschlesischen Liegnitz Geborene war lange vor seiner Mayener Zeit eine einflussreiche Persönlichkeit in der deutschsprachigen Theaterlandschaft: In den 1950ern Assistent beim berühmten Hans Schalla am Schauspielhaus Bochum, nachher Oberspielleiter am Städtebundtheater Hof, dann bis 1970 in gleicher Funktion wieder in Bochum; hernach elf Jahre Generalintendant der Bühnen der Bundeshauptstadt Bonn, bis 1984 Leiter der Luisenburg-Festspiele Wunsiedel und zeitgleich Regieprofessor an der Folkwangschule Essen.

Heyse selbst machte nie großes Aufheben von seiner Vita, weshalb den Hiesigen weitgehend verborgen blieb, dass mit ihm einer der wichtigen Neuerer des deutschen Nachkriegstheaters in der Eifel „Dienst tat“. Hilmar Hoffmann erinnert sich in seiner Autobiografie, wie er mit Jochen Heyse und anderen im legendären „Studio zeitgenössisches Schauspiel Oberhausen“ in den 50ern versuchte, das Gründgens-Theater durch einen „ästhetischen Quantensprung“ abzulösen. Die Gruppe räumte Autoren wie Anouilh, Camus, Giraudoux oder Tennessee Williams den Weg auf deutsche Bühnen frei. Einige von Heyses Inszenierungen haben Theatergeschichte geschrieben, darunter ein „Faust“, den die FAZ seinerzeit als „so noch nie gesehenen“ apostrophierte, oder „Romeo und Julia“, vom „Zeit“-Feuilleton als „Sternstunde des Theaters“ bejubelt.

Shakespeare spielte im Künstlerleben des heutigen Wahl-Mayeners eine zentrale Rolle. Acht Klassiker dieses größten aller Dramatiker hat er allein für die Burghofbühne in Mayen inszeniert – auf der Basis eigener Neuübersetzungen. Meist übernahm er selbst noch eine Rolle. Auch fürs letzte Stück, den „Othello“, stieg er 74-jährig noch einmal ins Kostüm. Ende August 2003 war die Ära Heyse der Burgfestspiele vorbei, wenige Wochen später erlitt der pensionierte Intendant einen Herzinfarkt. Von dem hat er sich erholt – besteht in der Rückschau schon wieder eigensinnig auf seiner Lesart des „Othello“. Da sei keine Liebe zwischen dem Mohren und Desdemona gewesen, hatten selbst Freunde seine Inszenierung vor zwei Jahren kritisiert. Heyse kontert: „Es ist auch keine wirkliche Liebe zwischen den beiden; im ganzen Stück gibt es keine einzige Liebesszene. Lesen sie den Text!“ Darin war Heyse unerbittlich, über Jahre und Jahrzehnte, gegen sich, die Schauspieler, die Regiekollegen, das Theater generell mitsamt Moden und Trends: „Jede Inszenierung hat sich aus dem Text zu erklären! Immer!“ Jochen Heyse kann schwierig werden, wenn er seine Qualitätsmaßstäbe fürs Theater gefährdet wähnt. Der Findungskommission für seinen Nachfolger in der Mayener Intendanz kehrte er brüsk den Rücken, als er zu der Ansicht gelangte, „die wollen in Richtung Eventisierung der Burgfestspiele marschieren“.

Körperlich kein Spring-ins-Feld mehr, verfolgt der Mann doch mit hellem und ungebrochen widerständigem Geist die Geschehnisse am Ort, ebenso die in der großen Welt. Kreativen Ausdruck findet das in seinen „Mayener Epigrammen“, in reimlose Verse und kleine Prosatexte Brechtschen Stils gepackte Gedanken. Daraus wird er bei einem seiner seltener gewordenen öffentlichen Auftritte demnächst (9.11., 20 Uhr Bücherstube Mayen) unter dem jiddischen Motto „Tuches auf´n Tisch“ (= zeig, was du hast; oder: Butter bei die Fisch) vortragen. Ein bescheidener Ersatz für das Theater. Von dem kann Jochen Heyse sich bis jetzt nicht und wohl nie lösen. Unablässig und ungefragt gebiert sein Hirn Regiekonzepte und Stücke. Davon hat er einige in der Schublade – und im Kopf bisweilen den Traum, es möge eines davon noch zu seinen Lebzeiten auf die Bühne kommen.          Andreas Pecht


Innehalten

Kleiner Bahnhof an der Strecke.
Roter Staub auf dem Perron.
In Brennesselstauden
ein Abstellgleis.

 Hier aussteigen
 und den Freund besuchen
 der vor der Welt floh!

Oder eine Liebe
vor dreißig Jahren
oder ein Grab.

Aus den  „Mayener Epigrammen“ von Hans-Joachim Heyse


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